Neues "Spiegel"-Haus in Hamburg:Von "Austs Glotze" zum Glasklotz

Einen Hauch von Prospektglück unter Kokospalmen vermittelt das neue, türkisblaue Haus des "Spiegel"-Verlags in der Hamburger Hafencity. Die neue Epoche für das Nachrichtenmagazin beginnt mit Sachlichkeit und klaren Linien. Nur vierzig Mitarbeiter von Spiegel-TV landen nicht im Glasbüro, sondern auf der Straße.

Till Briegleb

Vier Wochen nach Einzug des Spiegels in sein neues Haus stehen die Bilder der Mitarbeiter immer noch auf dem Fußboden. Eine Beatles-Grafik und ein Poster "Keep Calm and Carry On" bei Chefredakteur Georg Mascolo, romantische Venedig-Fotos und anderes Fernweh in den tieferen Geschossen, nur im Großraumbüro von Spiegel online, wo es keine Trennwände gibt, kleben die Poster an den Schränken - unter anderem: "Keep Calm and Carry On".

Neue Adresse des Spiegel-Verlags

Das neue Haus des Spiegel-Verlags in der HafenCity in Hamburg. Erstmals sind wieder alle Redaktionen unter einem Dach versammelt.

(Foto: Bodo Marks/dpa)

Ist das Hektik, Schlamperei oder neuer Spiegel-Stil? Weder noch. Bilder kann man in dem 110-Millionen-Euro-Neubau nur mit Spezialhaken anbringen, und die Originale vom Hersteller der Trennwände, mit denen die Büros geteilt werden, sind so teuer, dass der Verlag sie billiger nachbauen lässt. Und das dauert noch.

Das wäre eigentlich nur eine Marginale, hätte das Thema "Nachbauen" für das ganze Objekt am Tor zur HafenCity nicht leitmotivischen Charakter. Die berühmte Spiegel-Kantine von Verner Panton, deren denkmalgeschütztes Original ins Museum für Kunst und Gewerbe gegeben wurde, hat man in Form einer Snack-Bar nachgebaut. Der Grundriss des Gebäudes ist ein bisschen dem Chilehaus mit seiner berühmten Schiffsbugecke nachempfunden, der Gesamt-Auftritt ein bisschen Röhrenfernseher als Stadtkrone.

Tatsächlich sollte in dem großen zurückgesetzten "Fenster zur Stadt" ursprünglich eine riesige Medienwand Spiegel-TV auf die wehrlosen Autofahrer am Verkehrsknotenpunkt Deichtor strahlen - damals nach dem amtierenden Chefredakteur spöttisch "Austs Glotze" oder "Stefan is Watching You" getauft. Aber das hätte innen dann doch zu viele Arbeitsplätze verdunkelt. Also kann man Fern-Sehen jetzt in die Büros hinein, TV return sozusagen.

Andere Merkmale der neuen Medienzentrale, in der erstmals wieder alle Redaktionen unter einem Dach versammelt sind, erinnern an berühmte Architekturvorbilder. Das hohe Atrium mit seinen gleichmäßigen weißen Balustraden auf 13 Stockwerken ruft sofort John Portmans Erfindung der offenen Hotel-Lobby wach. Die Kommunikationsbrücken, die kreuz und quer durch den Luftraum führen, finden ihr Vorbild in Ralph Erskines Büro-Prototyp "The Ark" in London, nur in ordentlich. Und die Kombination aus Backstein-Sockel und Glas-Aufbau ist eine klare Referenz an die Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron auf der anderen Seite der HafenCity, deren musikalische Glasbrandung auf einem alten Speicher thront.

Können die Partner des mittlerweile 86-jährigen dänischen Altmeisters Henning Larsen, dessen Büro das neue Spiegel-Heim gebaut hat, also nicht originell? Oder durften sie sich einfach nicht zu weit von der belanglosen Architektur entfernen, die an dieser Stelle der HafenCity den Hintergrund schafft?

Ein wirkliches Gebäude, nicht nur ein Bürohaus

Dass der gespaltene Glasklotz - ein Kontorhaus im gleichen Stil steht hinter dem Spiegel-Gebäude und bildet mit ihm eine trichterförmige Plaza aus - trotzdem ein Hingucker ist, liegt an der Farbe. Obwohl die Architekten selbst immer von einem weißen Gebäude sprechen, ist das Spiegel-Haus jetzt türkis. Die vorgehängte Glasfassade gibt den weißen Fensterkästen den Ton von sauberem Meer über Sandstrand, also irgendwie von Prospektglück unter Kokospalmen. Das ist vor dem absurden Klinker-Diktat, mit dem Hamburg seinen neuen Stadtteil aussehen lässt wie einen architektonischen Stummfilm, ein wirklich schöner Farbklang. Und in Verbindung mit der windschiefen Form und dem 50 mal 35 Meter großen "Fenster" erzeugt die Architektur dann doch eine Präsenz, die ihr das Prädikat verdient, ein wirkliches Gebäude zu sein, nicht nur ein Bürohaus.

Spiegel-Gruppe am neuen Standort

Die Kantine im neuen Spiegel-Gebäude.

(Foto: dpa)

Weil mehr Flair, Esprit und Witz, die sich ein Betrachter von Außen wünschen mag, nicht immer den Bedürfnissen der Nutzer entsprechen, hat der Verlag aus der Erfahrung mit Verner Panton im alten Spiegel-Hochhaus gelernt. Die schrill bunte und formenwilde Innenarchitektur, die der dänische Designer Ende der Sechziger dem nüchternen Funktionalismus von Werner Kallmorgens Architektur entgegen setzte, verschwand nicht zuletzt auf Wunsch der Redakteure Stockwerk für Stockwerk wieder, bis nur noch die Kantine übrig blieb.

Entsprechend beginnt die neue Epoche des Spiegels lieber gleich mit Sachlichkeit. Weiße Wände, graue Teppiche, heller Naturstein und saubere Linienführung beherrschen die klare Ordnung der inneren Struktur, Farbe ist verbannt in die Fluchttreppenhäuser. Dafür lassen sich in den Büros die Fenster öffnen, die Akustik ist gedämpft auf das Konzentrations-Level einer Bibliothek, und fast alle Arbeitsplätze sind nach Außen orientiert, so dass nur in den Großraumbüros bei Sonnenschein die Energiesparlampen brennen. Alles öko, angenehm und gesund - ohne das taugt Architektur heute nicht mehr zum Selbstmarketing.

Pech für den Verlag, der die Präsentation des neuen Domizils mit der vorgezogenen Jahrespressekonferenz verband, dass ausgerechnet jetzt rund vierzig Mitarbeiter gefeuert werden. Wegen des Endes von Kerner, das Spiegel-Infotainment zusammen mit dem Moderator produziert, trennt sich die ohnehin defizitäre Abteilung nach dem Aus für Pocher erneut von einem Team.

"Das ist das normale Leben", kommentiert Geschäftsführer Ove Saffe den Vorgang in aller Kühle. Die passt zur Architektur, aber nicht wirklich zum Schicksal. Zumal Saffe ansonsten finanzielles Wohlergehen verkündet. Der Umsatz steigt, die I-Pad-Version des Heftes gewinnt an Lesern, Spiegel online ist eine Erfolgsgeschichte, nur die Reichweitenentwicklung stagniert. Also kein Grund, den Entlassenen ein paar warme Worte zu gewähren. Das neue Hausmotto lautet schließlich: "Keep Calm and Carry On".

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