"News of the World"-Affäre:Unter uns

Wenn im aktuellen Abhörskandal des englischen Revolverblattes "News of the World" die Wogen hoch schlagen, darf eins nicht vergessen werden: Fälle wie dieser sind nur die Spitze des Eisbergs in einer Branche, die keine Skrupel kennt. Und das nicht nur in Großbritannien.

Ruth Schneeberger

Gesetzt den Fall, man verdient als Journalist sein Geld in einer Branche, in der mit harten Bandagen gekämpft wird. Womöglich ist man einst mit hehren Zielen gestartet, ist aber nun im Rahmen der Ausbildung bei einem Fernsehsender oder bei einer Zeitung und dort in einer Abteilung gelandet, die anders arbeitet, als man es gerne hätte. Womöglich wird man also für ein Boulevardformat zu einer Mutter geschickt, deren Tochter gerade verstorben ist und deren Lebensgefährte unter Verdacht steht, das Mädchen missbraucht und umgebracht zu haben.

Bob Dowler, father of slain schoolgirl Milly Dowler, reads a statement next to his daughter Gemma outside The Old Bailey courthouse in London

Sie sind die mehrfach Leidtragenden in einem Fall, der die britische Öffentlichkeit bewegt - doch sie sind leider und beileibe nicht die einzigen Opfer fragwürdiger Methoden des Boulevardjournalismus: die Eltern der mit 13 Jahren ermordeten Schülerin Milly Dowler.

(Foto: Reuters)

Gesetzt also den Fall, diese Mutter verweigert jedes Interview - und der Journalist soll trotzdem noch einmal nachhaken, weil die Zeitung oder der Fernsehsender Einschaltquoten und einen Wettbewerbsvorteil vor der Konkurrenz dringend benötigt. Was also fragt man als anständiger Mensch und als ehrgeiziger Journalist seine Interviewpartnerin in einem solchen Fall - und wie überzeugt man sie, das Interview, das sie nicht geben will, trotzdem zu geben? Trotz aller Skrupel und obwohl sie naturgemäß wenig Lust haben dürfte, in einem solchen Moment, vor der Öffentlichkeit ihr Seelenleben auszubreiten?

Würde man so handeln wie der Kollege von einem Boulevardblatt, der mit einer Interviewanfrage gescheitert war - und dann trotzdem ein Interview in seiner Zeitung veröffentlicht hat? Dass er ihre Mülltonne durchsucht und dann gedroht habe, er würde seine Leser wissen lassen, auf welche Weise und wie schnell sie sich ihrer gerade verstorbenen Tochter entledige, weil sie nämlich deren Schulunterlagen weggeworfen habe, erzählte später die verzweifelte Mutter. Die wütenden Sätze, die sie ihm in ihrer Hilflosigkeit an den Kopf geworfen hatte, abzüglich der Schimpfwörter, die an ihn gerichtet waren, habe er mit ein paar hinzugedichteten Fragen zu einem einigermaßen seriös erscheinenden Interview zusammengewürfelt. Das Interview ist erschienen. Die hier geschilderten Hintergründe sind real. Aber natürlich sind sie nie veröffentlicht worden.

Das ist kein Einzelfall - sondern Alltägliches in einer Branche, deren Zustand mit dem Wörtchen "knallhart" nur unzureichend umschrieben ist. Boulevardjournalismus kennt in bestimmten Fällen keine Skrupel - und will sie auch nicht kennen. Der neue Medienskandal, der nun in Großbritannien offenbart wurde, ist nur die Spitze eines Eisbergs.

Das "Witwenschütteln" etwa gehört in manchen Bereichen des Journalismus zu den Kernelementen des täglichen Handwerks. Gerade wurde in Deutschland ein Fall bekannt, bei dem daraus das Schütteln eines elfjährigen Kindes geworden sein soll. Das zitierte Blatt bestreitet alle Vorwürfe. Im März antwortete die Chefredakteurin einer deutschen Personality-Zeitschrift auf eine Anfrage aus der Politik über die Bespitzelung von Politikern durch Recherchefirmen, dass Beziehungen, Partnerschaften, Trennung und Scheidung nicht Bestandteil der schützenswerten "Intimsphäre" seien.

Es ist müßig, all die Beispiele der vergangenen Jahre zu bemühen, die belegen, dass in großen Teilen des Boulevardjournalismus fragwürdige Praktiken an der Tagesordnung sind. Und dass, was öffentlich wird, immer nur die herausragendsten Beispiele sind, die aber so weit von den Grenzen des guten Geschmacks entfernt und so pervertiert sind, dass die Öffentlichkeit entsetzt aufschreit. Zwar ist die "Yellow Press" in Großbritannien noch ein ganzes Stück härter als ihr deutsches Pendant - doch auch hierzulande ist es in gewissen Kreisen einfach üblich, mal mehr und mal weniger unlautere Methoden anzuwenden, um schockierende Geschichten zu liefern und im Kampf um die Aufmerksamkeit überleben zu können.

Bohrt man ein wenig tiefer nach, begibt man sich auf Wallraff'sche Undercover-Tour oder sammelt man einfach nur die Fälle, die es trotz widriger Umstände an die Öffentlichkeit geschafft haben, dann muss man anerkennen, dass sich Teile der "vierten Gewalt" im Staate professionell am Rande nicht nur des guten Geschmacks sondern auch der Legalität bewegen - und dass dies ein Markt ist, der so lange funktioniert, wie die Zuschauer und Leser ihn mitfinanzieren.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie perfide die Methoden werden.

Das Elend der Protagonisten

Hinzu kommt, dass die wenigsten wissen, dass viele Boulevardjournalisten, Fotografen und Kameramänner tagtäglich mit so viel Sex and Crime zu tun haben wie kaum eine andere Berufsgruppe - zumindest ohne darauf hinreichend vorbereitet oder dafür ausgebildet worden zu sein. Das lässt manche von ihnen auf Dauer abstumpfen und zieht auf der anderen Seite manche an, die eine Lust daran verspüren, dabei über das übliche Maß hinaus mitzumischen und fordert zum Dritten einige heraus, immer auf der Jagd nach dem noch größeren Kick zu sein, um ihre Karriere zu befördern oder ihren Job überhaupt zu behalten. Natürlich gehen nicht alle so verantwortungslos mit den ihnen anvertrauten Geschichten und menschlichen Schicksalen um. Doch es gibt genügend Beispiele dafür, dass es zu viele sind, die ihre Macht missbrauchen. Ob nun aus eigenem Antrieb oder den vermeintlichen Gesetzen des Marktes gehorchend. Weil im Zweifel der Kollege nicht die gleichen Skrupel an den Tag legt wie man selbst.

"News of the World"-Affäre: Ebenfalls ein prominentes Opfer des Abhörskandals um "News of the World": Schauspieler Hugh Grant soll als Zeuge aussagen.

Ebenfalls ein prominentes Opfer des Abhörskandals um "News of the World": Schauspieler Hugh Grant soll als Zeuge aussagen.

(Foto: AP)

Warum ist es so, dass über die oft unbilligen Zustände immer nur in Ausnahmefällen berichtet wird? Weil es zum Geschäft gehört, dass sich diejenigen Medien, die sich solcher Methoden bedienen, durchaus bewusst sind, dass sie gute Anwälte brauchen, um die Methoden im Zweifelsfall verteidigen zu können. Weil die wenigsten gerne die vermeintliche Krähe sein wollen, die der anderen ein Auge aushackt. Und weil seriösere Medien, die nicht so arbeiten und deren Journalisten sich solche Praktiken auch oft genug gar nicht vorstellen können, im Zweifelsfall ungern Kollegenschelte betreiben, ohne genau darüber Bescheid zu wissen. Zumal wenn sich die Vorwürfe in einer rechtlichen Grauzone bewegen - und von betroffenen Einzelpersonen stammen, die weder das Geld noch die Zeit noch den Mut oder die auch nur sprachlichen Möglichkeiten haben, die ihnen zugefügten Ungerechtigkeiten angemessen zu adressieren und zu äußern.

Prominente wie Jude Law und Sienna Miller, die ebenfalls von Rupert Murdochs News of the World belästigt und abgehört worden waren, können im Zweifel mit Hilfe ihrer Prominenz, ebenfalls guter Anwälte und ein wenig Mut gegen solche Praktiken vorgehen, Schmerzensgelder verlangen oder dazu beitragen, dass sich solche Fälle zumindest bei ihnen selbst nicht wieder ereignen. Ottfried Fischer mit seinem Prostituierten-Skandal oder Charlotte Roche, die zu ihrem Familiendrama kein Interview geben wollte, sind deutsche Beispiele für Prominente, die sich mehr oder weniger erfolgreich gegen zweifelhafte Methoden der Berichterstattung zur Wehr gesetzt haben.

Aber was, wenn das vermeintliche oder tatsächliche Opfer eines Schmierenjournalismus nicht die Möglichkeit oder nicht die Absicht hat, zu kämpfen? Ganze Formate leben davon, sich und das Auge des Zuschauers oder Lesers am Elend ihrer Protagonisten zu weiden.

Nur ein weiteres Beispiel aus der Alltagspraxis dazu:

Zum Geschäft gehört, Opfer durch Honorarverträge an ein Medium zu binden. Verträge, die wie Knebel verwendet werden können. Wie in diesem Fall, der nirgends dokumentiert und trotzdem passiert ist: Der Reporter eines TV-Formats macht ein Interview mit der Ehefrau eines kürzlich verstorbenen Mannes aus. Sie war mit ihrem Mann in der Notaufnahme eines Krankenhauses abgewiesen worden, obwohl der Mann über unerträgliche Kopfschmerzen geklagt hatte. Am nächsten Morgen war der Mann tot. Ein gefundenes Fressen für den TV-Reporter, der gerne mit der Witwe und einem ihrer zahlreichen Kinder über ihre Gefühle und ihre Wut gesprochen hätte. Tatsächlich öffnet ihm die Frau tränenüberströmt die Tür - allerdings bezieht sich ihre momentane Fassungslosigkeit weniger auf die Ärzte im Krankenhaus als vielmehr auf den Kollegen von dem Boulevardblatt, das mit ihr einen Exklusivvertrag abgeschlossen hatte. Der drohte ihr nun, sie aus der eigenen Wohnung zu schmeißen, sollte sie dem Kollegen vom Fernsehen das vorher abgemachte Interview geben. Die Frau hatte in ihrer Notlage eingewilligt, exklusiv nur dem Blatt Auskunft zu geben, das im Gegenzug dafür die Finanzierung der Wohnung der vaterlos gewordenen Großfamilie übernehme. Sollte sie nun vertragsbrüchig werden, so die Drohung, könne sie gleich ihre Sachen packen.

Der Boulevardjournalismus mag eine seichte Form des Journalismus sein. Seine Mitarbeiter und Lenker sollten jedoch aufpassen, dass sie nicht laufend jene Moral verhöhnen, die sie in ihren Publikationen einfordern. Es ist Heuchelei und es verstößt oft genug gegen den Kodex des Presserats - aber es gehorcht der Systemlogik: Die Bespitzelung des Privatlebens von Spitzenpolitikern gehört zum Alltagsgeschäft. Ebenso die Nötigung und Erpressung von Privatpersonen, die sich durch was auch immer hervorgetan gehaben. Und sei es durch ihr Leid. Auflage kann eben ein schmutziges Geschäft sein.

Wenn nun in Großbritannien Politiker und Chefredakteure sich überschlagen, Empörung zu demonstrieren in einem Fall, der besonders perfide ist, dann verkennt das eine Kleinigkeit: Der Fall um die 13-jährige Milly, deren Handy angezapft wurde, eignet sich zwar gut dafür, die Branche einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Er eignet sich aber keinesfalls dafür, ihn als traurigen Einzelfall abzustempeln, und diejenigen, die daran beteiligt waren, als Nestbeschmutzer auszusortieren. Im Gegenteil. Mögen die Methoden in diesem Fall auch besonders perfide erscheinen - sie sind mitten unter uns.

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