Neue Schweizer Hybridzeitung:Neben dem Leser im Café

Ende Oktober bekommt die Stadt Basel eine neue Zeitung - eine Zeitung ohne Geheimnisse. Die Entstehungsgeschichte der "Tages-Woche" ist so ungewöhnlich wie die Publikation selbst. Ein Besuch auf der Redaktions-Baustelle.

Wolfgang Koydl

Undurchschaubare Zwischenwesen haben die Menschen schon immer eher abgestoßen: Chimären waren in der griechischen Mythologie furchteinflößende Monstren, aus verschiedenen Tieren zusammengebaut. Und Zwitter gelten bis heute in der Umgangssprache wenig vertrauenerweckend als nicht Fisch, nicht Fleisch.

Tageswoche Schweiz

Urs Buess (l.) und Remo Leupin leiten die Redaktion der Hybridzeitung Tages-Woche.

(Foto: CEDRIC CHRISTOPHER MERKLI)

Einzig der Hybrid hat dank neuer Automobilbau-Technologie seit kurzem eine bessere Presse. Die Vorbehalte und Vorurteile sind insofern befremdlich, als Neues im Allgemeinen ja stets dann entsteht, wenn gemixt, gepaart und gekoppelt, also experimentiert wird. Ein derartiger Versuch im Medienbereich wird derzeit in der Basler Altstadt vorbereitet, und es liegt in der Natur der Dinge, dass man auch hier mit großer Spannung abwartet, ob das neue Geschöpf lebensfähig ist und wie es sich entwickeln wird.

Am 28. Oktober wird zum ersten Mal die Tages-Woche erscheinen, eine Mischpublikation, die - wie der Titel nahelegt - sowohl eine Tages- als auch eine Wochenzeitung sein wird: täglich Online und jeweils freitags altmodisch auf Papier gedruckt, im halbwegs handlichen norddeutschen Tabloid-Format von 23 mal 34 Zentimeter. "Tagesaktuelle Berichte, breaking news - das wird doch sowieso schon immer mehr auf iPhones und iPads gelesen", erläutert Remo Leupin, einer der beiden Chefredakteure der neuen Publikation den Grundgedanken hinter dem Experiment. "Gleichzeitig aber bleibt das Bedürfnis, einmal in der Woche eine Zeitung aus Papier in Händen zu halten, eben ein richtiges Zeitungsgefühl zu haben." Das erkläre die ungebrochene, ja mancherorts steigende Popularität von Sonntags- und Wochenzeitungen.

Wenige Wochen vor dem Start sieht die Redaktion noch ein wenig wie eine Baustelle aus. Die Wände sind kahl, die Kartons der Flachbildschirme stapeln sich in einer Ecke, die Logos der neuen elektronischen Tageszeitung wurden schmucklos auf Zettel gedruckt und mit Tesafilm an die Schaufenster geklebt. Ja, Schaufenster, denn die Redaktion der Tages-Woche arbeitet gut sichtbar für die Passanten hinter großen Glasscheiben.

Es gibt keine Geheimnisse, soll das heißen, jeder kann hereinspazieren - sei es, um eine Anzeige aufzugeben, sei es, um seinen Senf zu einem Artikel dazu zu geben, sei es, um ein Thema anzuregen. "Unser Standort ist sinnbildlich zu verstehen", meint denn auch der 47-jährige Leupin. "Er steht für Transparenz und Dialog. Außerdem ist unser direkter Nachbar ein Café." Er deutet durch die Glastür in den Nebenraum. "Sehen Sie, fast alle sitzen vor einem Laptop - alles potentielle Leser." Außerdem plane man einen intensiven Austausch mit dem Leser über soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook.

Die Entstehungsgeschichte der neuen Publikation ist so außergewöhnlich wie die Publikation selbst. Denn es dürfte sich um einen der seltenen Fälle handeln, in denen die Leser den Anstoß für die Gründung gegeben hatten. "Wir werden von unglaublich viel Goodwill der Basler Bürger getragen", sagt Urs Buess, der neben Leupin das Blatt leiten wird. "Wir werden ermuntert, weil wir das Bedürfnis spüren für einen Auftritt wie den unseren." Der Ärger vieler Basler über die Medienlandschaft in ihrer Stadt hatte sich nach dem Verkauf des traditionell liberalen Regionalblattes Basler Zeitung (BaZ) Anfang 2010 an zwei Investoren entzündet, hinter denen man Kräfte um die rechts-populistische Schweizerische Volkspartei und deren starken Mann Christoph Blocher vermutete.

Keine "Kampfzeitung"

Dieser Verdacht erhärtete sich, als Blocher einen Beratervertrag mit dem BaZ-Verlag erhielt und anschließend Markus Somm, ein ehemaliger Mitarbeiter der ebenfalls stramm konservativen Weltwoche, als neuer Chefredakteur verpflichtet wurde. Die beiden Investoren, der Tessiner Unternehmer Tito Tettamanti und der Basler Medienanwalt Martin Wagner, stießen das Blatt allerdings schon bald wieder ab und verkauften es an den Basler Unternehmer Moritz Suter. Wie genau der den Kauf finanzierte, ist unklar; die Frage hat bereits den Schweizer Presserat auf den Plan gerufen. In der grundsätzlich linksliberal eingestellten Stadt gab es alsbald Proteste gegen den Rechtsruck der Lokalzeitung. Leser kündigten ihre Abonnements, Redakteure ihre Arbeitsverträge, und beide Gruppen gingen auf die Straße.

In dieser Situation entstand der Gedanke an die Gründung einer Alternative zur BaZ, zumal sich schon zuvor Kritik an der Monopolstellung des Blattes geregt hatte. Leupin und der 59-jährige Buess, bis April noch stellvertretender BaZ-Chefredakteur, betonen freilich übereinstimmend, dass die Tages-Woche keine "Kampfzeitung" gegen den einst übermächtigen Lokalrivalen werden solle. "Ich will keinen negativen Start", sagt Leupin, "ich bin nicht gegen etwas, sondern für etwas." Buess betont, dass man etwas völlig Neues probiere: "Was wir tun, ist pionierhaft." Die Tages-Woche sei keineswegs gegen die BaZ gerichtet.

Die Startauflage der Wochenzeitung wird anfangs bei - immer noch ehrgeizigen - 10.000 Exemplaren liegen. Der Umfang der ersten Nummer mit Kommentaren, Analysen und Hintergrundberichten aus Basel, der Schweiz und der Welt umfasst 64 Seiten. Mit dem Anzeigenaufkommen ist Leupin nach eigenen Worten zufrieden, obschon deutlich wird, dass es mehr sein könnten. Aber dies gilt letzten Endes wohl für jede Publikation, egal ob sie seit Generationen existiert oder gerade erst das Licht der Welt erblickt.

Ein Starter-Abo für 18 Monate ist für 220 Franken zu haben. Die Online-Edition hingegen wird kostenlos freigeschaltet. Eine geplante Ausgabe für Tablet-Computer und Smart-Phones hingegen soll etwas kosten. Zahlen muss auch, wer die Artikel der wöchentlich erscheinenden Papier-Nummer elektronisch lesen will. Obwohl die Basler Zeitung wegen der Missstimmung der letzten Monate Leser verloren hat, ist sie noch immer der Goliath im Vergleich zum kleinen David der Tages-Woche, die mit einem Stab von lediglich 30 Mitarbeitern - 18 von ihnen Redakteurinnen und Redakteure - produziert wird.

Theoretisch hätten es viel mehr sein können: "Wenn ich gewollt hätte, dann hätte ich 200 einstellen können", seufzt Buess. "Das Interesse war riesig." Das Interesse schon, das Geld weniger, denn das Budget ist notgedrungen eher knapp. Immerhin wird die Tages-Woche für die nächsten vier Jahre keine finanziellen Sorgen plagen. So lange will Beatrice Oeri, eine Erbin des Basler Pharma-Konzerns Roche, das Unternehmen finanzieren. Dann, so Buess, hofft man, schwarze Zahlen zu schreiben. "Eigentlich", so fügt er nachdenklich hinzu, "würde kein ökonomisch denkender Mensch heute eine Zeitung finanzieren."

Doch Mäzenatentum hat in der Pharma- und Chemie-Metropole am Rhein eine lange, gute Tradition. "Frau Oeri hat nicht die Absicht, inhaltlich mitzusprechen", versichert der Chefredakteur. "Sie ist nur der Meinung, dass diese Stadt Meinungsvielfalt braucht."

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