Am Anfang ist da ein Furz. Mickey und Gus haben gerade eine lange Nacht miteinander verbracht. Ein Treffen an der Tankstelle, eine Autofahrt, erst zu ihrer Wohnung, dann zu seiner, wo die Polizei eine Ausgangssperre verhängt, weil sie in der Nachbarschaft einen gefährlichen Verbrecher jagt. Weshalb Mickey also ungewollt bei Gus übernachten muss. Am nächsten Morgen, die beiden haben gerade einmal mehr ergebnislos über ihre komplizierte Beziehung diskutiert, schließt er die Wohnungstür hinter ihr, atmet aus, entspannt sich. Und furzt. Einmal. Zweimal.
Es ist der Beginn der zweiten Folge der zweiten Staffel von Love. Und wieder steht die große Frage dieser Serie im Raum: Wird das noch etwas mit diesem Paar? Das die gesamte erste Staffel damit verbracht hat, irgendwie doch nicht zusammen zu finden? Love ist genauso eine Serie über die Möglichkeit der Liebe wie über ihre Unmöglichkeit. Weshalb man an dieser Stelle jetzt tatsächlich über diesen Furz reden muss, denn in ihm steckt alles, was diese Serie, nein, dieses ganze Seriengenre ausmacht.
Als Mickey die Wohnung verlässt und Gus furzt, lacht man als Zuschauer nicht. Das ist kein comic relief, kein Witz, der die angespannte Stimmung lockert. Ein wissendes Lächeln vielleicht, aber kein erlösender Lacher. Und das ist bemerkenswert. Denn eigentlich handelt es sich bei Love um eine Komödie.
Absichtliche Unlustigkeit zugunsten einer realistischen, relevanten und zeitgeistigen Geschichte
Im Laufe der vergangenen Monate hat sich ein neues Serienformat etabliert und langsam aber sicher verdrängt es die Sitcom und klassische Comedy-Serie von den Bildschirmen. Im Englischen hat man sogar schon einen Namen für dieses neue Genre gefunden: die sadcom, kurz für: sad comedy, die traurige Komödie. Mit klassischen Comedy-Serien und Sitcoms wie New Girl, Big Bang Theory und How I Met Your Mother teilt die sadcom nur noch ihr Format und ihre Grundkonstellation. In 20- bis 30-minütigen Episoden erzählt sie Geschichten aus dem Alltag ihrer Protagonisten, meist jung, meist irgendwie hip und urban.
Serien wie Love oder Transparent nehmen nun diesen Versuchsaufbau, seine exzentrischen Charaktere mit ihren Albernheiten und ihrem Humor, und erzählen damit große, bewegende Geschichten, die sehr oft mitten ins Herz gesellschaftlicher Debatten treffen. Unterhaltsam, ja, witzig, sicher, aber in vieler Hinsicht auch so nah dran am echten Leben, das einem das Lachen einen kurzen Moment später im Hals stecken bleibt. Diese absichtliche Unlustigkeit, der Bruch mit den komischen Erwartungen zugunsten einer realistischen, relevanten und zeitgeistigen Geschichte, keine Serie hat das bislang so gut hinbekommen wie Master of None.
Erdacht hat diese Serie, die bei Netflix gerade in die zweite Staffel geht, der indischstämmige US-Schauspieler und Comedian Aziz Ansari, der in Master of None auch die Hauptrolle des indischstämmigen US-Schauspielers Dev Shah spielt. Anders als Ansari in der Realität müht sich Dev in der Fiktion aber noch damit ab, seine Schauspielkarriere in New York endlich ins Laufen zu bringen. Von diesem Kampf um Selbstverwirklichung erzählt Master of None.
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Aber eigentlich geht es um viel mehr und das ist die große Leistung dieser Serie: Wie leichtfüßig, witzig und berührend sie ihre zutiefst ernsten Stoffe vermitteln kann. So geht es bei Master of None um Ballast und Vermächtnis der Einwanderergeneration, um Alltags-Rassismus und Diskriminierung, um Einsamkeit im Alter und sexuelle Belästigung. Die bislang fulminanteste Folge dieser fulminanten Serie erzählt von einem Ausgeh-Abend in New York City aus zwei unterschiedlichen Perspektiven: die der Männer. Und die der Frauen.
Während Dev und sein Kumpel nach einem Barbesuch zur Pfeiferei von "Don't Worry, Be Happy" durch die hell erleuchtete New Yorker Nacht flanieren, stolpert in Parallelmontage eine junge Frau, die gerade eben in derselben Bar war, zu Carpenter-Horror-Soundtrack durch düstere Gassen, vorbei an zwielichtigen Gestalten. Und während die Frau tatsächlich von einem Mann verfolgt wird, den sie in der Bar zuvor abgewiesen hat, passiert Dev auf dem Nachhauseweg das Schlimmste: Er tritt mit seinen neuen Sneakers in einen Haufen Hundekacke. 20 TV-Minuten, ein Lehrstück in Sachen männlicher Privilegien. Eine außergewöhnliche und Augen öffnende Fernseherfahrung.
Diese Erfahrung teilt Master of None mit all diesen anderen traurigen Komödien. Die schlauen Generationenporträts, wie Love oder Girls. Die Lebens- und Gefühlsstudien, die zeigen, was es bedeutet Transgender zu sein, wie in Transparent, oder jung und schwarz in Amerika, wie in Atlanta, oder weiblich und verzweifelt, wie in Fleabag. Diese sadcoms sprengen die Grenzen dessen, was in Serien und im Fernsehen erzählt werden kann. Auf manchmal humorvolle und dümmliche, manchmal bewegende und herzzerreißend traurige Art und Weise.
Nun sind Komödie und Tragödie zwei Seiten derselben Medaille, eng miteinander verknüpft und verwoben. Kaum einer hat diese Verbindung so meisterhaft vollzogen wie Woody Allen. Und im Grunde sind viele dieser neuen TV-Charaktere Widergänger seines Großstadtneurotikers. Aber sie sind viel dichter am echten Leben dran. Die Charaktere einer sadcom mögen zwar nicht die psychologische Tiefe und Komplexität eines Dramaserien-Protagonisten haben, sie sind aber auch keine Pointen-Schnellfeuergewehre wie Jerry Seinfeld, keine Zitatmaschinen wie Barney Stinson. Und wer ist denn im Alltag bitte so schlagfertig wie Chandler Bing? Die Protagonisten und Protagonistinnen der sadcoms hingegen umgibt diese im TV so seltene Aura von Normalität. Wie der Furz zu Beginn der zweiten Episode der zweiten Staffel von Love, in dem die ganze komische und tragische Normalität des Lebens steckt.