Miniserie "Neuland" im ZDF:Ihr Einsatz, Frau Major

Miniserie "Neuland" im ZDF: Karen Holt (Franziska Hartmann, l.) ist die fremde Tante von Zoe (Aennie Lade), die vor allem schweigt.

Karen Holt (Franziska Hartmann, l.) ist die fremde Tante von Zoe (Aennie Lade), die vor allem schweigt.

(Foto: Georges Pauly/ZDF)

In "Neuland" wird einer ganzen wohlhabenden Gemeinde die Maske des Anstands und der Integrität runtergerissen - unbarmherzig, aber mit Gefühl für Nuancen und Stimmungen.

Von Harald Hordych

Der Satz fällt mehrmals, er klingt harmlos, aber er ist explosiv - zumindest für die Menschen, die es sich leisten können, in Sünnfleth bei Hamburg zu wohnen, und zwar auf dem Niveau, für das Menschen in solche Städte ziehen: Großes Haus mit großem Garten. Der Satz lautet: "Wir können das nicht kontrollieren." Dass immer Männer zu diesen Worten greifen, hat auch mit dem schlechten Befund zu tun, den ihnen diese Serie ausstellt, aber er gilt gleichermaßen für die Frauen. Kontrollverlust bedeutet Verlust der Macht über das Bild, das die Familie nach außen hin abgibt. Und das ist wichtig für Erfolg und Reichtum.

Neuland bildet eine Gesellschaftsschicht ab, die hier von der ersten Sekunde an förmlich darum bettelt, in ihren Lebenslügen enttarnt zu werden: Wohlhabende, gut aussehende, gebildete Menschen, die allesamt glücklich sind? Das ist im Film zu schön, um wahr zu sein, und ja, das ist absehbar. Aber das muss nicht heißen, dass bei der Fassadendemontage keine Spannung aufkommt. Gerade weil auch die Kinder der Helikoptereltern erfrischend verstockt, abweisend und unsympathisch sind. Was sich in Sünnfleth so alles Ungutes tut, erfährt man nach und nach, weil die Buchhändlerin Alexandra Brandt eines Tages verschwindet. Als sie nach drei Wochen immer noch nicht aufgetaucht ist, kehrt ihre Schwester zurück, um sich um ihre beiden Nichten zu kümmern.

Die Berufssoldatin Holt ist die zentrale Figur, und Franziska Hartmanns famoses Spiel trägt die Serie

Es gibt gute Gründe, warum sich Neuland in der Kategorie spannende Unterhaltung mit Anspruch behauptet. Der wichtigste ist das innere Drama der tragenden Figur; die heimkehrende Karen Holt ist Berufssoldatin, die in Mali im Einsatz ist, aber auch schon in Afghanistan und im Kosovo Patrouille fuhr. Frau Major Holt ist verstockt, schroff, maulfaul, kriegstraumatisiert, hat ein massives Alkoholproblem und spricht in Visionen mit ihrer Schwester. Um diese zentrale Antiheldin baut das Drehbuch von Orkun Ertener gekonnt die Zerfallserscheinungen der beteiligten Familien auf.

Abgesehen von der verschwundenen Buchhändlerin Alex Brandt entwickelt sich aus einer Prügelei zwischen dem wohlbehüteten Jakob und einem afghanischen Flüchtlingskind eine Art Kleinstadt-Krieg. Lukas, Sohn einer Verlegerin, wird schwer von Rami verprügelt. Doch der Außenseiter entpuppt sich nicht als übler Gewalttäter, sondern als Helfer, weil Lukas zuvor Zoe, eine der beiden Nichten von Karen Holt, übel zugerichtet hat. Die ganze Klasse hat Lukas dabei angefeuert, nur Rami griff ein. Nun beginnt der Kampf um die Kontrolle des guten Leumunds der Kinder und der heilen Familien. Damit nicht genug: lesbisches Beziehungsdrama, mögliche Schwangerschaft der 15-jährigen Lea Brandt (beeindruckend in ihrer Feindseligkeit: Lene Oderich), die Schattenbilder des Krieges von Holt - das Auftürmen vieler Dramen macht das Erzählen oft nicht besser.

Der Qualität, was die Atmosphäre von Verhärtung und Egoismus angeht, kann das aber letztlich nichts anhaben. Das hängt sehr mit dem Spiel von Franziska Hartmann als Karen Holt zusammen, die die heimkehrende Fremde meisterhaft mit stoßhafter Sprechweise zwischen versteinerter Verzweiflung und abgekapselter Empfindsamkeit zeichnet, aggressiv, jähzornig, misstrauisch. Begleitet von einem ausgezeichneten Ensemble, das den zwiespältigen Figuren kaum Klischeehaftes andichtet, sondern alle in der spannenden Balance zwischen einem Rest von Sehnsucht, Anstand und rücksichtsloser Durchsetzung eigener Interessen belässt.

Zivilcourage? Solidarität? Jeder ist sich selbst der Schwächste

Der Fassadeneinriss geht langsam vonstatten. Es dauert ein paar Folgen, bis Hauke Klein (fabelhaft: Godehard Giese), der von der Angst vor sozialem Abstieg getrieben wird und den schulischen Erfolg seines Sohnes mit panischer Strenge begleitet, sagt: "Das ist gut. Dann geht uns das auch nichts an." Er sagt das, nachdem er erfahren hat, dass auch sein Sohn tatenlos zugesehen hat, wie Zoe schwer körperlich misshandelt wurde. Zivilcourage? Solidarität? Jeder ist sich selbst der Schwächste.

Gerade die Enttarnung der, wie eingangs erwähnt, durchweg labilen Männer, die sich durch alle Art von Unsicherheit, Unzuverlässigkeit, Unzulänglichkeit auszeichnen, wird ganz geduldig gezeigt, als ob die Fassade wie eine Zwiebel langsam gehäutet wird. Die Männer sind ambivalent mit Tendenz zum Versagen. Die dominierenden Frauen haben einen Standpunkt, sind aber nicht ambivalent, wie sie diesen Standpunkt knallhart durchsetzen. Man könnte fragen, ob ein wenig bittere Komik der manchmal fast überernst erzählten Geschichte nicht noch mehr Wirkung gegeben hätte. Aber dafür entdeckt Regisseur Jens Wischnewski in der Ausdruckstiefe, die das verstockte Schweigen, die Pause vor einer muffigen Antwort und das vielsagende Nichtbeantworten einer Frage sowohl bei Frau Major Holt als auch den Kindern und Jugendlichen haben kann, als eigene Kunstform des kleinstädtischen Dramas.

Neuland, ZDF, Dienstag und Mittwoch, 22.15 Uhr, jeweils drei Folgen und in der Mediathek.

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