Neue Website:Alles kann, nichts muss

Das Springer-Jugendportal "Noizz" sediert Millennials mit Klebeband-Bikinis und Rucola-Burgern. Hauptsache, man leiert der Laufkundschaft Klicks aus dem Kreuz. Das politische Weltgeschehen ist der Seite egal, jeglichen Diskurs scheint sie regelrecht zu verachten.

Von Cornelius Pollmer

Seit einer Woche betreibt der Springer-Verlag eine neue Internetseite. Wer deren Zielgruppe angehört, nämlich zu den "Millennials und Post-Millennials", das lässt sich mit einem wirklich einfachen Test herausfinden. Man lasse sich, erstens, erzählen, wie das neue Portal heißt. Man gebe, zweitens, die Adresse in den Browser ein. Freut man sich, drittens, nun über die sachliche Vorstellung der "Drogenberatung online", den Bericht zur geplanten Kita in Weißenberg oder den Artikel zur Kastrationspflicht für Katzen, so ist man nicht bei Springer gelandet, sondern in Nordrhein-Westfalen, auf der Homepage der Stadt Neuss. Springer aber geht es um Neues und um Lautstärke. Als Millennial respektive Post-Millennial geht man da sicher gleich in die Scrabble-Vollen - dreifacher Wortwert für www.noizz.de.

Auch auf noizz.de geht es um Katzen, unter der Dachzeile "Flausch" behauptet eine Überschrift: "Diese Hunde magst Du selbst als Katzenfan!". Auch auf noizz.de geht es um Drogen, denn wie das Ressort "Entertainment" zu berichten weiß, sucht "unsere Regierung . . . Dope-Dealer - per Stellenanzeige!". Um Kitas geht es bislang nicht, aber das lässt sich mit der Zielgruppe begründen. Nicht so leicht dürfte es mit der Begründung für den journalistischen Anspruch werden, für den zwei dem Hörensagen nach wichtige Regeln von Swinger-Clubs Pate standen: Alles kann, nichts muss - und erlaubt ist, was gefällt.

Jeglichen Diskurs scheint die neue Seite regelrecht zu verachten

Dass die Dinge in Likes messbar gefallen, darauf kommt es digital besonders an. Diesem Diktat ergibt sich noizz.de in fast euphorischer Willfährigkeit. Die farblich abgehobenen, demnach wichtigsten Filter-Parameter der Seite lauten: Beliebt, Quiz, Video, Food. Unter letzterem ist über Brokkoli-Bällchen als "fleischloser Alternative zu Buletten" zu lesen. Vielleicht knetet man die Bällchen aber auch einfach mal so, um dann noizz.de damit zu bewerfen, weil die Seite jeglichen Diskurs zu verachten scheint. Klebeband-Bikinis, Rucola-Burger, trashige Russen-Songs - Hauptsache, man leiert der Laufkundschaft noch einen Klick mehr aus dem Kreuz und Hauptsache, sie kommt dabei nicht zur Ruhe. Optische Brüller, inhaltlich sedierend seicht - noizz.de ist so etwas wie das Ischgl unter den Jugendportalen, an dessen gar nicht mal so doofen Slogan hier nicht zufällig erinnert werden soll: "Relax. If you can".

Zwei Offensichtlichkeiten: Ja, auch Jahrtausendprojekte wie bento.de (Spiegel) oder ze.tt (Zeit) verirren sich mal zwischen doof und originell, das soll in den besten Medienhäusern vorkommen. Der Markt wird auch nicht besser, wenn man alles Neue furchtbar und das Gestern so schön findet, wie es nie gewesen sein kann. Wenn einem aber nicht-quantitative Relevanz und die Ordnung des Weltgeschehens bis auf spärlich gesäte Ausnahmen so umfassend egal sind, wie es sich bei noizz.de bislang beobachten lässt, dann ist es noch maximal höflich, dies zeitgemäß zu nennen.

Manuel Lorenz vom Bild-Team Neue Plattformen sagte zur Einführung, noizz.de wolle Menschen ansprechen, "die sich für urbanen Life-Style interessieren". Hierzu abschließend das Protokoll eines Gesprächs, mitgehört neulich in einem urbanen Weltstadt-Restaurant. Mann 1 sitzt Mann 2 gegenüber und zeigt auf dessen Pulli, darauf steht: May the Bridges I burn light the way, mögen die Brücken, die ich abbrenne, den Weg weisen. Mann 1 sagt, das sei ja gerade total hip in den USA. Mann 2 fragt: Wie, was? Mann 1: "Na, Don't-give-a-fuckism". Mann 2: "Ach so, ja, klar."

Auch für diese Geisteshaltung gibt es bei noizz.de natürlich einen Test. Einfach das Ressort "Gefühle" anklicken, runterscrollen, alle Überschriften lesen - und dann stoppen, nach wie vielen Sekunden trotz Don't-give-a-fuckism die Tränen kommen.

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