Süddeutsche Zeitung

Neues Digitalradio DAB+:Abgeschaltet

Liegt hier ein Eingriff in die Rundfunkeinheit vor? Dortmunds Digitalradios bleiben still, weil die Polizei es will. Die Ordnungshüter monieren, dass ihr Funkverkehr durch die neue Übertragungstechnik gestört wird. Der Intendant des Deutschlandradios schäumt.

Bernd Dörries

Es ist die Frage, was denn nun wichtiger ist: die innere Sicherheit oder der öffentlich-rechtliche Bildungsauftrag? Die Dortmunder Polizei hält es für die bessere Alternative, am Wochenende in ihren Funkfrequenzen nicht gestört zu werden. Sie will ohne Rauschen und Knarzen mehrere Tausend Einsatzkräfte dirigieren, die wiederum demonstrierende Neonazis und deren Gegner auseinanderhalten sollen.

Willi Steul, der Intendant des Deutschlandradios, ist nicht grundsätzlich gegen Polizeieinsätze, aber der Fall geht ihm zu weit: "Es stellt sich die Frage, ob dies nicht bereits ein Eingriff in die Rundfunkfreiheit ist." Es hört sich so an, als ob Polizei und der Radiomann nicht auf einer Wellenlänge liegen - doch genau das tun sie, und damit beginnt das Problem.

Am 1. August wurde in Deutschland das neue Digitalradio DAB+ eingeführt, das bessere Qualität und mehr Programme verspricht. Die Frequenzen von DAB+ liegen aber nicht weit von denen des Polizeifunks.

Die Beamten hören nun in ihren analogen Funkgeräten oft nur Rauschen. Besonders drastisch ist der Fall in Dortmund, wo das Innenministerium bis Sonntag die neuen Digitalsender abschalten lässt, was den Chef des Deutschlandradios auf die Palme bringt. "In Dortmund liegen die Anlagen der Polizei und der Rundfunksender zu nah beieinander", sagt ein Sprecher der Bundesnetzagentur, die prüfen will, ob das Problem auch in anderen Städten existiert.

Die Düsseldorfer Polizei und auch die Feuerwehr berichten über Funkstörungen, vor allem die veralteten Handfunkgeräte der Polizei versagen. Beamte berichten, dass sie an manchen Stellen der Stadt einen schönen Blick auf das Polizeipräsidium haben, aber keine Verbindung.

Bei geringem Funkaufkommen kann die Polizei noch die Frequenzen wechseln, bei Großeinsätzen wie in Dortmund geht das nicht mehr. Die Polizei erwartet für diesen Samstag mindestens 1000 Aktivisten aus dem rechtsextremen Spektrum, das bürgerliche und linke Lager rechnet mit bis zu 4000 Gegendemonstranten.

Die Gewerkschaft der Polizei nimmt die Funklöcher zum Anlass, mal wieder die schnellere Einführung des digitalen Polizeifunks anzumahnen. Der ist jetzt seit fast 20 Jahren in Planung und scheint komplizierter zu sein als eine Reise zum Mars. Im Jahr 2014, so die jüngsten Prognosen, von denen es schon viele gab, sollen Polizei und andere sicherheitsrelevante Organisationen digital funken können, so wie ihre Kollegen in vielen anderen europäischen Ländern.

Ob das gelingt, ist fraglich; von den benötigten 4500 Sendemasten steht etwa ein Zehntel. Zumindest aber ist der Digitalfunk offenbar resistent gegen öffentlich-rechtliche Kultursendungen. Die Berliner Feuerwehr, die nach eigenen Angaben bereits überwiegend digital funkt, berichtet, dass es in ihrem Bereich keine Störungen gebe.

Insgesamt hat das neue Digitalradio bisher mehr Ärger verursacht als neue Hörer gewonnen. In vielen Tausenden Haushalten ist seit dem Beginn der Ausstrahlung der analoge Fernsehempfang gestört. Im Frankfurter Raum ist das ZDF verschwommen, in Nordrhein-Westfalen das Programm der ARD, in Hamburg RTL. "Der Grund sind Antennenkabel, die nicht genügend isoliert sind", sagt ein Sprecher der Bundesnetzagentur. Mehrere Kabelbetreiber bieten ihren Kunden den kostenlosen Austausch der Fernsehkabel an. Die Polizei benutzt derzeit lieber das Handy.

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SZ vom 03.09.2011/pak
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