Süddeutsche Zeitung

Neue Booklet-Reihe über US-Serien:Schlaues für Schlaue

Amerikanische TV-Serien wie "The Wire", "Westwing" oder "The Sopranos" bekommt man in Deutschland häufig nur auf DVD oder im Internet zu sehen. Umso besser taugen sie als Statussymbol für popkulturell gut Informierte. Wunderbar, dass nun eine Booklet-Reihe mit Spezialwissen zu diesen TV-Serien herauskommt.

Jan Füchtjohann

Was siehst Du gerade?" - jenseits von Medienereignissen wie der Fußball-Europameisterschaft ist diese Frage zunehmend verfänglich geworden. Denn wenn nicht gerade ein Finale stattfindet, ein Windsor heiratet oder der Papst stirbt, generieren im Grunde nur noch Katastrophen Bilder, die wirklich fast alle gesehen haben: die gekenterte Costa Concordia, die Wolke über Fukushima, das einstürzende World Trade Center.

Unterhalb dessen beginnt die soziale und kulturelle Distinktion nach dem Motto: "Ich sehe was, was Du nicht siehst". So ist die gebildete Mitte lange vor dem sogenannten "Unterschichtenfernsehen" geflohen, und zwar zumeist in den Bücherschrank und gelegentlich auch ins Opernhaus. Doch unter der Parole "Qualitätsfernsehen" ist das Medium in den vergangenen Jahren wieder salonfähig geworden.

Neben öffentlich-rechtlichen Spartenprogrammen sind mit diesem Schlagwort vor allem Serien gemeint, die gerade nicht fürs deutsche Fernsehen produziert wurden, und die man daher nur auf DVD oder über das Internet zu sehen bekommt. So taugen sie jedoch um so besser als Statussymbol: Wer zum Beispiel über die im April angelaufene HBO-Produktion "girls" mitredet, ist popkulturell offensichtlich gut informiert, kennt sich im Netz gut aus und spricht gut Englisch. Diese Person hat, zugespitzt gesagt, mit überdurchschnittlich hoher Wahrscheinlichkeit einige Auslandssemester hinter sich - und einen schicken Apple-Computer vor sich.

Wunderbar also, dass der avancierte Debattenverlag Diaphanes (sonst im Programm: "Es gibt - Geschlechtsverkehr" von Jean-Luc Nancy und "Es gibt keinen Geschlechtsverkehr" von Alain Badiou und Barbara Cassin) für exakt diese Zielgruppe nun die Booklet-Reihe herausbringt.

Darin liefern schlaue Menschen jeweils rund 100 Seiten Schlaues zu den schlauen Serien - und wie die Serien selbst bringt auch das eine Menge Spaß. Noch mehr Spaß allerdings, wenn man weiß, wer Christopher Moltisanti, wer D'Angelo Barksdale und wer Leo McGarry ist. Die Autoren empfehlen in ihren Büchern zwar einzelne Folgen der von ihnen besprochenen Werke und bemühen sich, keine wichtigen Handlungsdetails zu verraten - trotzdem haben sie alles andere als eine Einführung "für Dummies" geschrieben.

Wirklich alles ist bekannt

So vermittelt etwa Daniel Eschkötter überzeugend den Eindruck, wirklich alles über die Baltimore-Saga "The Wire" zu wissen. Er kennt jede Figur, jeden Satz und jeden Song, dazu lokalpolitische Hintergründe, alte Zeitungsartikel des Produzenten, sowie zahlreiche wichtige Aufsätze.

Auch Simon Rothöhler entgeht in der Politserie "The West Wing" keine Anspielung. Bei ihm erfährt man zum Beispiel, dass Chefautor Aaron Sorkin schon vor seiner aktuellen Serie "The Newsroom" ein eher langsamer und nachtragender Besserwisser war - seine Scherze in "The West Wing" bezogen sich immer noch auf Bill Clinton, als George W. Bush das Weiße Haus längst übernommen und von dort eine Art Präsidialdiktatur errichtet hatte.

Phantastisch ist auch der Text über die New-Jersey-Mafiaserie "The Sopranos". Diedrich Diederichsen ist zwar nicht ganz so fleißig wie Eschkötter und Rothöhler. Doch während die Jungen in der Referenzhölle "ihrer" Serie als Allwissende reüssieren, holt der große alte Popkritiker ein bisschen weiter aus. Auch sein Band ist kenntnisreich. Trotzdem macht Diederichsen klar, dass er mit dem Wissen der Nerds in den Wikis, Foren und Aufsatzsammlungen weder aufnehmen kann noch möchte. Stattdessen befragt er immer wieder grundsätzlich die eigene Erfahrung: Was bedeutet es eigentlich, wenn ein Berufsavantgardist wie er plötzlich oft und leidenschaftlich fernsieht? Das ist doch wohl etwas anderes als das "alternativlose Vor-der-Glotze-Hocken des Unterschichtstrottels"?

Na klar. Denn gerade die besseren neuen Serien liefern laut Diederichsen immer wieder ambitioniertes "Kino im Wohnzimmermöbel", also schnelle, visuelle Erzählungen, deren Bildregie es durchaus mit dem Kino aufnehmen kann - also mit einer Kunstform, die eben nicht im Alltag und nicht zu Hause stattfindet und daher höhere kulturelle Ansprüche vertritt.

Selbstreflexion ist möglich

Selbstverständlich gibt es Szenen wie aus dem "alten" Fernsehen, in denen neue Dialoge in alten Sets aufgesagt werden. Dabei kann man dann gut bügeln. Aber es gibt auch andere. Und außerdem entsprechen etwa 80 Stunden "The Sopranos" mehr als 10.000 Seiten Text, was eine im Kino unerreichbar detaillierte Erzählung erlaubt.

Und sogar Selbstreflexion ist möglich: Diederichsen beschreibt, wie "Die Sopranos" ihre Zuschauer immer erst dazu bringen, einen berufsmäßigen Mörder und Folterer aufrichtig zu mögen - nur um uns in der nächsten Szene auf genau diese moralisch zwielichtige Schaulust festzunageln. Er beschreibt auch, wie sich die Serie den eigenen Effekt auf ihre Zuschauer vorknöpft, indem sie immer wieder Süchte und Abhängigkeiten thematisiert.

Damit wird sie dann, so Diederichsens alte These, zu "Hipster-Fernsehen", das "zugleich auch den Massen Spaß macht": Ein One-Size-Fits-All-Produkt der avancierten Kulturindustrie, dass Kinder und Trottel durch körperliche Action und Komik begeistert, und gleichzeitig genug Fährten für Hipster, Nerds und Intellektuelle streut, um Bücher wie dieses zu ermöglichen. Das Gute dabei ist, dass in der Sphäre der Kultur sozialer Aufstieg möglich ist: Lesen Sie einfach die wunderbaren Bücher dieser Reihe.

Diedrich Diederichsen: The Sopranos. 112 Seiten. Simon Rothöhler: The West Wing. 96 Seiten. Daniel Eschkötter: The Wire. 96 Seiten. Alle Bände im Diaphanes Verlag, Berlin 2012, jeweils 10 Euro.

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SZ vom 07.07.2012/pak
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