Das Wort "Karriere" ist sicher zu klein für das, was Michelle und Barack Obama tagsüber so machen, seit sie kein first couple mehr sind. Seit beide nicht mehr den Rosengarten des Weißen Hauses bewirtschaften, sondern wieder ihr Privatleben. Wenn man das richtig verstanden hat - dies nur als jüngste Nachricht -, haben die Obamas gerade bei Spotify gekündigt, weil ihnen die Reichweite der Riesenplattform nicht genügt. So wunderbar bunt treiben's die wenigsten.
Verblüffend an der Überkarriere dieses Weltpaares ist auch, dass man ihm kaum je missgünstig sein kann. Die Obamas sammeln an jeder Ecke Abermillionen ein für noch ein Buch oder noch einen Podcast, sie sind elitär bis weit über die Grenzen ihres Privatstrandes hinweg. Aber irgendwie kriegen sie doch immer die Kurve, in besonderer Weise beeindruckend jetzt wieder Barack Obama in seinem neuesten Projekt, einer fünfteiligen Naturpark-Doku für Netflix.
Zu Beginn dieser Doku läuft Obama barfuß den Strand entlang und lullt einen gleich enorm gekonnt ein mit Geschichten aus seinem Leben. Etwas später sagt der vormals weltmächtigste Mann, wir alle seien "not powerless" im Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung. Da will man kurz wütend sein und ihn anherrschen: Das fällt Dir JETZT ein?
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Aber richtig ist, dass Obama in seiner Amtszeit über den Antiquities Act 220 Millionen Hektar US-Land schützen ließ, mehr als jeder Präsident vor ihm. Richtig ist auch, dass Obama seine Gesichtsbekanntheit und seine Stimme jetzt für anderes nutzen könnte als dafür, im Internetbezahlfernsehen über Moosteppiche und japanische Zedern Auskunft zu geben.
Apropos Stimme. Ungefähr das komplette amerikanische Internet zerging diese Woche wegen der kuscheldeckenhaften Art, mit der Obama diese Filme betextet, präzise und in dieser sehr eigenen Sparsamkeit, die man so eben nur von Naturdokus kennt und vielleicht noch aus der Kommentierung ausgewählter Randsportarten. Als ein Lemuren-Äffchen in einer Mischung aus Parkour und spontanem Spidermantum zwischen schwindelhohem, spitzen Stein herumfliegt, sagt Obama aus dem Off lediglich dies: "A single misstep could prove fatal". Besser geht es nicht.
Mit dieser wohlbekannten ASRM-Stimme geht es von Westpatagonien über den Yellowstone-Park bis zu Cahills Crossing im australischen Northern Territory, wo die lustige Flussreise einiger Meeräschen plötzlich und brutal endet im Schni-Schna-Schnappmaul eines ortsansässigen Krokodils.
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Zum Spektakel über das übliche Maß von Naturdokumentationen hinaus wird diese nicht allein durch Obama. Sie wird es durch den Aufwand, mit dem die Filme hergestellt wurden, durch die erzählerische Kraft der Regie, und durch eine Balance aus Spaß und Schrecken. Eine Crew, die auch mit Fachkräften vor Ort verstärkt wurde, schaffte an 1500 Drehtagen reichlich Material heran, darunter solches mit Höchstseltenheitswert. Und all dies wird abgemischt, in dem die maximale Schönheit dieser Erde zur Geltung kommt - ohne deren Bedrohung durch Mensch und menschengemachten Klimawandel auszusparen.
Das dreifingrige Faultier hängt also komplett in den Seilen, wer kennt das nicht
Die erzählerische Kraft erwächst aus der Kombination des Stimmwunders Barack Obama mit der Auswahl seiner "Protagonisten". Im leichten Sommerhemd und mit ganz leichter Dad-joke-Attitüde wird er in den Nationalparks dieser Welt zum gutmütigen und gutgelaunten Reservati und Reiseleiter.
Als Obama nach einer kurzen Sprechpause einen Von-der-Decken-Sifaka begrüßt, "Decken's Shifaka", klingt das noch immer so, als habe er in einer Rede zur Lage der Nation den Namen eines befreundeten Staatschef ausgesprochen. Wenn Nilpferde im Salzwasser surfen, weil sie sich wegen dessen höherer Dichte darin leichter fühlten, oder wenn Obama vergnügt zum Vortrag über das Weißkehl-Faultier ansetzt, möchte man sofort eine Wildtierpatenschaft abschließen.
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Am liebsten direkt für exakt das dreifingrige Faultier aus dem Nationalpark Manuel Antonio in Costa Rica. Es ist ein Lebewesen gewordenes Tempolimit und das Säugetier mit dem weltweit langsamsten Metabolismus. Es hängt komplett in den Seilen, wer kennt das nicht. Und während bei Pumajagdszenen und Krokodilsgeschwadern in den Untertiteln auch mal die schöne Aufführungsnotiz "[dramatic music continues]" zu lesen ist, braucht es bei diesem Faultier jetzt eigentlich gar keine Untermalung. Es sitzt einfach nur da - und guckt in die Sonne.
Fast sieht es so aus, als habe das Faultier weit mehr vom Leben verstanden als die meisten derer, die Nationalparks nur gelegentlich besuchen, statt fortwährend dort zu Hause zu sein.
" Unsere wunderbaren Nationalparks" , auf Netflix .
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