"New York Times":Am Wendepunkt

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Die "New York Times" profitierte von Donald Trumps Präsidentschaft und konnte die Abonnements von 2,3 auf 7,5 Millionen steigern. (Foto: Michael Nagle/Bloomberg)

Die "New York Times" ist wichtigste Zeitung der USA. In der Belegschaft gibt es Streit, die Chefredaktion spricht von einem Graben.

Von Alan Cassidy

Es sind bewegte Zeiten bei vielen Medien in den USA, aber vielleicht sind sie gerade nirgendwo bewegter als bei der New York Times. Die wichtigste amerikanische Zeitung wurde im vergangenen Jahr von mehreren Vorgängen erschüttert, die dazu führten, dass hausinterne Debatten über das Klima in der Redaktion und ihre publizistische Ausrichtung an die Öffentlichkeit getragen wurden. Es geht dabei um große Fragen: die Rolle des Journalismus in einer gespaltenen Gesellschaft, die Meinungsvielfalt und den Kampf um die Deutungshoheit in einer Institution, in der Hierarchien ins Wanken geraten.

Manches davon hat mit Donald Trump zu tun. Die traditionell linksliberal verortete New York Times gehörte zu den Profiteuren seiner Präsidentschaft. Zwischen 2016 und 2020 steigerte das Medienunternehmen die Zahl der verkauften Abonnements massiv: von 2,3 auf 7,5 Millionen. Ein Großteil der neuen - und auch der alten - Leserschaft erwartete und erhielt von der Times eine dezidiert kritische Berichterstattung über Trump und seine Regierung, wofür die Zeitung auch mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde.

Das Wachstum bei den Abonnenten ging einher mit einem Ausbau der Redaktion, die inzwischen 1700 Mitarbeiter umfasst. Alleine seit 2017 hat die Zeitung mehr als 400 neue Journalisten angestellt. Bei 40 Prozent von ihnen handelt es sich nach Angaben der Times um People of Color. Nicht alle waren schreibende Journalisten, die von anderen Zeitungen kamen und bei der Times erst einmal in Ehrfurcht erstarrten. Stattdessen, so hat es das New York Magazine in einem Exposé über das Innenleben der Times geschrieben, kamen viele IT-Spezialisten von Konzernen wie Facebook und Amazon - Leute, die anderswo mehr Geld verdienten, aber die es aus ideellen Motiven zur Times zog.

Kritik an der Sprache: zurückhaltend und oft krampfhaft bemüht um einen neutralen Ton

Sowohl außerhalb als auch innerhalb der Redaktion kam schon kurz nach Trumps Wahl Kritik auf, wonach die Times den neuen Präsidenten und sein Verhalten "normalisiere". Diese Kritik wurde oft festgemacht an den für die Times typischen Schlagzeilen, die sich durch eine ganz eigene Sprache auszeichnen: zurückhaltend und oft krampfhaft bemüht um einen neutralen Ton. So entstanden Zeilen wie jene, welche die Times 2019 über eine Rede Trumps nach einem Attentat in El Paso setzte: "Trump Urges Unity vs. Racism", also: "Trump mahnt zu Einheit gegen Rassismus". Das blende alles aus, was der Scharfmacher Trump selbst ständig an rassistischen Dingen von sich gebe, beklagten viele Stimmen.

Eine "Grundspannung" sei also schon länger da gewesen, erzählt ein Times-Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden will. Als dann vergangenen Sommer die "Black Lives Matter"-Proteste die USA erfassten, entlud sich diese Spannung ein erstes Mal. Anlass war ein Meinungsbeitrag des republikanischen Senators Tom Cotton, in dem dieser den Einsatz von Soldaten in den Städten forderte. Die Veröffentlichung des Beitrags führte zu heftiger Kritik, der verantwortliche Ressortleiter James Bennet trat daraufhin zurück.

James Bennet, früherer Meinungschef der "New York Times", trat nach heftiger Kritik zurück. (Foto: Larry Neumeister/AP)

Kurz darauf ging auch Bari Weiss, eine Kolumnistin, die vom Wall Street Journal zur Zeitung gestoßen war. In einem offenen Brief an den Herausgeber A.G. Sulzberger beklagte sie ein "feindseliges" Arbeitsumfeld und eine "antiliberale Stimmung". Es herrsche in der Redaktion ein "Bürgerkrieg" zwischen zumeist jüngeren "Aufgeweckten" ("Wokes") und den zumeist älteren Linksliberalen, twitterte sie - eine Darstellung, die Weiss viel Kritik einbrachte und die nicht zuletzt auch viele ihrer Kollegen bestritten.

An "journalistischer Unabhängigkeit" festhalten

Die bisher größten Wellen warf der Fall von Donald McNeil. Der Wissenschaftsjournalist hat mehr als 40 Jahre für die Times gearbeitet und wurde vergangenes Jahr zum Aushängeschild der Zeitung, was ihre Corona-Berichterstattung betraf. Dann berichtete die Website Daily Beast im Dezember über einen Vorfall aus dem Jahr 2019: McNeil hatte während einer Leserreise mit Studenten über Rassismus diskutiert. Dabei sprach er auch das tabuisierte N-Wort aus, nicht an eine Person gerichtet, sondern im Kontext der Debatte. Times-Chefredakteur Dean Baquet hielt McNeil zunächst zugute, das Schimpfwort nicht in böser Absicht geäußert zu haben. Doch nach einem von 150 Times-Mitarbeitern signierten Protestbrief wurde McNeil faktisch gefeuert.

Selbst die Spitze der Zeitung spricht inzwischen öffentlich von einem Graben, der sich durch die Redaktion ziehe. Es gebe "zwei Lager, eine junge Garde und eine traditionellere Kohorte", sagte Carolyn Ryan, ein Mitglied der Chefredaktion, dem Online-Magazin Business Insider. Man müsse nun beide Seiten überzeugen, dass die Times weiterhin an ihrer "journalistischen Unabhängigkeit" festhalten könne, aber gleichzeitig auch mehr dafür tue, Mitarbeiter mit unterschiedlichem Hintergrund einzubinden. Die Times, so Ryan, stehe an einem "Wendepunkt".

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