Süddeutsche Zeitung

Murdochs gratis "Wall Street Journal" online:Er ist so frei

Überraschender Schachzug des Mediengiganten: Rupert Murdoch ist eigentlich der strengste Verfechter von Bezahlmodellen im Internet. Für den geplanten Online-Auftritt des "Wall Street Journal" auf Deutsch macht er eine Ausnahme. Ein Angriff auf "Handelsblatt" und "Financial Times Deutschland".

Hans-Jürgen Jakobs

In aller Welt ist Rupert Murdoch, 80, bekannt als "Mister Paid Content". Er ist der Mann, der dem Online-Journalismus die Zahlschranke verordnet hat. Leser seiner britischen Zeitung Times müssen einen Obolus für die gebotenen Artikel leisten, was bisher allerdings kein sehr lohnendes Projekt war.

Ganz anders als bei Murdochs amerikanischem Leitmedium Wall Street Journal, das er im Jahr 2007 für 5,6 Milliarden Dollar seinem Imperium einverleibt hat, und das schon vorher eines der seltenen, weil einträglichen Kassenhäuschen im Netz war.

Weil sich das Finanzblatt aus Manhattan aber weltweit als Supermarke des Wirtschaftsjournalismus profilieren will, als globaler Erklärer der heiß gelaufenen Börsen und der expansiven Konzerne, sinnt es auf überraschende Strategien. Im Internet soll jetzt offenbar nicht länger die Bezahl-Philosophie des Seniors gelten, sondern der alte Ansatz zum Tragen kommen: Der besagt, dass viel Reichweite, also Erfolg bei Lesern, für Werbekunden interessant sei und mit viel Geld für Inserate bedacht wird.

Die Volte hin zum Free-Internet soll in Kürze ausgerechnet in Deutschland zu bewundern sein, wo viele den Pay-Patron Murdoch als Vorbild ansehen und die Verlage mit Apps neue Vertriebserlöse erzielen wollen, etwa bei Tablet-Computern.

Schon im Monat Dezember wird nach Informationen der Süddeutschen Zeitung eine teutonische Variante des Wall Street Journal starten - im Netz, ganz ohne Gebühr. Alles gratis. In Frankfurt berichtet dann eine kleine journalistische Truppe - Größenordnung: ein Dutzend - tagesaktuell über das ökonomische Leben in deutscher Sprache. Die Leitung übernimmt dabei Ralf Drescher, der bislang in der Verlagsgruppe des Handelsblatts in Düsseldorf gearbeitet hat. Der gebürtige Kölner ist Diplom-Volkswirt, volontierte bei der Georg-von-Holtzbrinck-Schule, schrieb dann fürs Handelsblatt, ehe er vor drei Jahren Teamleiter Finanzen bei Handelsblatt.com wurde, dem Gratis-Online-Ableger.

Für den 36-Jährigen ist der Wechsel ein reizvoller Karriereschritt. Der Erfolg wird auch davon abhängen, wie stark er seinem alten Arbeitgeber Konkurrenz macht. Vor einigen Jahren noch hatte Handelsblatt-Verleger Dieter von Holtzbrinck bei der Europa-Ausgabe des Wall Street Journal gemeinsame Sache mit den Amerikanern gemacht. Der Deutsche saß sogar im Aufsichtsrat der Mutterfirma Dow Jones - aber als Murdoch kam, nahm er Reißaus. Holtzbrinck fand die hemdsärmeligen Methoden des Alten degoutant. Auch die Online-Journalisten der Financial Times Deutschland, die ein gestaffeltes Bezahlmodell etablierten, sind nun herausgefordert.

Ein nettes kleines Experiment

Ausschlaggebend für die Attacke sind die geopolitischen Planspiele des New Yorker Murdoch-Konzerns News Corporation und seiner Tochter Dow Jones. Hier entdeckte man bei genauer Feldherrn-Studie, dass die Weltkarte ein paar weiße Flecken aufzeigt, etwa in Europa. Die Auflage des Journal liegt hier bei mageren 75 000 Stück. Auch auf dem wichtigen deutschen Markt klemmt es. Der Agentur-Betrieb von Dow Jones schlägt sich mit viel Mühe durch, er hatte sich einst mit dem journalistischen Geschäft der Vereinigten Wirtschaftsdienste (VWD) gestärkt. Ein wenig Schwung ist auf jeden Fall erwünscht, dafür soll die Kooperation mit dem deutschen Team von Wall Street Journal online sorgen. Das Korrespondenten-Netz ließe sich so besser ausnutzen.

Zielgruppe sind Wissbegierige in Firmen. Sie werden es vielleicht schätzen, aus den Quellen des Globalisten News Corp. Neues zu erfahren. Das Detailkonzept reifte seit Jahresanfang, unter Ägide des Dow-Jones-Chefredakteurs Robert Thomson, der besonders den Dialog mit dem deutschen Verlagshaus Axel Springer geschätzt hat. Der Murdoch-Mann setzt auf ein furioses Wechselspiel zwischen der traditionellen Print-Ausgabe und der deutschen Online-Innovation. Das Web eröffne im Vertrieb phänomenale Chancen, findet er. Noch nicht beendet sind die Gespräche des Dow-Jones-Managements mit dem Württembergischen Landessportbund in Stuttgart: Der nutzt für seine Württembergische Sportjugend just jene Internet-Domain wsj.de, die auch für die geplante Website schmücken müsste. Er gehe davon aus, dass ein "marktüblicher Preis" abgerufen werde, sagt ein Sportbund-Sprecher.

Aus Sicht von Dow Jones ist die Sache in Deutschland ein nettes, kleines Experiment. Schließlich zahlen mehr als eine Million Menschen im Internet für das Hauptblatt des Konzerns, das insgesamt mehr als zwei Millionen Abonnenten findet. Eine Sprecherin wollte auf Anfrage zu den jüngsten Entwicklungen keine Stellung nehmen. Der Konzern hat derzeit auch ein paar andere Probleme.

So wurde Eigentümersohn James Murdoch jetzt im Abhörskandal um die britische Sonntagszeitung News of the World vor einem Parlamentsausschuss in London von zwei einstigen Top-Mitarbeitern beschuldigt, er habe "mit Sicherheit" von einer Email Kenntnis gehabt, aus der hervorgegangen sei, dass die illegale Abhör-Praxis kein Einzelfall gewesen sei.

Das wäre auf Deutsch, und gratis, eine Geschichte für das Wall Street Journal gewesen.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2011/caja
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