Netflix:Humor ist eben doch nicht die beste Medizin

Die US-Komikerin Hannah Gadsby

Hätten die amerikanische Comedians ihren Job richtig gemächt, säße heute womöglich nicht Donald Trump im Weißen Haus, sagt die Komikerin Hannah Gadsby.

(Foto: Netflix)
  • Die australische Komikerin Hannah Gadsby ist mit Witzen über ihre Homosexualität bekannt geworden.
  • In ihrer neuen Show "Nanette", die auf Netflix zu sehen ist, rechnet sie mit der Comedy ab.
  • Einerseits ist ein Witz laut Gadsby formal ungeeignet, um bestimmte Erlebnisse zu verarbeiten, andererseits geht die männlich geprägte Comedy-Branche wichtige gesellschaftliche Themen nicht richtig an.

Von Luise Checchin

Wenn man eine Comedy-Show danach bewertet, wie viele Lacher sie produziert, ist Hannah Gadsbys "Nanette" gefloppt. In großen Teilen ihres aktuellen Programms sitzt das Publikum nur noch als betroffen schweigende Masse im Saal. Trotzdem gibt es im englischsprachigen Raum derzeit kaum eine Komikerin, die solche Begeisterung hervorruft wie die Australierin. Die New York Times nannte sie "eine bedeutende neue Stimme" in der Stand-Up-Landschaft, Gadsby erhielt mehrere Preise für "Nanette", und Netflix machte daraus ein gut einstündiges "Comedy-Special".

Das Bemerkenswerte ist, dass Gadsby als Komikerin für etwas gefeiert wird, das man Anti-Comedy nennen könnte. Keine Aussage wiederholt sie in ihrer Show so oft wie den Satz "ich muss aufhören mit der Comedy". Nicht nur das, Gadsby spricht der Komik ganz grundsätzlich ihre so häufig beschworene heilende Wirkung ab. Gegen Ende der Show schreit Gadsby nur noch ihre Wut heraus, Tränen stehen ihr in den Augen. "Nanette" scheint also einen gewissen Stockholm-Syndrom-Effekt zu haben: Menschen wird die Laune verdorben und sie bedanken sich dafür mit Standing Ovations. Was ist da los?

Alles fängt ganz harmlos an. Gadsby beginnt ihr Programm mit der Art Witzen, für die sie in Australien schon seit Längerem bekannt ist. Sie erzählt, wie es für sie als lesbische Frau war, im erzkonservativen Tasmanien groß zu werden, wo Homosexualität noch bis 1997 als Verbrechen galt. Heiter und selbstironisch erzählt sie das, etwa die Anekdote von dem Typen, der sie einmal an der Bushaltestelle verprügeln wollte, weil er sie für einen Mann hielt, der seine Freundin anmachte, dann aber von ihr abließ, als er merkte, dass er es mit einer Frau zu tun hatte ("Frauen schlage ich nicht"). Es folgen Witze über Gender-Fragen, verunsicherte Männer und humorlose Lesben. Fröhlich dahinplätschernde Unterhaltung, wie sie im Jahr 2018 gemacht wird - ein bisschen kritisch, ziemlich lässig und sehr lustig.

Aber dann, gegen Minute 28, wechselt die Tonart. Statt der Gegenwart zerlegt Gadsby plötzlich den Witz in seine Einzelteile. Denn Lachen, so Gadsby, sei entgegen der landläufigen Meinung keineswegs die beste Medizin. Als Mittel, um Druck abzulassen, sei es natürlich gut. Ein Witz, erklärt Gadsby ihr Handwerk, besteht schließlich aus zwei Teilen: Einer Vorlage und einer Pointe. Als Komikerin baue sie also Spannung auf, nur um sie dann wieder abzubauen.

Gadsbys Problem an der Sache: Dem Witz in seiner Zweier-Struktur fehlt der beste Teil. Der Teil, der ihn von einer Geschichte unterscheidet - das Ende. Im Ende gibt es Erkenntnis, womöglich sogar Erlösung. Die Geschichte ist für Gadsby eine reife narrative Form, sie erlaubt Entwicklung. Der Witz dagegen ist in der Pubertät stecken geblieben.

Was aber macht das mit den Inhalten der Witze und was mit denen, die sie erzählen?

Gadsby illustriert es an sich selbst. Mit all den Witzen über ihr Coming-Out habe sie ihre Traumata festgehalten und mit Humor konserviert. "Durch Wiederholung", führt Gadsby aus, "verschmolz die Witz-Version mit meiner realen Erinnerung. Aber leider war diese Witz-Version nicht annähernd elaboriert genug, um den Schaden zu verarbeiten, der mir in der Realität zugestoßen ist." Anstatt sie zu befreien, sagt Gadsby, hätten ihre Witze sie also in einem ungesunden Kreislauf gefangen gehalten: "Pointen brauchen Traumata, weil Pointen Spannung brauchen. Und Spannung nährt das Trauma." Doch damit sei es nun vorbei, sie müsse endlich die ganze, die richtige Geschichte erzählen. Und das tut Gadsby dann auch.

Der Effekt von Gadsbys Offenbarungen ist befremdlich

Sie tut es, indem sie ihre eigenen Punchlines dekonstruiert. Die Geschichte von dem Schlägertypen zum Beispiel, der sie zunächst für einen Mann gehalten hatte, ging in Wahrheit noch weiter. Als der Typ nämlich merkte, dass sein Gegenüber lesbisch war, änderte er seine Meinung. Lesben könne man im Gegensatz zu heterosexuellen Frauen durchaus verprügeln, fand er. Also tat er es. Niemand kam ihr zu Hilfe und sie selbst traute sich damals im homophoben Tasmanien noch nicht einmal, den Täter anzuzeigen. Aber weil sich dieses Ende der Geschichte schwerlich für eine Pointe eignete, verschwieg Gadsby es bisher in ihren Stand-Up Shows. Genau wie die Tatsache, dass sie als Kind missbraucht und als junge Frau vergewaltigt wurde.

Der Effekt dieser Offenbarungen ist befremdlich. Man ist betroffen, natürlich. Aber schnell stellt sich auch ein Unwohlsein ein. Eben war diese Frau doch noch so souverän, jetzt steht sie mit feuchten Augen auf der Bühne, ihre Stimme bricht wiederholt vor Wut, sie wirkt verletzlich. Im allgemeinen Humor-Verständnis gilt die Regel, dass eine Person, die über eine erlittene Erniedrigung Witze reißt, sich über eben jene Erniedrigung erhebt. Gadsby stellt diesen Mechanismus in Frage. Sie sagt: Es mag für das Publikum so wirken, als hätte die Person mit dem Witz ihr Trauma überwunden, aber für die Person selbst fühlt es sich anders an. Gadsby konkretisiert hier also genau das, was sie zuvor theoretisiert hat. Sie gibt den Schmerz, den ihre Traumata in ihr ausgelöst haben, an das Publikum weiter - und lässt ihn dort.

Nun könnte man einwenden, Gadsbys Fall sei ein sehr spezieller. Sie hat sich als Komikerin der selbsterniedrigenden Comedy verschrieben und diese Form nun eben so aufgebrochen, dass sie zu ihrer Lebensgeschichte passt. Schön für sie, könnte man denken und die Sache abhaken. Doch so einfach lässt Gadsby ihre Zuschauer nicht davonkommen. Für Gadsby steht das eigene Schicksal stellvertretend für ein grundsätzliches Comedy-Versagen. Komiker erheben gemeinhin den Anspruch, dass sie gesellschaftliche Themen kritisch angehen, die Mächtigen ärgern und den Ohnmächtigen eine Stimme geben. Von wegen, findet Gadsby und illustriert das an den Themen sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch.

Die Comedy scheitert laut Gadsby nicht nur, weil es ihr - wie vorgeführt - an den passenden narrativen Formen fehlt. Sie versagt ihrer Meinung nach auch deswegen, weil es noch immer mehrheitlich Männer sind, die öffentlich Witze erzählen. Diese Männer definieren, was erzählt wird und was nicht. Und sie haben Gadsby zufolge lange essentielle Dinge übersehen. So kam es etwa, dass sich US-Komiker im Zuge des Clinton-Lewinsky-Skandals auf die scheinbar naive Praktikantin als Objekt ihres Spottes konzentrierten. "Hätten Comedians ihren Job anständig gemacht", donnert Gadsby ins Mikrofon, "und über den Mann gescherzt, der seine Macht missbrauchte, dann hätten wir jetzt vielleicht eine Frau mit einem gewissen Maß an Erfahrung im Weißen Haus sitzen - anstatt eines Mannes, der öffentlich zugegeben hat, Frauen sexuell zu belästigen".

Man muss nicht mit allem, was Gadsby sagt, übereinstimmen, um ihre Show bemerkenswert zu finden. Natürlich ist ihre Comedy-Kritik polemisch. Auch vor Gadsby gab es Komiker und Komikerinnen, die die starre Zweier-Struktur von Witzen unterlaufen und ihr Publikum irritiert haben. Der einstige Comedy-Outcast Lenny Bruce etwa, der in sein Programm eine tieftraurige Nummer über die Einsamkeit einbaute. Oder die derzeit ebenfalls gefeierte Tig Notaro, die nach ihrer Brustkrebserkrankung eine Show mit nacktem Oberkörper spielte und die dafür bekannt ist, eine Pointe so lange hinauszuzögern, bis man vergisst, dass man überhaupt auf sie gewartet hat.

Gadsby verschiebt mit "Nanette" nun ganz einfach die Grenze dessen, was Comedy sein kann, etwas weiter an die Ränder der Vorstellungskraft. Genau das passiert, wenn nicht mehr eine homogene Gruppe auf den Show-Bühnen steht: Man bekommt andere Themen präsentiert, andere Perspektiven und damit notwendigerweise andere Arten, sie zu behandeln. Und so hätte Gadsby der Comedy-Welt keinen besseren Dienst erweisen können als mit dieser Comedy-Abrechnung, die ihr Publikum nicht zum Lachen sondern zum Schweigen bringt.

"Nanette" von Hannah Gadsby ist abrufbar bei Netflix.

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