Neuer "Tatort" aus Erfurt:Alter!

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Im Erfurter-Tatort bekommt Kommissar Henry Funck (Friedrich Mücke) eine Praktikantin (Alina Levshin), die ihn erstmal nervt. (Foto: MDR/Marcus Goldhahn)

Friedrich Mücke ermittelt am Sonntag zum ersten Mal als Kommissar im neuen Erfurter "Tatort". Gemeinsam mit Benjamin Kramme und Alina Levshin bildet er das jüngste Ermittler-Gespann in der Geschichte der Krimireihe. Begegnung mit einem Ruhelosen.

Von Anne Hemmes

Friedrich Mücke kann nicht stillhalten. Er beugt sich vor, nimmt die Brille ab, setzt sie wieder auf. Wenn er spricht, blickt er sein Gegenüber an, nur um sich Sekunden später zurückzulehnen und aus dem Fenster zu schauen. So schnell wie er seine Körperhaltung verändert, so schnell scheint er das Interesse an etwas verlieren zu können. "Ich habe gesagt, ich mache zehn Jahre Festengagements am Theater. Das hat komischerweise nicht lange vorgehalten. Ich ticke doch anders."

Bis vor anderthalb Jahren gehörte der 32-Jährige fest zum Ensemble des Münchner Volkstheaters, es folgten ein paar Kinofilme ("Friendship!", "Mahler auf der Couch") und jetzt die Rolle als Hauptkommissar Henry Funck im neuen Tatort aus Erfurt. Eine logische Konsequenz war diese Karriere-Abfolge nicht. "Theater löst in mir eine ganzheitlichere Auseiandersetzung mit Themen aus. Film ist viel kurzfristiger." Momentan sei er mit dem Drehen sehr glücklich. "Ich widerspreche mir da mittlerweile immer wieder. Es ist immer eine Phase." Eine Phase, für die er sich nun immerhin fünf Jahre verpflichtet hat.

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Im "Tatort" herrscht eifriges Kommen und Gehen. Der jüngste Zuwachs lässt auf bissige Kommentare hoffen.

Für viele Schauspieler bedeutet eine Rolle als Tatort-Ermittler die Krönung ihrer Karriere. Der gebürtige Berliner Mücke sieht das Engagement beim MDR nüchterner. "Spielerisch ist es doch eher eine sehr funktionale Rolle. Es gibt Schauspieler, die das nie machen würden, weil sie sagen, dass es keine Spielfläche bietet." Für ihn war aber das Konzept entscheidend. "Bei uns gibt es ein paar Nebenstränge, nicht bloß den Fall. Wir klopfen nicht nur an und zeigen den Ausweis." Trotzdem: als Haupt- oder Nebenrolle in nur einer Episode könne man die größeren Dramen spielen. Warum dann die Zusage? "Es gab neue Teams und Schauspieler, die ich bis dahin mehr verfolgt hatte als andere", sagt er und berlinert, wie während des ganzen Gesprächs, weiter: "Leute, bei denen ick mir dachte: Ach, dat is ma'n Kaliber!" In dieser Riege dabei zu sein, habe er reizvoll gefunden.

Platz am Fenster

Das für Mücke so entscheidende Konzept ist vor allem eines: jung. Gemeinsam mit Benjamin Kramme (Maik Schaffert) und Alina Levshin (Johanna Grewel) bildet er das jüngste Ermittler-Team in der Tatort-Geschichte. Die erste Folge ("Kalter Engel") beginnt und endet mit dem Wort "Alter", wie in "Ey, Alter!". Die Kollegin hat "einen geilen Arsch" und das Umfeld, in dem sie ermitteln, ist studentisch. ARD-Programmdirektor Volker Herres spricht von einer "jugendgemäßeren Sprache" und einem "anderen Kleidungsstil". Die Gefahr, auf ein bestimmtes Image reduziert zu werden, sieht Mücke dabei nicht. "In der zweiten Folge muss man nicht mehr so viel "Alter" sagen. Aber für die erste war es sinnvoll, um eine Richtung vorzugeben." Abgesehen davon habe das Wort nicht im Drehbuch gestanden. "Tatsächlich rede ich so, dieses 'Alter' ist von mir." Überhaupt, seine Sprache. Das Wort "krass" benutzt er gerne. Das Tempo: worthastig. Pausen macht der Wahl-Münchner beim Reden selten, einige Sätze enden abrupt, weil sich bereits ein neuer Gedanke vordrängelt.

Anders seine Figur Henry Funck, der direkt aber ruhig, ja beinahe stoisch agiert. Funck ist alleinerziehend, verknallt in die verheiratete Nachbarin, zickig zur Kollegin und beginnt in der ersten Episode eine Affäre mit einer Zeugin. Frauen spielen im Leben des Kommissars laut Mücke überhaupt eine "ganz große Rolle". Die Figur hat er mitentwickelt, hätte aber gerne noch mehr Einfluss. Er könne sich für Funck gut vorstellen, dass "immer irgendwo eine Madame rumläuft, die er sich schnappt".

Funcks Praktikantin wird es jedenfalls nicht sein. Die Zusammenarbeit des Trios um den Mord an einer Studentin beginnt holprig. Erst wird Johanna Grewel von ihren Kollegen kaum wahrgenommen, dann nervt sie Funck mit ihrer besserwisserischen Art. Am liebsten würde er sie sofort wieder loswerden. Ein eigener Schreibtisch? Johanna kann an der Fensterbank sitzen. "Henry kommt ab und zu sehr machohaft rüber. Er gibt Johanna Kontra. Am Ende löst sich das ein wenig auf. Aber wir können uns nicht gleich in der zweiten Folge wieder lieb haben."

Das Verhältnis zu seinem Kollegen Maik Schaffert ist freundschaftlich, es gibt keinen Konkurrenzkampf. Mücke glaubt, dass das noch kommen wird. "Maik hat andere Vorstellungen von seiner Arbeit als Henry, der karriereorientiert ist, zielstrebig und gewissenhaft. So bin ich zum größten Teil in meinem Beruf auch." Das und die Vaterschaft seien die einzigen Gemeinsamkeiten mit seiner Rolle als Kommissar.

"Ich will auch weiterhin gute Bücher"

Dass er trotzdem irgendwann nur noch als Henry Funck wahrgenommen werden könnte, war das Erste, womit er sich nach dem Angebot auseinandergesetzt hat. Vielleicht sagen andere: "Endlich und nur noch Tatort, ich will nichts anderes mehr machen. Das ist bei mir nicht so. Ich würde gerne andere Sachen nebenher machen. Es ist vielmehr ein Experiment, herauszufinden, was parallel möglich ist." Deswegen war es für ihn entscheidend, nur einen Tatort pro Jahr zu drehen. "Wäre es mehr als eine Folge gewesen, hätte ich es vielleicht abgesagt."

"Wir klopfen nicht nur an und zeigen den Ausweis", sagt Friedrich Mücke (r.) über das neue Ermittler-Trio aus Erfurt. (Foto: MDR)

Mücke spricht dennoch von einer Verbundenheit mit dem Tatort. "In Erfurt sorgt das für viele Diskussionen, die freuen sich wie Sau. Du hast fast das Gefühl, du hast dafür Verantwortung." Zum ersten Mal macht er eine längere Pause, bevor er weiterspricht. "Das habe ich bei anderen Rollen nicht. Gegenüber dem Stoff, ja, aber gegenüber einer Stadt?"

Mücke dreht die Kaffeetasse in der Hand, knibbelt daran herum. Verantwortung hin oder her: Er sehe es nicht als Pflicht, das 20 Jahre zu machen. Oder zehn. "Wenn Alina oder Benjamin irgendwann sagen 'Nein', ist das sehr entscheidend. Dass die beiden mitspielen, war einer der wichtigsten Punkte, warum ich zugesagt habe." Er wechselt wieder in eine aufrechte Sitzposition. "Nicht unspannend" findet er es, über fünf Jahre nachzudenken. Wo es danach hingeht? "Ich würde weitermachen, aber ich will auch weiterhin gute Bücher. Ich drohe jetzt aber nicht", sagt er und lacht.

Eine letzte Frage: Gibt es einen Tatort-Ermittler, an dem er sich orientiert? "Schimanski. Das war ein Ausnahme-Kommissar. Es war herausragend, was er gemacht hat." Begeistert er sich für etwas, legt Mücke oft noch ein paar Wörter nach: "Enorm. Mir gefällt das richtig." Als er geht, schlüpft er in seine Jacke, kramt das Handy hervor. Im Gehen schaut er darauf, sagt, dass er jetzt schnell nach Hause muss. Die Kinder haben Fieber.

"Kalter Engel", ARD, Sonntag, 20.15 Uhr

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