Neue Staffel "Game of Thrones":Sexistisch? Gewaltverherrlichend? Ganz im Gegenteil!

Game of Thrones

Okay, Gewalt gegen Zombies und andere Unwesen sieht "Game of Thrones" tatsächlich nicht besonders kritisch.

(Foto: AP)

Die gängigen Vorwürfe an die Fantasy-Serie findet unser Autor unhaltbar. Eine Anleitung zum "Game of Thrones"-Gutfinden.

Von Matthias Huber

Die beste Serie aller Zeiten? Ist "Game of Thrones" ganz bestimmt nicht. Sie ist nicht einmal die beste zur Zeit - in dieser Rangliste dürfte "House of Cards" weiter oben stehen, oder die famos gestarteten "American Gods". Noch genauer: "Game of Thrones" ist manchmal nicht einmal richtig gut. Kurz: Die Serie ist weit schlechter als ihr Ruf.

Und gleichzeitig viel besser, je nachdem, wie der Ruf-du-jour gerade lautet.

Denn ziemlich oft, wenn der Ruf gerade mal wieder ein schlechter ist, lautet er: "Sexistisch und gewaltverherrlichend". Dabei könnte man die Serie kaum in ein falscheres Licht rücken. Um den Vorwurf von Sexismus und Gewaltverherrlichung aufrecht erhalten zu können, darf man "Game of Thrones" nämlich auf keinen Fall bis zum (bisherigen) Ende gesehen haben. Oder höchstens im Dreiviertelschlaf und mit der ständigen Begleitlektüre der grenzdadaistischen "Das sind die tollsten Tode"- und "Das sind die brutalsten Brüste"-Klickstrecken. Der Vorwurf funktioniert nur, wenn man die vermeintlich beweiskräftigen Szenen und Episoden aus dem Kontext der ganzen Serie reißt.

Cersei Lannister, Daenerys Targaryen und Sansa Stark haben sich alle auf sehr unterschiedliche Weise emanzipiert

Ja, Frauen haben es in dieser mittelalterlichen Welt nicht leicht. Deshalb geht es ja auch über bislang sechs, bald sieben Staffeln hinweg darum, wie sie sich über diese Missstände erheben. Wie sie die Männer allmählich von der Herrscher- in die Beraterrolle verdrängen. Da gibt es die Missbrauchs- und/oder Vergewaltigungsopfer Cersei Lannister, Daenerys Targaryen und Sansa Stark, die sich alle auf sehr unterschiedliche Weise emanzipiert haben und zu Macht gelangt sind. Arya Stark hat eine Zeit lang ihr Geschlecht verleugnet, ehe sie unter dem Kampfnamen "ein Mädchen" begann, sich an den Feinden der Familie zu rächen. Und dann war da noch der virile junge König Robb Stark, der einfach nicht auf den Rat seiner weisen Mutter Catelyn hören wollte und so die berüchtigte Rote Hochzeit ausgelöst hat.

Der Vorwurf der Gewaltverherrlichung ist etwas schwieriger zu entkräften. Immerhin spielt Gewalt in der Serie eine große Rolle und wird immer wieder entsprechend in Szene gesetzt. Für die Könige und die, die es unbedingt werden wollen, ist Gewalt das bevorzugte Instrument der Konfliktlösung - ob durch Kriege, Folter oder Mord. Aber auch dieses Urteil greift zu kurz: Das zweite große Thema der Serie neben dem Aufstieg der Frauen ist ja gerade, dass Westeros, die Welt von "Game of Thrones", an ihrem ständigen Kriegszustand kaputtzugehen droht.

Deshalb wirbt Hauptfigur Jon Snow seit mehreren Staffeln beharrlich für friedliche Lösungen und Einigkeit selbst unter den am schlimmsten verfeindeten Parteien, um das Überleben der Zivilisation zu sichern. Ein Standpunkt, den die Serie ihren Zuschauern auch ausnahmslos als den einzig richtigen zeigt. Dazu kommt, dass fast auf jedes Mal, wenn Jon Snows Flehen mal wieder ignoriert wird, zur Strafe eine noch größere Katastrophe folgt.

Viel schlimmer als diese Angriffe gegen die Serie sind die damit implizit verbundenen Angriffe auf ihr Publikum. Denn wenn Sex, Gewalt und andere Tabubrüche das beherrschende Merkmal von "Game of Thrones" sind, dann müssen all diese Transgressionen auch der Grund für die Begeisterung des mord- und ganz generell lüsternen Publikums sein. Oder?

Der Erfolg der Serie lässt sich nicht nur mit ihren Skandalen erklären

Aber Sex und Gewalt gibt es in Kino, Fernsehen und Internet nicht nur genug, sondern wohl auch bisweilen deutlich attraktiver inszeniert als in "Game of Thrones". Den außerordentlichen Erfolg der Serie mit den paar Skandälchen zu erklären, die sie ausgelöst hat, ist ungerecht.

Wenn es das also nicht ist, weshalb Millionen Menschen die Serie schauen, was ist es dann?

Die Antwort auf diese Frage findet sich in der ständigen Panik von "Game of Thrones"-Fans vor den sogenannten "Spoilern". Spoiler sind in Internetforen oder Episodenkritiken verratene Handlungsdetails, die (vermeintliche) Überraschungen vorwegnehmen und so für den Zuschauer ruinieren, der gerne unbedarft in die Ereignisse der Roten Hochzeit hereingestolpert wäre. Das englische Wort "to spoil", zu deutsch "verderben", zeigt, als wie schlimm und irreparabel eine solche Indiskretion von Fans empfunden wird.

Dabei sind die sogenannten Überraschungen, die "gespoilert" werden könnten, sehr oft gar keine. Ja, es stirbt schon mal eine liebgewonnene Figur, die man vor lauter Vertrauen in gewohnte Erzähltechniken als unverwundbare Hauptfigur fehlidentifiziert hatte. Von diesen Schockmomenten abgesehen hält sich der "Woah!"-Effekt aber meist in Grenzen.

Die Fans der Serie durchsuchen jeden Dialog nach Hinweisen auf das, was noch kommen könnte

Hinter dem Wunsch nach der unverdorbenen Überraschung steckt ein ganz anderes Phänomen: Der Spaß an der Spekulation. "Game of Thrones" erweckt wie kaum eine andere Serie den Eindruck, dass in diesem komplizierten Geflecht von über hundert wichtigen Figuren und ebenso vielen kleinen und großen Geschichten alles irgendwie bedeutsam ist. In Internetforen und unter Hobby-Drehbuchautoren ist dann von "Foreshadowing" die Rede - von kleinen Symbolen und Randbemerkungen, die große Ereignisse schon lange vorher andeuten - wenn man sie denn entschlüsseln kann.

Also begeben sich Tausende Youtube-Detektive in den bisherigen 60 Episoden auf Spurensuche und zerpflücken jedes Bild und jeden Dialog auf der Suche nach dem entscheidenden Hinweis auf das, was da noch kommen mag - und was schon längst passiert ist. Denn viele dieser Blogeinträge und Videos dröseln auch nur auf, was man schon hätte viel früher wissen können. Jetzt, da man weiß, was danach kam. Jon Snows Freund Sam hat irgendwann einmal gesagt, dass man sich um Jon keine Sorgen machen müsse, weil er immer zurückkommt? Wunderbar, da war ja eigentlich schon klar, dass er nicht endgültig tot sein kann.

Es ist am Ende ganz egal, ob all diese Theorien und Spekulationen, die nach dem Schrotflinten-Prinzip ins Internet geschossen werden, richtig sind oder auch nur plausibel. Es geht nur darum, dass jeder Zuschauer ab und an sein eigenes Erfolgserlebnis feiern darf, sein "hab ich's doch gewusst". Manchmal ist das auch frustrierend, wenn peinlicherweise auffliegt, dass die Serienmacher gar nicht die Genies sind, für die sie mancher Fan hält. Zum Beispiel, als in Staffel sechs Arya Stark tolpatschig in eine Falle tappte, schwer verletzt wurde und dann als Cliffhanger zur nächsten Episode gerade noch so fliehen konnte. Die überzeugten Spekulationen, dass sie so dumm ja nun wirklich nicht sein könne und da bestimmt mehr dahinterstecke, wurden allesamt enttäuscht.

Aber das Schöne an dem Belohnungssystem, das "Game of Thrones" für seine Zuschauer bereithält, ist ja, dass es die gar nicht so seltenen Ausrutscher schnell wieder vergessen lässt. Die Serie erzieht ihr Publikum im besten Sinne dazu, genau hinzuschauen und anspruchsvoll zu sein. Wer "Game of Thrones" nicht nur schaut, sondern gerne schaut, hat nicht nur eine Stunde pro Woche etwas davon, sondern genießt die Zeit zwischen zwei Episoden noch mehr. Das Schlimme an Spoilern ist deshalb nicht, dass sie Überraschungen zerstören, sondern dass sie dem Wunsch zum Analysieren, Debattieren, Nachdenken, die Grundlage entziehen. Und wenn es "Game of Thrones" schafft, Millionen Menschen dazu zu bringen, diesen Wunsch so vehement zu verteidigen, dann kann sie keine ganz schlechte Serie sein.

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