Neue Staffel "Die Geissens":Haste mal 'nen Millionär?

Ein Wattwurm zwinkert Carmen auf Sylt zu, und Robert fühlt sich in Las Vegas wie Cäsar, nur besser: Die extrem blonden und sehr braungebrannten "Geissens" sind wieder da. Warum nur?

Ruth Schneeberger

Man muss "Die Geissens" nicht unbedingt kennen, und auch ihren Haussender RTL 2 nicht sehen. Inzwischen kommt man aber trotzdem kaum noch an ihnen vorbei. "Roooobächt!" schallt es aus der Joghurt-Reklame, von "dää Burner!" ist da die Rede, und man reibt sich verwundert die Augen. Hat die TV-Werbung die Sonnenseite des Rentnerdaseins entdeckt? Oder seit wann werben anstelle von makellosen jungen Models jetzt sonnengegerbte und platinblondierte Pärchen jenseits des werberelevanten Zielgruppenalters mit hängenden Gesichtszügen für Produkte?

Die Geissens TV RTL 2 Fernsehprogramm

"Roooobächt!": Mutter Carmen röhrt oft lautstark und im rheinischen Idiom nach ihrem Gatten.

(Foto: RTL II)

Des Rätsels Lösung ist: "Die Geissens" sind noch gar nicht so alt wie sie aussehen, nämlich mit 47 und 48 Jahren gerade noch am obersten Rand der berühmten und begehrten 14- bis 49-Jährigen Käufergruppe angesiedelt - und sie sind extrem beliebt in Deutschland. Zuletzt widmete der "Stern" der kölschen "Millionärsfamilie" mit Hauptwohnsitz Côte d'Azur gar die Titelstory, seitdem weiß man: Mutter Carmen und Vater Robert, denen mit 38 Jahren spätes Elternglück und die nicht ganz so blonden Töchter Davina Shakira und Shania Tyra beschert wurden, stellen ihren durchaus mondänen Lebensstil schon seit dem Jahr 2000 im deutschen Fernsehen aus.

Am Anfang war es nur ein kurzer Beitrag für "RTL Exclusiv". Darauf folgten weitere "Promi"-Sendungen bei Sat1 und Pro Sieben, und schließlich avancierten sie zum Publikumsliebling in der Vox-Serie "Goodbye Deutschland! Die Auswanderer". Seit Anfang 2011 haben die Geissens ihre eigene Sendung bei RTL 2 mit dem überraschenden Titel "Die Geissens". An diesem Montag startete wegen des großen Zuspruchs von bis zu zwei Millionen Zuschauern pro Folge die vierte Staffel der Serie, deren "produktunterstützte" Einzelfolgen Namen tragen wie "Familie Superreich lebt ihren Traum!" und "Jetset Total".

Schlechte Manieren, schlechte Grammatik, schlechter Geschmack

Was ist das nun wieder für ein Phänomen, dass schlechtgekleidete Menschen mit schlechten Manieren, schlechter Grammatik und schlechtem Geschmack einem kleinen Privatsender so traumhafte Quoten bescheren, dass die große Konkurrenz RTL, Pro Sieben und Sat 1 sich besorgt umschauen muss? Nach einem aktuellen Bericht der Financial Times hat sich RTL 2 allein mit den beiden Trash-Formaten "Die Geissens" und "Berlin Tag & Nacht" nach dem Quoten-Tief von 2011 zum einzigen Privatsender gemausert, der steigende Marktanteile zu verzeichnen hat.

Wie kann das sein? Ein Blick in die Sendungen zeigt: Mit ganz viel rheinischem Frohsinn, im Falle der Geissens. Und unverstellter Hauptstadt-Schnauze bei "Berlin Tag & Nacht". Beiden Formaten ist gemein: Hier hat der Zuschauer das Gefühl, "echten" Menschen zu begegnen, die auch noch einigermaßen interessante Dinge erleben. Er bekommt also das "pralle Leben" serviert, ein bisschen spannender und sorgloser vielleicht als das eigene.

Nach all den Problemfällen und "Help"-Formaten im Privatfernsehen sind diese so positiven Formate zumindest etwas einigermaßen neues. Die jungen WG-Bewohner in Berlin erleben ihre erste, zweite und dritte große Liebe, jeder mal mit jedem. Und die Geissens schwelgen eben im großen Geld und das auch noch gutgelaunt. Dass trotzdem alles nach Drehbuch läuft in den vorgeblichen "Reality"-Formaten: Geschenkt. Das Leben schreibt eben doch nicht immer die besten Geschichten, zumindest nichts fürs Privatfernsehen.

Deshalb muss man auch nicht glauben, dass Gattin Carmen den schon vielzitierten Blondinen-Spruch "Wie kann die Akropolis 2500 Jahre alt sein? Wir haben 2011!" im Griechenland-Urlaub wirklich gedacht hat. Er kann ihr genausogut vom Drehbuch in den Mund gelegt worden sein. Das weiß man als Zuschauer bei solchen Formaten nie so genau.

"Die Geissens" sind trotzdem ein Phänomen. Wie kann es sein, dass eine Proll-Familie mitten in der Euro-Krise das Geld fröhlich zum Fenster rauswirft, und Millionen Deutsche, denen normalerweise eher die Tendenz zu Neid und Missgunst nachgesagt wird, sehen dabei offensichtlich erheitert zu?

Das Phänomen "Die Geissens"

Ein Teil des Geheimnisses ist wohl in der Unbeschwertheit bei gleichzeitiger Erdverbundenheit begründet, die den Geissens offenbar in die Wiege gelegt wurden. Robert Geiss stammt aus einer kölschen Familie von Kirmesausstattern, also aus kleinen Verhältnissen. Er hat es schließlich zusammen mit seinem Bruder Michael aus Ungeduld, mit viel Bauchgefühl und wohl auch einer gehörigen Portion Glück über den Verkauf von Bodybuilder-Mode zu viel Geld gebracht, wie er im Bunte-Interview berichtet.

Die Geissens

Die Geissens in Las Vegas: Robert, Shania, Elvis, Carmen, Davina (v.l.n.r.)

(Foto: RTL II)

Den Gebrüdern Geiss soll das Geschäft 1995, so wird gemunkelt, für 140 Millionen Mark abgekauft worden sein. Danach hat Carmen, die ehemalige "Miss Fitness 1982", ihren dortigen Job als Verkäuferin aufgegeben, und Robert, wieder nach Bauchgefühl, an der Börse spekuliert. Heute besitze er mehr Geld als je zuvor, wird der Millionär zitiert - auch wenn schon darüber spekuliert wird, ob der ostentative Reichtum der Geissens überhaupt echt ist. Schließlich besichtigt das blondierte Paar in der Sendung ständig Boote, Häuser, Autos, kauft aber nie etwas von größerem Wert.

Aber das macht alles nichts. Ausschlaggebend ist, dass der Zuschauer trotz aller nervtötenden Eigenschaften des skurrilen Paares dann doch irgendwie besänftigt wird. Neben aller geistigen Mickerigkeit und ständigen Meckerigkeit sind die Geissens nämlich immer wieder so begeistert von der Welt, dass es fast schon ansteckend ist. Deshalb freuen sie sich ständig - wie kleine Kinder.

Ob im Hotel in Las Vegas (Robert fühlt sich im "Cesars Palace" genau wie Cäsar, nur noch viel besser, weil er drei Schlafzimmer hat) oder im Watt von Sylt (Carmen fühlt sich trotz Frisur zerstörenden Regens und einer Menge Schlamm von einem Wattwurm freundlich angezwinkert, obwohl der gar keine Augen hat): Die Familie hat "Schpass an der Freud'", wie man in Köln sagt. Und den gönnen ihnen die Zuschauer offenbar. Weil man sie ja sonst um nichts beneiden muss. Und weil sie ihn sich ja angeblich auch verdient haben, mit ihrem Geschäftssinn und ihrer Bodenständigkeit.

Beste Zutaten für Trash-TV

Macht Geld also doch glücklich? "Geld macht nicht glücklich, es beruhigt nur die Nerven und man muss es schon besitzen, um's zum Fenster rauszuwerfen", sang Rio Reiser 1990. Womöglich sind die Geissens nun eine Art verspäteter Videoclip zum Song - in karikaturistischer Form. Und ein bisschen glücklich macht ihr Geld nun alle: Sie selbst, die Zuschauer und den Sender, dabei muss es noch nicht mal ausgegeben werden, damit alle etwas davon haben. Kapitalismus in Reinform, das freut die Werbewirtschaft natürlich. Und dazu noch ein würzige Prise rheinischer Frohnatur.

Wie wichtig es selbst für Trash-TV ist, dass alle Zutaten stimmen, sieht man am Nachfolge-Format, das am Montagabend erstmals bei RTL 2 lief, im Anschluss an die Geissens: "Hausenblas - Staubsaugervertreter deluxe" soll eine neue Millionärsfamilie an den Zuschauer bringen, diesmal einen Vertreter für überteuerte Staubsauger namens Michael und seine hübsche Gattin Angelina, eine ehemalige "Miss Frankfurt". Auch sie müssen laut Drehbuch ständig miteinander frotzeln, auch sie betonen stets, dass sie den Reichtum mit eigenständiger Arbeit verdient haben.

Aber sie leben bei Stuttgart, das ist nicht so glamourös. Und das ständige Gemeckere der Holden an ihrem Angetrauten ist nicht liebevoll und lustig, sondern anstrengend und wirkt extrem gestellt.

Da werden stattdessen die kölschen Originale dem Publikum wohl noch eine Weile erhalten bleiben. 1,85 Millionen Zuschauer sahen den 4. Staffelauftakt am Montag, davon 1,2 Millionen zwischen 14 und 49 Jahren. Es gibt schlimmeres.

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