Neues Magazin:Viereckig, rollt nicht

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Für Ritter auf Zeitreise könnte schon etwas drinstehen, aber für Leser jenseits der Fünfzig bleibt das Magazin "Spiegel Classic" recht erwartbar.

Von Harald Eggebrecht

Der Dichter Gottfried Benn hat einmal gemeint, es reiche fürs Leben, ein oder zwei wirklich gute Gedichte geschrieben zu haben. Im neuen Spiegel-Produkt Classic "für Menschen mit Erfahrung und Entdeckergeist" gibt es in diesem Sinne immerhin einen richtig schönen, auf genauer Beobachtung beruhenden, behaltenswerten Satz. Er stammt vom ehemaligen Weltklassefußballer Peter Ducke, der einst in der DDR Starruhm genoss, aber im Westen heute nur Spezialisten bekannt ist. Doch jetzt der Satz: "Etwas Rundes, das sich bewegt, das rollt, das ist immer interessant."

Nun, es liegt in der äußeren Natur von Zeitschriften, dass sie viereckig sind und nicht rollen können. Also muss die Bewegung, das Interessante im Inneren stattfinden durch die Originalität der Beiträge, durch überraschende Neuigkeiten oder spannende Berichte, aufklärende Interviews oder treffende Glossen. Es braucht in Hülle und Fülle, um es mit dem Dramatiker Christian Dietrich Grabbe zu sagen, "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung". All das vermisst man als Leser "Ü50" bei Spiegel Classic schmerzlich.

Nehmen wir den im Untertitel beschworenen Entdeckergeist: Er erschöpft sich vor allem in einer langatmigen mehrteiligen Wiederaufbereitung des Wettlaufs der Supermächte zum Mond und der Landung dort 1969 durch die "Apollo 11"-Mission. Das ist eine allerdings schon angejahrte, durchaus bekannte Heldenstory, auch wenn man gern wieder einmal dem sympathischen Astronauten Buzz Aldrin im Porträt begegnet. Auch das Interview mit Henning Kagermann, Lobbyist für Elektromobilität, fällt weniger durch Entdeckergeist, also bohrendes Fragen nach den vielfältigen ökologischen Problemen des Elektroautos auf als durch den Ton freundlicher Wiederholung von lang Bekanntem.

Am meisten irritiert, dass hier ein Heft konzipiert wird, als ob es nicht all die anderen Medienquellen, unter anderem den wöchentlichen Spiegel, gäbe, aus denen man sich, ganz gleich ob diesseits oder jenseits der fünfzig, ständig informiert, etwa was den Krieg in Syrien, die Flüchtlinge und andere aktuelle Schwierigkeiten und Ängste angeht. Der Ritter auf dem Cover wirkt daher in seiner Rüstung eher so, als sei er mittels Zeitmaschine in der Gegenwart gelandet und müsse sich nun erst einmal durch dieses Heft lesen, um zu erfahren, was in den letzten fünfzig Jahren in dieser Welt so los war.

Kultur im engeren wie weiteren Sinn spielt übrigens nur eine beschämend marginale Rolle: Da wird der Sängerin Okka von der Damerau eine Weltkarriere vorausgesagt, die längst im Gang ist, ein paar Kleinstkritiken über Kino, Theater, Pop, Kunst füllen mit Fotos eine Doppelseite, ein Schriftsteller antwortet auf die Frage nach der Philosophie des Teetrinkens, Albert Camus wird rasch in seiner Aktualität gepriesen. Mario Adorf erzählt mit Charme über seine ersten Frauenschwärme, der Gärtner David Culp über seine Blütenträume. Gedächtnis, Gesundheit, Sachbuch, Reise, Kochen, neue Wohnformen - hatten und haben wir das nicht allerorten?

Wie gesagt, vielleicht ist so ein Heft ja für einen mittelalterlichen Ritter interessant, auch wenn einen hier nichts Weibliches hinan zieht, denn das Konzept wirkt arg männerblickwinklig. Bleibt Peter Ducke, der begnadete "Pelé des Ostens". Der erzählt so dicht und frisch von der Leber weg, weil Glück nur im Hier und Jetzt zu erfahren ist.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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