"Kein Lebenszeichen" bei Netflix:Tödlicher Charme

Netflix-Pressebild: Kein Lebenszeichen

Was kann man über andere schon sicher wissen? Finnegan Oldfield als Guillaume.

(Foto: Magali Bragard/Netflix)

Morde, verschwundene Geliebte und das harte Leben in den Banlieues von Nizza. Die Thriller-Serie "Kein Lebenszeichen".

Von Helena Zacher

Die erste Szene mutet fast friedlich an. "And we're dancing in this world alone, world alone, we're alone", singt Lorde, während Sonia und Inès über den Rasen tanzen, lachen, sich in den Armen halten. Alles scheint heil vor der idyllischen Landschaft Südfrankreichs. Doch wie so vieles in der fünfteiligen Netflix-Serie Kein Lebenszeichen und Verfilmung des Harlan Coben-Romans "Gone For Good" ist dies eine Farce, die Tarnung von etwas Größerem - dem endgültigen Twist.

Der US-amerikanische Autor ist berüchtigt für die überraschenden Wendungen seiner Geschichten. Wahrheiten werden zu Lügen, die vermeintlich Guten enthüllen ihre dunkle Seite, Unschuldige sind plötzlich schuldig. Das kommt gut an - bei Lesern und Zuschauern. So ist das im original französische Kein Lebenszeichen nach der polnischen Serie Das Grab im Wald, dem britischen Ich schweige für dich und der spanischen Verfilmung Kein Friede den Toten nicht die erste Zusammenarbeit Cobens mit Netflix.

"Ich weiß nur, dass wir die Menschen die wir lieben, nicht unbedingt gut kennen."

Dass auch bei Kein Lebenszeichen nichts so ist wie es scheint, wird spätestens während eines Dialogs zwischen Guillaume (Finnegan Oldfield) und dessen Freund und Chef Daco klar: "Denkst du, man kann zwei Jahre lang mit jemandem zusammen sein, ohne zu wissen ob der zu einem Mord fähig ist?" Mit "jemand" ist Guillaumes Freundin Judith (Nailia Harzoune) gemeint. Denn deren plötzliches Verschwinden wirft Fragen auf. Fragen, deren Antworten in den zehn Jahre zurückliegenden Morden an Guillaumes früherer Freundin Sonia und seinem Bruder Fred zu liegen scheinen. "Keine Ahnung, ich weiß nur, dass wir die Menschen die wir lieben, nicht unbedingt gut kennen", antwortet Daco.

Doch der Zuschauer lernt sie kennen. Die traumatisierten Charaktere, die Kein Lebenszeichen tragen. Guillaume, der sich nach dem Verschwinden seiner Liebsten quälenden Wahrheiten stellen muss - der Wahrheit über die Vergangenheit, der Wahrheit über Freunde und Familie. Inès, die kleine Schwester von Sonia, welche seit deren Tod ihre eigene Identität sucht. Guillaumes älteren Bruder Fred und dessen schwierige Beziehung zu Vater und Gesetz. Daco, den Sozialarbeiter mit dunkler Vergangenheit. Jede der fünf Folgen widmet sich einem der Protagonisten. Regisseur Juan Carlos Medina lässt sich dadurch Zeit, die Geschichte der Figuren zu erzählen, tut dies jedoch nicht chronologisch, sondern mithilfe von Zeitsprüngen.

Themen wie Armut, Drogenkonsum, Prostitution

Und nicht nur aufgrund der vielschichtigen Charaktere ist Kein Lebenszeichen mehr als nur Irrungen und Wirrungen. Armut, Drogenkonsum, Prostitution, häusliche Gewalt, Rechtsradikalismus, das gefährliche Leben in den Banlieues von Nizza: Es geht darum, wie Ideologien und kriminelle Machenschaften eine Familie spalten können.

Das Verschwinden Judiths wird zum Beiwerk, beinahe unwichtig. Die größeren gesellschaftlichen Probleme des modernen Frankreichs, aber auch der Welt, sind hingegen übermächtig. Darin liegt die Stärke, aber auch die Schwäche der Thriller-Serie. Zwar erschließt sich am Ende der Kontext der einzelnen Geschichten, jedoch scheint vieles liegen, einiges unbeantwortet zu bleiben.

Kein Lebenszeichen schwankt zwischen klaren Motiven und undurchsichtigen Handlungssträngen, einfachen Taten und komplexen Figuren. Aber mit französischem Charme.

Kein Lebenszeichen, bei Netflix

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