"New York Times":Zeilen des Aufruhrs

Ein neuer konservativer Kolumnist verärgert die Leser: Gleich in seinem ersten Text hat Bret Stephens über seine Zweifel am Klimawandel geschrieben. Nach Abokündigungen verteidigte der NYT-Herausgeber die Personalie.

Von Roman Deininger

Kürzlich wandte sich der Herausgeber der New York Times in einer persönlichen Mail an die Leser seiner Zeitung. Präziser: Er wandte sich an die Ex-Leser, an offenbar mehrere Hundert Leute, die alle aus dem gleichem Grund ihr Times-Abo gekündigt hatten. "Kein Thema ist wichtiger", versicherte Arthur Sulzberger Jr. den Abtrünnigen, er meinte den Klimawandel. Die Redaktion habe das "Team, das über Klimawandel berichtet", daher "kräftig ausgebaut"; zum Beleg listete er eine Reihe einschlägiger Artikel auf. Und dennoch, schrieb Sulzberger, halte er es für sinnvoll, wenn Leser durch eine Debatte in der Zeitung "herausgefordert" würden - wenn eine Debatte "uns zwingt, noch härter über unsere Positionen nachzudenken".

Die Position, über die Sulzbergers Ex-Abonnenten nicht mehr nachdenken wollten: Die Erderwärmung ist real, und sie wird vom Menschen befördert. So sehen das bekanntlich auch die allermeisten Wissenschaftler. So sieht das allerdings nicht Bret Stephens, der Ende April als Kolumnist vom konservativen Wall Street Journal zur liberalen Times gewechselt ist. Stephens, 43, ist ein renommierter Journalist, schon mit 28 wurde er Chefredakteur der Jerusalem Post, 2013 erhielt er für seine politischen Kommentare den Pulitzer-Preis. Amerikanische Linke mögen ihn nicht, wegen seiner Treue zu Israel und vor allem, weil er immer wieder Zweifel am menschengemachten Klimawandel sät.

Auf Meinungspluralismus legt das Blatt seit Trump besonderen Wert

In den USA ist es gute Tradition, dass Zeitungen in ihrem Meinungsteil Stimmen Raum geben, die von der Blattlinie im Nachrichtenteil abweichen. In der Trump-Ära ist die Times darum ganz demonstrativ bemüht: Man wolle "alle Perspektiven" vermitteln, wieder für Konservative zugänglich sein, so hatte das Verleger Sulzberger nach Trumps Wahl angekündigt.

Nun hätte Bret Stephens, der zumindest für die Verhältnisse der US-Rechten kein Provokateur ist, die Wogen glätten können, indem er nicht gleich in seiner allerersten Kolumne über den Klimawandel schreibt. Aber er schrieb natürlich genau darüber. "Klima kompletter Gewissheit" stand über dem Text, Stephens glaubt nicht, dass es so etwas wie komplette Gewissheit gibt, auch in der Klimaforschung nicht. Als warnendes Beispiel für die allgemeine Fehlbarkeit des Menschen wählte er die Gewissheit, mit der Hillary Clinton vom eigenen Sieg ausgegangen war. Auch das nicht wirklich ein Friedensgruß an die liberalen Leser.

Also Shitstorm und Abokündigungen. Begleitend wiesen anerkannte Klimaforscher in Leserbriefen darauf hin, dass Stephens das Geschäft der Öl- und Kohlelobby betreibe. In der Tat befeuert die Industrie seit Jahrzehnten so schamlose wie effektive Attacken auf die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Ein vorübergehender Erfolg dieser Kampagne war, dass US-Medien lange peinlich genau auf Ausgewogenheit setzten - selbst wenn das auf Kosten der Fakten ging. Wenn in den 2000er Jahren etwa bei CNN jemand über die menschengemachte Erderwärmung sprach, kam stets auch ein anderer zu Wort, der den Beitrag des Menschen leugnete.

Droht nun ein Rückfall in diese Zeiten? Das Online-Magazin Slate warf der Times jedenfalls vor, "ihre Standards von Wahrheit und Logik" zu verraten. Und das, wo die Zeitung doch sehr offensiv für sich als Verteidiger der Fakten in einer post-faktischen Welt wirbt. Immerhin hat Bret Stephens selbst einstweilen auf Defensive umgeschaltet. In seinen aktuellen Kolumnen konzentriert er sich auf Donald Trump, den er überhaupt gar nicht mag. Diese Position dürfte unter den Times-Lesern mehrheitsfähig sein.

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