Neue Serien:Neue deutsche Welle

Deutschland - Foto: RTL

Deutschland 1983: Martin Rauch (Jonas Nay, hier mit Maria Schrader) wird als Spion aus der DDR in die Bundesrepublik geschickt.

(Foto: RTL)

Dieses Land ist der Hort von Krimis und pädagogischen Fernsehfilmen. Nun drehen alle Sender und Produzenten plötzlich anspruchsvolle Serien - und dabei etwas durch.

Von Katharina Riehl

Hier soll also die Zukunft beginnen. Im Garten einer Villa in Dahlem steht General Edel am Grill, er hat sich eine Schürze umgebunden, im Rauch der Würste plaudert er mit den Gästen. Die Damen tragen Schulterpolster in den Kleidern und gefüllte Weinkelche über die Wiese, gleich wird die Tochter des Hausherren ein Lied anstimmen, das "Röslein auf der Heide", und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis Martin sich für Yvonne zu interessieren beginnt. Martin Rauch, der junge Spion aus dem Osten. Ausgerechnet für sie, die Tochter des Westgenerals.

Es ist das Jahr 1983, das hier im Garten aufgebaut wurde, vor allem aber ist es im Auge der Macher der Beginn einer neuen Zeit im deutschen Fernsehen. Nico Hofmann, jener Großproduzent, der den Sendern das sogenannte Eventfernsehen beibrachte und mit Dresden und Die Luftbrücke die deutsche Geschichte zum TV-Ereignis machte, lässt eine Serie drehen, seine erste. Deutschland! wird sie heißen, samt Ausrufezeichen, was passt, weil Hofmann auch sonst ein Mann fürs Ausrufezeichen ist. Sein Ehrgeiz sei es, sagt er, serielles Erzählen so zu definieren, "dass wir auch außerhalb Deutschlands ästhetisch und inhaltlich neu wahrgenommen werden. Daran werden wir uns in den nächsten Jahren messen lassen". Ausrufezeichen!

Forsthäuser und Affen sind bislang typisch für Serien gewesen

Große Worte, die aber passen in eine Zeit, in der die deutschen Sender und Produzenten gemeinschaftlich ein kleines bisschen durchzudrehen scheinen. Eine Zeit, in der die Kinofirma Constantin ankündigt, gleich zwölf neue Serien zu entwickeln, unter anderem eine achtteilige Fernsehversion von Das Parfum und eine Serie zum Berliner Krankenhaus Charité, was auch Nico Hofmann plant, nur für einen anderen Sender; eine Zeit, in der Tom Tykwer, einer der wenigen Starregisseure des Landes, für die öffentlich-rechtliche ARD und den Bezahlkanal Sky eine gemeinsame Serie dreht, was bis vor Kurzem undenkbar gewesen wäre.

Moritz Bleibtreu spielt für Oliver Berbens Serie Schuld seit Jahrzehnten erstmals wieder im Fernsehen, der Privatsender Vox will Serien produzieren, beim Bezahlkanal TNT entsteht eine Thrillerserie mit Friedrich Mücke und so weiter. Wird Deutschland, Land des Tatort und des pädagogisch wertvollen neunzigminütigen Spielfilms jetzt plötzlich Europas erster Serienstandort?

Bevor man hier, am Filmset im herbstlichen Gartenambiente von Dahlem, mit Anne und Jörg Winger spricht, den Machern von Nico Hofmanns großer Serienhoffnung Deutschland!, muss man sich vor Augen führen, was bisher geschah: Wenn das deutsche Fernsehen bislang Serien drehte, dann solche, mit denen man das große und wenig experimentierfreudige Publikum erreicht. Da wurden im Forsthaus die Bäume gestreichelt und nebenan der Affe Charly, da treiben bis heute renitente Nonnen einen sturen Bürgermeister in den Wahnsinn, und allermeistens werden Unmengen von Kriminalfälle aufgeklärt.

"House of Cards" und "Borgen" sind toll, aber anstrengend

Das alles sind Serien, die pro Folge eine Geschichte erzählen, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt, der vor einer Woche nicht zuschaute. Procedurals nennt das der Amerikaner. Horizontal erzählte Serien, sogenannte Serials, in denen eine komplexe Geschichte über viele Episoden geht und jede Folge auf der vorherigen aufbaut, kommen aus den USA oder aus Dänemark, heißen House of Cards oder Borgen. Das ist tolles Fernsehen, aber anstrengend. Das mögen im Schnitt ein paar Millionen Zuschauer weniger. Einer der raren deutschen Versuche, Dominik Grafs tolles Unterweltdrama Im Angesicht des Verbrechens, wurde von der ARD wegen Quotenmangels ins Nachtprogramm verbannt.

Jetzt aber ist plötzlich alles anders, Constantin-Chef Martin Moszkowicz reiste vergangene Woche mit einem Stapel auf Hochglanzpapier gedruckter Serienkonzepte zur Fernsehmesse nach Cannes, alle horizontal erzählt natürlich, alle gedacht fürs qualitätsverwöhnte Serienpublikum. Und ein paar Tage zuvor in Dahlem sitzen Anna Winger und ihr Mann Jörg unter einem Plastikzelt und sprechen über ihre achtteilige Serie. Deutschland! handelt vom 22-jährigen DDR-Spion Martin, gespielt von Jonas Nay, der in den Westen geschickt wird. Maria Schrader spielt seine Tante und Vorgesetzte, Ulrich Noethen jenen General, an den Martin im Westen gerät. Ein Spionagedrama soll es werden vor einer Kulisse aus "Friedensdemos, Nato-Manövern und Neuer Deutscher Welle".

Serien, so herausfordernd wie Romane

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Deutschland 1983: Martin Rauch (Jonas Nay, hier mit Maria Schrader) wird als Spion aus der DDR in die Bundesrepublik geschickt.

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Anna Winger ist die Autorin und sie sagt, sie habe es interessiert, eine Serie horizontal zu erzählen. Anna Winger ist Amerikanerin, verheiratet mit einem deutschen TV-Produzenten, der seit Jahren für die Ufa an der Serie Soko Leipzig arbeitet, also eher in der aktuellen deutschen Serienrealität. Sie selbst schreibt Magazintexte und Romane, ihren ersten hat immerhin die New York Times gelobt. Sie hat das Drehbuch auf Englisch geschrieben, ihr Mann hat es dann ins Deutsche übersetzt. Nico Hofmann, der sagt, die neue Serienkultur lasse "sich am besten mit der literarischen Herausforderung eines Romans vergleichen", gefiel die Idee - und ausgerechnet RTL kaufte die Rechte. Die erste Serie der angeblich neuen Generation läuft also nicht in der ARD, sondern beim Sender von Dieter Bohlen und der Autobahnpolizei. Auch das darf man bemerkenswert finden.

Vielleicht ist an der Geschichte des Ehepaars Winger, das quasi gemeinsam auf der Couch beschloss, eine Spionageserie zu schreiben, auch schon eine neue Entwicklung zu erkennen. Die klassischen deutschen Serien, all die Krimis am frühen Abend etwa, entstehen, weil ein Sender sie bestellt. Da wird eine heitere Kriminalgeschichte aus der Provinz gesucht, und ein paar Produktionsfirmen machen Vorschläge, wer in welcher Provinz ermitteln könnte. Dass jemand eine eigene Idee hat und die auch im Fernsehen unterbringt, ist gerade bei Serien eher nicht vorgesehen; Serienfernsehen ist Sendeplatzbefüllung. Serienrevolution müsste anders gehen.

Ein paar Produzenten, "die nach vorne denken"

Wird jetzt also alles besser? Man kann an diesem Punkt zum Beispiel bei Jan Mojto anrufen, Deutschlands mächtigstem Händler für Fernsehrechte, geschäftlich verbunden mit Constantin ebenso wie mit Nico Hofmann und der Ufa. Für Mojto ist die Entwicklung ein paar deutschen Produzenten zu verdanken, "die nach vorne denken". Und auch, wenn er das so nicht sagen will, ist klar, dass viel mit den Egos jener Produzenten zu tun hat: In einem Markt, in dem jeder die tollen Serien aus USA, Großbritannien und Dänemark lobt, wollen auch die Deutschen gerne ernst genommen werden.

Also finanzieren sie ihre Serien nun selbst vor oder entwickeln zumindest auf eigene Rechnung Ideen, warten also nicht mehr nur, dass ein Sender etwas bestellt. Sie produzieren, was in der Welt mithalten könnte. Wenn sie ihre Serien international gut verkaufen, werden sie weniger abhängig von den Erfolgserwartungen mächtiger Herrschaften in den deutschen Sendern. Doch ganz ohne den deutschen Markt und seine Abnehmer wird es für die Produzenten natürlich auch nicht gehen.

Was aber, wenn das ganz große Publikum nicht einschaltet?

Bleibt die alte deutsche Quotenfrage. Die Vorbilder wie Homeland und Breaking Bad, das wissen auch die neuen Serienmacher, sind auch in den USA keine Straßenfeger, sie sind Programm für ein anspruchsvolles Publikum - jenes, das in Deutschland über das Konsensfernsehen schimpft und US-Serien auf DVD guckt. Nur: Wird es den deutschen Sendern, den Kunden also von Nico Hofmann und den anderen, am Ende genug sein, gutes Fernsehen zu schaffen, wenn dann zur Strafe weniger Zuschauer einschalten?

Philipp Steffens, Fiction-Chef bei RTL, ist überzeugt, dass er mit Deutschland! ein großes Publikum erreichen kann. Die Serie habe "keine extremen Charaktere und muss wesentlich massentauglicher sein als eine Pay-TV-Serie". "Wenn HBO eine Million Zuschauer hat, dann sind die darüber ganz aus dem Häuschen. Bei uns reicht das bei Weitem nicht." RTL will die Masse, HBO genügen seine Abonnenten. Auch Mojto sagt, dass Serien aus Deutschland immer mit gewissen Quotenerwartungen im eigenen Land verbunden sein werden, "solange es hier keinen Pay-Markt gibt, der eigenständig fiktionale Produktionen in Auftrag gibt". Wenn die ersten neuen Serien beim breiten Publikum floppen, könnte dann bald alles wieder vorbei sein?

Steffens spricht von den anderen historischen Stoffen, mit denen man bei RTL Erfolg hatte, und natürlich fällt auf, dass die Ideen von Ufa und Constantin vor allem historisch sind oder Verfilmungen bekannter Stoffe. Amerikaner und Dänen erzählen heutige Politik und sehr gegenwärtige Konflikte. Jörg Winger, der Deutschland!-Produzent, sagt, es sei wichtig, dass die Geschichten "von innen kommen". Bei ihm habe keiner eine historische Serie bestellt.

An die Gegenwart aber hat sich die Zukunft des deutschen Fernsehens bisher nicht herangewagt.

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