Süddeutsche Zeitung

Netzpolitik:Freiwillige Lügenwehr

Im Kampf gegen Fake News setzt die EU-Kommission auf einen unverbindlichen Verhaltenskodex. Für Dezember ist eine erste Analyse geplant.

Von Jacqueline Lang

Im Oktober 2017 sagte der US-Präsident Donald Trump in einem Fernsehinterview mit dem Republikaner Mike Huckabee, einer der besten Begriffe, die er je erfunden habe, sei das Wort "Fake". Das ist natürlich völlig falsch. Was stimmt ist, dass er den Begriff "Fake News" geprägt hat wie kein anderer. Er meint damit vor allem jene Medien, die allzu kritisch über ihn berichten. Oft genug ist es aber er selbst, der Falschmeldungen verbreitet - und damit ist er nicht der Einzige.

Gegen das Verdrehen von Fakten und das Verbreiten von Falschinformationen möchte die EU-Kommission deshalb nun gemeinsam mit führenden Onlineplattformen und sozialen Netzwerken vorgehen. Facebook, Google, Twitter, Mozilla und mehr als 50 andere Medien- und Technikfirmen haben deshalb am Dienstag den Verhaltenskodex "Code of Practice on Online Desinformation" unterzeichnet. Das erklärte Ziel: mehr Transparenz im Netz.

Die EU-Kommissarin für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Mariya Gabriel, treibt dieses Ziel vor allem mit Blick auf die bevorstehende Europawahl im Mai 2019 voran. Aus gutem Grund: Wie ein Report der Nichtregierungsorganisation Freedom House aus dem Jahr 2017 belegt, sind in den vergangenen Jahren in mindestens 18 Ländern Falschmeldungen gezielt online gestreut worden, um so Wahlen zu beeinflussen.

Dank des Internets kann mittlerweile jeder Informationen im Netz verbreiten, Falschmeldungen inklusive. Undurchsichtige Algorithmen geben zudem vor, welche Inhalte dem jeweiligen Benutzer angezeigt werden und welche nicht. Obwohl das Netz also in der Theorie ein unbegrenztes Angebot unterschiedlichster Informationen bereithält, bewegen sich Menschen tatsächlich häufig nur noch innerhalb ihrer eigenen Filterblase. Ausgeklammert wird alles, was nicht mit der eigenen Meinung übereinstimmt. Das birgt Gefahren, auch für die Wertegemeinschaft der EU. Laut einer Eurobarometer-Umfrage sehen auch 83 Prozent aller Europäer in der Verbreitung von "Fake News" eine Bedrohung für die Demokratie.

Doch kann man dem Problem mit einem unverbindlichen Verhaltenskodex beikommen? Der Kodex besagt, dass falsche Nutzerkonten in Zukunft zeitnah geschlossen werden sollen. Sogenannte Bots, die automatisch Aufgaben erledigen, sollen schneller identifiziert und als solche kenntlich gemacht werden und vertrauenswürdige Inhalte im Netz besser auffindbar sein. Außerdem sollen die Unterzeichner Inhalte nicht eigenmächtig löschen dürfen. Bei dieser kniffligen Aufgabe sollen die Unternehmen von unabhängigen Faktenprüfern unterstützt werden. Bislang hat beispielsweise Facebook "Fake News" nicht gelöscht, sondern nur deren Verbreitung reduziert. Zur Begründung heißt es: "Wir möchten die Menschen dabei unterstützen, stets informiert zu sein, ohne die produktive öffentliche Diskussion zu behindern. Zudem besteht nur ein schmaler Grat zwischen Falschmeldungen und Satire oder Meinungen." Tatsächlich liegt genau hier das Problem: Wer soll im Einzelfall entscheiden, wo Meinungsfreiheit aufhört und Falschmeldungen beginnen? Eine Frage, auf die auch der Leitfaden keine eindeutige Antwort gibt.

Dennoch will die EU eine Lösung für das Problem finden. EU-Kommissarin Gabriel sagte deshalb, bereits im Dezember sei eine erste Analyse der Ergebnisse geplant. Sollten diese nicht zufriedenstellend sein, behalte man sich vor, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Bislang setzt die EU-Kommission vor allem auf den guten Willen der Verantwortlichen. Diese können ihre Zusage ohne rechtliche Konsequenzen jederzeit zurückziehen. Ein Hintertürchen bleibt somit offen.

Vor einem ähnlichen Problem stand die EU bereits 2016, als es um die Bekämpfung von Hasskommentaren ging. Facebook, Twitter und Youtube verpflichteten sich damals dazu, Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden zu entfernen. Tatsächlich werden solche Beiträge seitdem schneller gelöscht. Die Unternehmen nehmen ihre Verantwortung jedoch unterschiedlich ernst: Facebook und Youtube löschen etwa 66 Prozent aller gemeldeten Beiträge, Twitter hingegen nur etwa 37 Prozent (Stand: Juni 2017). Bleibt die Frage: Reicht das, um das Problem in den Griff zu bekommen? Es obliegt nun der EU-Kommission, das zu entscheiden.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2018
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