Neue ZDF-Sendung "Precht":Reden übers Denken

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Als Bestsellerautor hat er demonstriert, wie man alten Wein in neue Bücher abfüllt. Demnächst versucht Richard David Precht nun, das ZDF-Publikum an all das heranzuführen, was neuerdings in den großräumigen Brotbeutel Philosophie passt: Pädagogik, Gentechnik, PID-Forschung, aber vor allem Lebenshilfe, Lebenshilfe, Lebenshilfe.

Willi Winkler

Seit je findet der denkende Mensch wenig Gefallen am Fernsehen. Als der Apparat anfing, sich im Wohnzimmer breit und immer breiter zu machen, meldete sich sofort die Kulturkritik, der - nicht weiter überraschend - der Untergang des Abendlands durch die sanft bollernde Röhre schwante. Ein zeitgenössischer Witz sah zwei ernste Herren ihr gewiss hochphilosophisches Gespräch vor einem Schaufenster mit fleißig rotierenden Waschmaschinen unterbrechen, wobei der eine kritisch anmerkt: "Solang das Bild nicht besser wird, kommt mir kein Fernseher ins Haus."

Helfen ihm die angenehmen Züge ins und im Fernsehen? Für einen Autor, der über Millionenauflagen gebietet, kommt Richard David Precht zu einem Schluss, der ein bisschen fett klingt: "Wenn ich anders aussehen würde, würde ich in den Feuilletons besser behandelt." (Foto: dapd)

Dabei bergen die Archive mit den frühen Sendungen die angestrengtesten Versuche, Kultur auch mit etwas höherem Quotienten ins Fernsehen zu teleportieren. Die Männer (Frauen waren ja wie im heutigen Saudi-Arabien aus bestimmt religiösen Gründen nicht zugelassen) rauchten, als wollten sie sich an Ort und Stelle umbringen, diskutierten die Deutschlandfrage, die kommunistische Gefahr oder später auch den Nationalsozialismus.

Mit größtem Aufwand inszenierte sich das frühe Fernsehen als Bildungsanstalt, eine Volkshochschule in Schwarzweiß, in der es vorkommen konnte, dass als Gastdozentin Hannah Arendt erschien und bei Günter Gaus erläuterte, warum sie noch immer an der deutschen Sprache hinge.

Proben daraus gibt es heute nur noch zu sehen, wenn Füllmaterial für Dokumentationen gebraucht wird. Dann tauchen längst verstorbene Herrschaften auf, kriegsgezeichnet oft und noch immer halb verhungert, keiner schön, schlimme Zähne oft, aber auch da half ja das Qualmen.

So haben sie sich das Hirn heiß geredet. Kein koksender Kameraguerillero filmte unter der Tischplatte durch, kein Dr. Mabuse von Schnittmeister sorgte für Tempo, und die Quote galt damals weder Frauen noch Zuschauern, sondern ausschließlich der Berechnung von Agrarsubventionen. So fremd, so fern ist das alles heute, ein halbes Terra-X-Jahrhundert her, und sofort wegzappen würden die Zuschauer, sagen die gebührenfinanzierten Quotenknechte bei ARD und ZDF.

Am liebsten wäre ihm seine Sendung in Schwarzweiß gewesen, sagt Richard David Precht. Er hat leicht reden, denn das haben andere, das hat das ZDF und sein Produzent Gero von Boehm, bereits anders und zuschauerverträglich entschieden.

Am 2. September kommt der "Philosoph und Bestsellerautor" (wie ihn das ZDF stolz ankündigt) zur bewährten nachtschlafenden Zeit kurz vor Mitternacht, um einen hoffentlich interessanten Forscher, Wissenschaftler, Politiker oder auch Philosophen in ein ausgedehntes Gespräch zu ziehen.

Debüt mit kreischigem Thema

Damit es nicht zu akademisch zugeht, soll als erster Gast Gerald Hüther erscheinen. Das etwas kreischige Thema "Macht Lernen dumm?" kann zum Schulbeginn auf ein gewisses Interesse hoffen.

Die Sendung heißt wie der Mann: Precht. So einsilbig klingt es markant, streng wie ein Befehl, und ein Ausrufezeichen würde die Botschaft noch weiter verstärken, dass es hier darum geht, einem durch Filmfunkfernsehen bestens eingeführten Mann beim Denken oder doch dem Reden darüber zuzuschauen.

Precht verdrängt - dem Wissenschaftsautor Precht ist Darwin nicht fremd - das ein- und mit den Jahren etwas durchgesessene Philosophische Quartett der Herren Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski. Der schluchzte sich im Abschiedsschmerz zum "Fossil des aussterbenden Bildungsbürgertums" hoch, und Sloterdijk fand eine besonders gemeine Beschreibung für den jüngeren Nachfolger: "Seine Klientel gleicht eher der von André Rieu, den hören auch vor allem Damen über fünfzig in spätidealistischer Stimmung."

Precht findet diese Äußerung ziemlich unoriginell. Anspielungen auf sein jederzeit mit Markus Lanz konkurrenzfähiges Aussehen weist er mit einem Satz von Ernst Jünger zurück: Wer sich selbst kommentiert, geht unter sein Niveau. Vielmehr sei es eine Zumutung, sein eigenes Aussehen kommentieren zu müssen.

Anderen Männern würde die Frage, ob ihnen angenehme Züge ins und im Fernsehen helfen, nicht gestellt, wohl aber ihm. Deshalb kommt er zu einem Schluss, der bei einem Autor, der über Millionenauflagen gebietet und in dreißig Sprachen übersetzt ist, doch ein bisschen fett klingt: "Wenn ich anders aussehen würde, würde ich in den Feuilletons besser behandelt."

In einem Spiegel-Portrait, auf das er sich im Gespräch beruft, wurde Precht 2008 nicht zuletzt seines Aussehens wegen gefeiert: "Er hat ein Gesicht, mit dem er bestens einen Intellektuellen auf der Leinwand geben könnte - dunkel gebettete Augen unter Nietzsche-Brauen, feine blasse Züge, dazu eine markante Nase und lang fließendes Haar."

Der Spiegel-Dichter phantasierte seinen Star gleich ganz hoch auf die Leinwand: "Man denkt gleich an Jean-Pierre Léaud, den vom Existenzialismus gebeutelten Denker und Raucher vieler Nouvelle-Vague-Filme aus den Sechzigern, an genialisch verquatschte lange Nächte und tragisch umflorte Enden." Wer braucht da noch das böse Feuilleton?

Der Spiegel konnte nicht einmal einem so naheliegenden Wortspiel widerstehen, schrieb vom Blitzaufsteiger Precht, er "prescht sozusagen über Nacht aus dem Nichts an die Spitze aller verkauften Sachbücher". Gemeint war der von Elke Heidenreich als "unverzichtbar" gepriesene Philosophie-Digest Wer bin ich, und wenn ja wie viele?, mit dem Precht 2008 sogar den frommen Wandersmann Hape Kerkeling von der Spitze der Bestsellerliste putzte.

Gemeint war aber vor allem der jugendliche Aufrührer, der den Alten einmal so richtig zeigt, wie man alten Wein in neue Bücher abfüllt. Von kommenden Monat an soll er das am Sonntagabend sanft entschlafende ZDF-Publikum an das heranführen, was neuerdings alles in den großräumigen Brotbeutel Philosophie passt: Lebenshilfe, Pädagogik, Gentechnik, PID-Forschung, aber vor allem Lebenshilfe, Lebenshilfe, Lebenshilfe.

Hoffnung auf gemeinschaftliches Engagement

Es gibt deshalb kaum einen größeren Gegensatz, als in einem schalltoten Besprechungszimmer einer Hamburger Niederlassung des ZDF mit diesem immer noch jünglingshaften 47-jährigen Enthusiasten zu sprechen. Vor den Scheiben rollen ICEs über die Elbe nach Berlin und Frankfurt, der Sommer tanzt fröhlich und heiß im Klimawandel, und Precht schwärmt vom Reformschub, den sich die deutsche Gesellschaft während der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt leistete.

Diesen Aufbruchsgeist, diesen tagespolitikfernen Idealismus wünscht er sich heute wieder. Er sieht die Fundamente der repräsentativen Demokratie unterspült und hofft auf ein gemeinschaftliches Engagement zur Veränderung. In Politik wie Gesellschaft beobachtet er einen "ungeheuren Angststillstand". - "Das Wichtigste, was der Politiker heute lernt, ist, vorsichtig zu sein."

Von seiner Sendung hofft er, dass sie das Gespräch in den Alltag hinein vorantreibt, dass der eine oder andre Zuschauer mit den Arbeitskollegen ins Reden kommt und darüber nachdenkt, wie vernünftig und praktikabel die Gedanken waren, die am Abend vorher in Precht entwickelt wurden. "Was wir machen", sagt er, "ist revolutionär, weil es altmodisch ist. Ich glaube auch, dass die Zukunft des Fernsehens so sein wird."

© SZ vom 03.08.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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