Drei-Stufen-Test bei ARD und ZDF:Das große Schrumpfen
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Kompliziert und bürokratisch: Nach den neuen Regeln müssen die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF bis zu 70 Prozent ihrer Online-Inhalte löschen.
Simon Feldmer
Es ist nicht gerade einfach, in diesen Tagen Medienmanager und -kontrolleure ans Telefon zu bekommen, die keinen dicken Hals haben. Zumindest dann nicht, wenn sie zuletzt mit einem ganz besonderen Thema beschäftigt waren: dem sogenannten Dreistufentest. In einem aufwendigen Verfahren haben sich Medienpolitiker, Rundfunkräte, Intendanten und Gutachter über Monate darüber Gedanken gemacht, was für Inhalte die ARD und das ZDF in ihre Internetableger stellen dürfen und was eben nicht. Sie haben unzählige Gremiensitzungen überstanden und sich durch die letzten Winkel von Seiten wie zdf.de oder öffentlich-rechtliche Portale wie planet-schule.de geklickt.
Die Umsetzung der Vorgaben des im Juni 2009 in Kraft getretenen 12. Rundfunkstaatsvertrages, der ARD und ZDF im Internet nach Jahren der spontanen Entfaltung Grenzen setzte, verlangte allen Parteien einiges ab. Schließlich ging es darum, den gebührenfinanzierten Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen ins Netz zu verlängern. Nun fragt der Gesetzgeber dort nach den demokratischen und kulturellen Bedürfnissen, nach dem finanziellen Aufwand und dem publizistischen Mehrwert. Im Internet dürfen von September an auf öffentlich-rechtlichen Seiten eigentlich nur noch Inhalte zu finden sein, die mit dem Staatsvertrag in Einklang zu bringen sind. Frieden gestiftet hat die zügige Umsetzung dennoch nicht. Wenn Ende August die Einspruchsfrist der Länder endet, die zu überprüfen haben, ob das Verfahren korrekt abgelaufen ist, herrscht vor allem eines: Frust. Und zwar bei fast allen Beteiligten.
Vor allem die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, die das Vordringen der Öffentlich-Rechtlichen in einen ihrer Zukunftsmärkte mit Textportalen wie tagesschau.de oder heute.de verhindern wollten, sind unzufrieden. Einen Beleg für ein in ihren Augen schräges Verfahren sehen sie in der Tatsache, dass das Angebot tagesschau.de in seiner bestehenden Form an diesem Montag die letzte Hürde des Dreistufentests genommen hat - abgesegnet von der niedersächsischen Staatskanzlei, inklusive Tagesschau-App, gegen die Verleger im Vorfeld Sturm gelaufen sind. Den privaten Rundfunk-Veranstaltern gehen die Regelungen ebenfalls nicht weit genug.
Aber auch die Vertreter der Anstalten sind unglücklich. In Zukunft muss jedes Angebot ab einem bestimmten Neuheitswert den Dreistufentest durchlaufen. Heidi Schmidt, die Onlinekoordinatorin der ARD, sagt, dass es überfällig gewesen sei, den originären Auftrag im Internet zu definieren. Schmidt sieht in dem Verfahren jedoch eine "gewisse Innovationsbremse". Neue Vorschläge müssten nun zuerst den Gremien vorgestellt werden, würden also vorab auch dem Wettbewerb bekannt.
Dinge auszuprobieren, wie das im Netz üblich sei, wäre dann für die Öffentlich-Rechtlichen kaum mehr möglich. Führt man sich vor Augen, mit wie viel Kreativität ARD und ZDF lange Jahre ihr Internetangebot aufbliesen, dürfte zumindest die verstärkte Gremienkontrolle mehrheitsfähig sein. Allein im Online-Angebot des MDR flogen 2009 in Folge des Staatsvertrages raus: Tarif-, Strom, Telefon-, Krankenkassen-, Gas- und weitere Versicherungsrechner, Stellenmarkt und Blutspendetermine.
In den vergangenen Monaten wurde in den öffentlich-rechtlichen Online-Angeboten und -Archiven der komplette Bestand überprüft. Die Aufsichtsgremien beschäftigten Unternehmensberater und stellten Referenten mit Zeitverträgen ein. Allein die Gutachten für die 40 Telemedienkonzepte, die für alle ARD-Angebote erstellt worden sind, sollen einen unteren einstelligen Millionenbetrag gekostet haben. Die Sachverständigen sollen laut Gesetz die "marktlichen Auswirkungen" der öffentlich-rechtlichen Internetangebote feststellen. Umstritten bei den Kritikern ist nach wie vor, ob es gelungen ist, hier zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen - und ob diese dann auch ausreichend berücksichtigt wurden.
Die Aufwendungen für das gesamte Verfahren dürften im zweistelligen Millionenbereich liegen. "Das Verfahren hat viele Ressourcen gebunden", sagt Harald Wüllenweber, der als freier Berater die Prozesssteuerung beim SWR begleitete. Wüllenweber sagt, dass zwischen den Aufsichtsgremien und den Intendanten im gesamten Abstimmungsprozess ein harter Kurs mit Blick auf einen fairen Interessenausgleich gefahren worden sei. Soll heißen: Da wurde nichts einfach mal durchgewinkt.
Das gilt insbesondere für das sogenannte Verweildauerkonzept, also für die Frage, wie lange Inhalte in Zukunft im Netz stehen dürfen: tägliche TV-Serien aus dem Programm des Ersten müssen nach sieben Tage verschwinden, wöchentliche nach sechs Wochen. Die Inhalte von Politmagazinen werden nach maximal zwölf Monaten gelöscht, kultur- und zeitgeschichtliche Dokumente haben das ewige Leben. Von einer "starken Bürokratisierung der redaktionellen Arbeit" spricht deshalb Eckart Gaddum, Onlinechef des ZDF.
Auf der Suche nach einem möglichst eindringlichen Beispiel berichtet der ZDF-Mann, dass gerade erst der O-Ton von Josef Ackermann aus der ZDF-Mediathek geflogen sei, in dem der Deutsche Bank-Chef im Mai bei Maybrit Illner daran gezweifelt habe, ob Griechenland jemals seine Schulden zurückzahlen könne. Nach drei Monaten ist für Videos der Kategorie Gesprächssendung das Ende gekommen. Gaddum sagt, 91 Prozent der ursprünglich vorhandenen Dokumente von heute.de seien mittlerweile "depubliziert" worden.
Aber die Gremien haben mit der Verweildauer auch Prioritäten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk benannt: Die Zeiten für Soaps und Serien mit Herz und Schmerz haben sie zum Beispiel gegenüber den Intendantenwünschen deutlich gekürzt.
Fragt man sich durch die Anstalten, welche Inhalte aufgrund des "Verweildauerkonzeptes" entfernt wurden, wird man geradezu unter Zahlen begraben: Der BR meldet 69 Prozent des Gesamtinhaltes, darunter überwiegende Teile der Bildungsangebote, Dokumentationen und Reportagen. Der HR gibt eine Löschquote von 58 Prozent für hr-online.de an, bei boerse.ARD.de seien es 72 Prozent gewesen. Beim RBB heißt es, allein im Angebot des Portals kulturradio.de gingen 80 Prozent der Rezensionen von Filmen, Büchern und CDs offline, die älter als zwölf Monate seien. Der SR listet auf: Unter sr-online.de seien in der Rubrik Kultur nur noch sieben Prozent der Inhalte verfügbar, im Sport noch 15 Prozent.
Vielleicht werden nur wenige Nutzer Verständnis dafür haben, dass sie Inhalte mit ihren Gebühren finanzierten, die dann aus dem Internet wieder gelöscht werden. Dass die Prozentsätze teilweise auch deshalb so hoch sind, weil in den vergangenen Jahren ungebremst Texte, Bilder und Videos hochgeladen worden sind, gestehen allerdings selbst Vertreter von ARD und ZDF ein. Nicht umsonst ist die ganze Aktion durch das Einschreiten der EU-Wettbewerbsbehörde gegen gebührenfinanzierte Konkurrenz für Verlage und Privatsender ins Rollen gekommen.
Die Verlags-Lobbyisten verweisen auch jetzt weiter auf die prall gefüllten Seiten tagesschau.de oder heute.de und auf gebührenfinanzierte Apps. Wolfgang Fürstner, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Deutschen Zeitschriftenverleger, sagt: "Wenn das Ergebnis eine gebührenfinanzierte Onlinepresse ist, dann sind die für die Medienpolitik verantwortlichen Bundesländer angesprochen." Eine Klage sei nicht ausgeschlossen. Auch für Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, hat sich an der Lage nichts geändert: "Das Kernproblem bleibt weiter bestehen." Daran dürfte sich, so lange es das Internet gibt, wohl nichts ändern - auch mit Dreistufentest.