Enthüllungen über einen "New York Times"-Reporter:"Atomic Bills" doppeltes Spiel

Groves and Oppenheimer Inspect Trinity

Robert Oppenheimer (mit hellem Hut) und General Leslie Groves (Mitte) inspizieren den Ort des ersten Atombombentests in Alamagordo, New Mexico. NYT-Reporter William L. Laurence war ein glühender Verfechter der Atombombenabwürfe.

(Foto: Historical/Corbis via Getty Images)

Durch seine Augenzeugenberichte der Atombombenabwürfe auf Japan erlangte der "New York Times"-Reporter William L. Laurence Berühmtheit. Heute belasten Interessenkonflikte sein Andenken.

Von Helena Zacher

Am 16. Juli 1945 erschien William L. Laurence nicht zur Arbeit. Lediglich der damalige Chefredakteur der New York Times, Edwin L. James, und seine Ehefrau wussten, wo sich der Journalist aufhielt. Während in 41 Park Row, Manhattan, die Schreibmaschinen klapperten, befand sich Laurence in den White Sands Proving Grounds im US-Bundesstaat New Mexico. Dort war er um 5.29 Uhr Ortszeit Zeuge des Alamogordo-Tests, der bewies, dass die Atombombe fertig war. Nur 24 Tage später erlebte Laurence als einziger Reporter die Detonation von Nagasaki aus nächster Nähe.

Tausende ließen in der gewaltigen Zerstörung ihr Leben. Laurence baute darauf seine Karriere auf. Die Augenzeugenberichte sowie eine anschließende Serie in der Times über die Entwicklung, Produktion und Bedeutung der Bombe im Rahmen des Manhattan-Projekts brachten ihm einen Pulitzer-Preis ein und machten ihn zu einem der anerkanntesten Wissenschaftsreporter Amerikas. Nun hat sich die New York Times in einem eigenen Artikel ihrem ehemaligen Starreporter sowie dessen Einfluss innerhalb der Kriegsberichterstattung gewidmet. Denn so sehr sich Laurence zu Lebzeiten in der ihm gebührenden Aufmerksamkeit sonnte, so fragwürdig sind heute die Hintergründe und Motivationen seiner Recherchen. Die Geschichte seines Erfolgs ist auch die Geschichte eines doppelten Spiels.

Nach seinem Tod im Jahr 1977 hinterließ er keine persönlichen Aufzeichnungen

"Hat man Mitleid oder Mitgefühl mit den armen Teufeln, die sterben werden? Nicht, wenn man an Pearl Harbour und an den Todesmarsch auf Bataan denkt", schreibt William L. Laurence in seinem Bericht über den Atombombenabwurf auf Nagasaki. Es sind kalte Worte eines rätselhaften Mannes. Denn für jemanden, der im Laufe seines Lebens zwei Pulitzer-Preise erhielt und 34 Jahre für eine der renommiertesten Zeitungen der Welt arbeitete, ist über Laurence bemerkenswert wenig bekannt. Nach seinem Tod im Jahr 1977 hinterließ der aus Litauen stammende Veteran keine persönlichen Aufzeichnungen.

Enthüllungen über einen "New York Times"-Reporter: "Diese große schillernde Wolke mit ihrem Atompilz, so dachte ich bei der Betrachtung, ist in Wirklichkeit ein Schutzschirm", schrieb William L. Laurence nach dem Atombombenabwurf von Nagasaki.

"Diese große schillernde Wolke mit ihrem Atompilz, so dachte ich bei der Betrachtung, ist in Wirklichkeit ein Schutzschirm", schrieb William L. Laurence nach dem Atombombenabwurf von Nagasaki.

(Foto: Science Source/Mauritius Images)

Was bleibt sind somit nur die zahlreichen Artikel des Journalisten. Und der Einfluss, den dieser auf die Wahrnehmung von Nuklearkraft in der US-Bevölkerung ausgeübt hat. Stetig betonte Laurence die potenziell positiven Auswirkungen der Kernenergie und drängte kritische Stimmen in den Hintergrund. Dementsprechend optimistisch fiel auch seine Beschreibung des Atombombenabwurfs auf Nagasaki aus: "Diese große schillernde Wolke mit ihrem Atompilz, so dachte ich bei der Betrachtung, ist in Wirklichkeit ein Schutzschirm, der die Menschheit für immer und überall vor der Gefahr der Vernichtung in einem Atomkrieg bewahren wird. Denn kein Aggressor könnte jetzt einen Krieg beginnen, ohne die Gewissheit der absoluten und schnellen Vernichtung." Nicht zuletzt aufgrund dieser Begeisterung für die atomaren Waffen erhielt der Reporter von Zeitgenossen den Spitznamen "Atomic Bill".

Zwischen Objektivität und Patriotismus schwankten viele Journalisten seinerzeit

Hinter der parteiischen Berichterstattung des Journalisten steckte jedoch mehr als nur eine persönliche Präferenz. In dem Artikel über ihren ehemaligen Reporter zitiert die New York Times den Autor Alex Wellerstein. Ihm zufolge habe Laurence seinen privilegierten Zugang genutzt, "um Positionen zu vertreten, die für die Regierung günstig waren" und sich "bereitwillig zum Komplizen des Propagandaprojekts der Regierung" gemacht. So bezeichnete Laurence die Todesursache radioaktive Strahlung in seinem am 12. September 1945 in der New York Times publizierten Leitartikel als japanische Propaganda. Vielmehr sei die Detonation der Bombe vernichtend gewesen. In Washington fürchtete man wohl, dass die Nachrichten über einen qualvollen Tod durch die Strahlung eine moralische Überlegenheit Amerikas untergraben und das Mitgefühl der Öffentlichkeit für die Japaner wecken würde.

Nach heutigen Maßstäben war Laurence' Rolle innerhalb des Manhattan-Projekts somit ein deutlicher Interessenkonflikt. Arthur Gelb, ein ehemaliger leitender Redakteur der Times, der 2014 verstarb, betonte jedoch stets die Tragweite des Krieges: "Wir kämpften ums Überleben. Man muss sich an die Zeiten erinnern. Und die Leute versuchen jetzt, die Geschichte umzuschreiben, wenn sie über Laurence als Schurken sprechen." Dem Autor Michael S. Sweeney zufolge, habe sich Laurence nicht sonderlich von den vielen anderen Journalisten unterschieden, die in Kriegszeiten loyal zum Vaterland standen.

Viele verschiedene Rollen: Teils Gauner, teils Journalist, teils Joker

Vincent Kiernan, der Autor einer 2021 bei Cornell University Press erscheinenden Laurence-Biografie, sieht das anders. Laurence habe seine Entscheidungen auf Grundlage dessen getroffen, was für ihn am besten, und nicht notwendigerweise auf der Grundlage dessen, was im besten Interesse der Öffentlichkeit war. Zu diesem Zweck habe Laurence sein Times-Gehalt während des Krieges mit zusätzlichen Zahlungen nicht nur vom Manhattan-Projekt, sondern auch vom Generalstabschef der Armee aufgebessert und infolgedessen "eine Erfolgsbilanz von ethisch fragwürdigem Verhalten" vorweisen können.

Dieser Ansicht sind auch Amy und David Goodman. Im Jahr 2001 forderten die beiden Journalisten, dass Laurence der Pulitzer-Preis aberkannt werden solle. Sie warfen dem Reporter vor, die tödliche Strahlenkraft der Atombombe wissentlich vertuscht und zu einer fälschlichen Berichterstattung der atomaren Waffen beigetragen zu haben.

Die New York Times selbst erklärt auf SZ-Anfrage, sie sei der Ansicht, dass das Eingestehen von journalistischen Fehlern ein wesentlicher Bestandteil ihres Engagements für Fairness, Genauigkeit und Integrität ist. Mit der eigenen Veröffentlichung über die Mängel von Laurence' Arbeit hätte das Verlagshaus seine Vergangenheit aufgearbeitet.

Der Pulitzer-Preis ist Laurence letztendlich erhalten geblieben. Undurchsichtig bleibt die Tatsache, ob sich der Times-Reporter bewusst den politischen Verstrickungen hingab oder vielmehr ungebremst seiner Faszination und Ehrfurcht für die Kraft der Atomwaffen verfiel. Wellerstein zufolge sei Laurence teils Gauner, teils Journalist, teils Joker gewesen - "in jeder Hinsicht unwahrscheinlich, eine Figur aus dem wirklichen Leben mit mehr Seltsamkeiten, als in reiner Fiktion erträglich wäre".

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Robert Oppenheimer (1904-1967), physicist and scientific director of the Manhattan Project, which was established during the Second World War to develop the atomic bomb.

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