Als die neue Hoffnung der amerikanischen Late-Night-Show die Bühne betritt, ist der erste Eindruck: Na, der ist erstaunlich nah am alten Colbert geblieben. Klar, dabei spielt auch eine Rolle, dass das Publikum gleich zu Beginn aufsteht und ruft: "Ste-phen! Ste-phen! Ste-phen!" Es sind Rufe, wie man sie von Colbert Report kennt, jener Sendung, die Stephen Colbert fast zehn Jahre moderierte. "Hätte ich gewusst, dass ihr so nett seid, wäre ich schon vorher gekommen", sagt Colbert zur Begrüßung. Es ist sein erster Auftritt bei The Late Show with Stephen Colbert.
Er hat sich Zeit genommen, insgesamt acht Monate. Ab der Sekunde, ab der klar war, dass Colbert die Nachfolge von David Letterman antreten wird, fing das Rätselraten an: Wen darf das Publikum auf der Bühne erwarten?
Denn Colbert Report war eine Satire-Sendung, der Stephen Colbert, der dort auftrat, eine fiktive Person. Vielen galt er als die perfekte Parodie eines konservativen Nachrichtenmoderators. Also jenen Menschen, denen es um die sogenannte "truthiness" geht. Ein Fantasiewort, mit dem sich Colbert über Bill O' Reilly lustig machen wollte. Eben einen dieser Moderatoren aus dem rechtspopulistischen Spektrum, die meinen, Wahrheit beruhe nicht auf Fakten, sondern auf einem Bauchgefühl. "Dieses Land ist zweigeteilt: Da sind jene, die mit ihrem Kopf denken, und jene, die mit ihrem Herzen fühlen", erklärte er 2005. Noch im selben Jahr wurde "truthiness" zum Wort des Jahres gewählt.
In den vergangenen Tagen berichteten sämtliche US-Medien fast ununterbrochen über Colbert. Die New York Times widmete ihm vier Geschichten, Daily News die Titelseite, das Time-Magazine und GQ je eine Titelgeschichte.
Anders als Kimmel und Fallon
Stets wurde die Frage nach dem neuen, dem echten Stephen Colbert gestellt. Auch Colbert selbst soll sich auf die Suche nach seinem Ich begeben haben: Er habe Mitarbeiter in seine Heimatstadt geschickt, Charleston in South Carolina, damit diese Freunde aus seinen Kindertagen fragen können, wusste das Time-Magazin zu berichten.
Die aktuellen Moderatoren von Late-Night-Shows, also vor allem die beiden Jimmys, Kimmel und Fallon, fallen nicht als besonders politische Moderatoren auf. Wenn ihre Videos viral verbreitet werden, dann, weil der eine so viele Menschen wie möglich in Telefonzellen stopft (Fallon) und weil der andere die Weltöffentlichkeit mit gefälschten Viralvideos hereinlegt (Kimmel). Doch Colbert, so wie man ihn bis dato kannte, war durch und durch politisch.
Und er ist es immer noch: Am überzeugendsten sind bei der Premiere von The Late Show with Stephen Colbert jene Momente, in denen Colbert ganz der Alte ist.
Clooney, Bush, Trump
Die Show beginnt mit der amerikanischen Hymne, gesungen wird sie an mehreren Orten, zum Beispiel in einem Bowlingclub. Am Ende taucht kurz Jon Stewart auf, in dessen Daily Show die Karriere von Colbert begann. Nun folgt er auf Letterman, das überlebensgroße Vorbild aller US-Komiker.
In der ersten Sendung hat Colbert zwei Gäste: den Schauspieler George Clooney und den Präsidentschaftskandidaten Jeb Bush. Streng genommen müsste man auch Donald Trump als Gast bezeichnen. Zwar ist dieser nicht als Gast vor Ort, aber Colbert widmet ihm einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit.
Er spielt Dutzende Videosegmente von Donald Trump ein und kürzt sie auf eine Pointe zusammen. Wenn Trump in einem Clip sagt, dass er die Grenze nach Mexiko gut absichern könne, weil er ein guter Baumeister sei, kontert Colbert: Klar, wir bauen Tausende Hotels in Reihe und lassen unsere Hotelgrenze von Portiers bewachen. Schnipsel und Kontergag, so wie man es von Colbert Report kennt.
Als Überraschung bietet die Show einen Jeb Bush, der sich als besserer Gesprächspartner erweist als George Clooney. Der Schauspieler hat aktuell keinen Film zu bewerben, weswegen ihn Colbert mit dem Satz "Er ist einfach ein netter Typ!" begrüßt und ihm anschließend als verspätetes Hochzeitsgeschenk einen Briefbeschwerer überreicht, auf dem "Ich kenne dich nicht" steht. Da kann man schon mal lachen, ansonsten bleibt Clooneys Auftritt blass.
Aber mit Jeb Bush kann Colbert prima über dessen Präsidentschaftsambitionen und über Politik reden. Darüber, dass Bushs Mutter öffentlich erklärte, es habe schon genug Bushs als Präsidenten gegeben ("Sie hat einen Witz gemacht", so Jeb) und über die Frage, was Jeb von dessen Bruder George W. unterscheide ("Er hat zuviel Geld ausgegeben").
Und, ach ja, was soll eigentlich das Ausrufezeichen auf seinem Logo? "Es bedeutet Aufmerksamkeit", antwortet Bush und merkt kurze Zeit später an, dass man ihn in Florida "Veto Corleone" nenne (weil er so oft sein Veto eingelegt habe, um den Finanzhaushalt im Griff zu behalten).
"Du weißt aber schon, dass dieser Typ ein Antiheld ist"
Die Referenz an den Filmklassiker "Der Pate", in dem Marlon Brando den Gangsterboss Vito Corleone spielt, ist für Colbert eine Steilvorlage. Schlagfertig kontert er: "Du weißt aber schon, dass dieser Typ ein Antiheld ist." Auch hier: Chance, Pointe, Lacher. Wenn es politisch wird, ist er schnell.
Colbert ist ein Entertainer, der sich damit brüstet, ein Nerd gewesen zu sein, als das "noch seinen Preis hatte". Konsequenterweise startet er gleich in der ersten Sendung mit diversen Werbeblöcken mitten in der Sendung.
Colbert nennt das Sponsortunity ( Sponsorship und Opportunity). Auch dieses Kunstwort ist eine Parodie - auf die leeren Versprechungen von PR-Fachleuten. Munter stopft er sich Oreo-Kekse in den Rachen, während er sich über Trump lustig macht, der kürzlich sagte, er werde diese Backware nie wieder anrühren. Denn der Hersteller verlegt Fabriken nach Mexiko. Bereits im Colbert Report gab es Sponsortunitys, in denen er Mitteilungen einer Firma vorlas, die bei ihm Werbezeit eingekauft hatte.
Er kennt die Jugend
Der Fernsehsender hat Colbert natürlich auch deswegen ins Nachtprogramm eingekauft, weil sein Publikum mit durchschnittlich 42 Jahren deutlich jünger ist als das von Letterman. Dessen Zuschauer waren nach 33 Dienstjahren ihres Moderators in Late-Night-Shows fast 59 Jahre alt.
Doch Colbert spricht junge Leute nicht nur an, weil er mit 51 Jahren selbst deutlich jünger ist als sein Vorgänger (68). In der vergangenen Woche trommelte er auch beim sozialen Netzwerk Snapchat für seine neue Show: "Mir wurde gesagt, dass Snapchat vor allem bei jungen Menschen beliebt ist, die noch nicht einmal wählen dürfen", sagte Colbert, und weiter: "Meine Show wird jugendfreundlich sein, genauso wie die Band, die du magst und von der ich absolut Bescheid weiß. Ich habe gehört, der Bassist geht mit dieser anderen Person aus, die du auch magst."
Bleibt die Frage, wer Stephen Colbert wirklich ist. Das wird sich in den kommenden Wochen viel klarer sagen lassen als nach dieser Premiere, die eine Stunde und neun Minuten dauerte. Doch auch wenn acht Monate seit des letzten Colbert Reports vergangen sind, ist schon erkennbar: Dieser Satiriker fühlt sich noch sehr wohl in der Polit-Ecke.