Netflix-Edelwestern:Stadt der Frauen

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Am Ende kreist die Geschichte doch um die Männer in diesem Ort – etwa um Marshall John Cook (Sam Waterson), der den miesen Bösewicht jagt. (Foto: Ursula Coyote/Netflix)

Bei "Godless", produziert von Steven Soderbergh, kommen Genre- und Serien-Fans gleichermaßen auf ihre Kosten. US-Medien zufolge ist es ein feministischer Western - was nicht ganz stimmt.

Von David Pfeifer

Alle sind verwundet, so geht diese Geschichte los. Im Western-Genre nicht ungewöhnlich, dass die Hauptfiguren sich halb tot ins Finale schleppen, aber in Godless reitet der Held in der ersten Szene angeschossen vor die Farm einer Frau, die ihn zur Begrüßung gleich noch mal vom Pferd schießt. Auch sein Antagonist muss einen Arzt aufsuchen, um sich seinen durchlöcherten Arm amputieren zu lassen, bevor man in die Handlung einsteigt. Im weiteren Verlauf der Miniserie wird es dann noch viel um Verletzungen gehen, allerdings hauptsächlich um seelische, die weniger schnell verheilen als ein Streifschuss oder auch eine Amputation.

Für alle Western-Freunde die wichtigste Information gleich mal vorweg: Godless ist sehr gelungen, sowohl was die Genre-Standards verlangen (gut choreografierte Schießereien, Anschleichen im Wald, tolle Landschaftsaufnahmen mit fliehenden Pferden), wie auch, was die Ansprüche an eine modernen Serie angeht (mehr Handlungstiefe, interessante Figuren, liebevolle Ausstattung).

Sehr zeitgemäß ist auch die Voraussetzung, unter der man den Figuren folgt, denn es handelt sich, so die Interpretation der US-Medien, um einen feministischen Western. La Belle, der öde Ort, der den Angelpunkt der Serie darstellt, wird fast nur noch von Frauen bewohnt, nachdem die Männer bei einem Minenunglück ums Leben gekommen sind. Nun ringen zwei starke Frauen um die heimliche Bürgermeisterschaft des Ortes, eine von ihnen trägt Männerkleidung, weil das in Zeiten von Reifröcken und Miedern schlicht praktischer ist. Auch Alice Fletcher, gespielt von Michelle Dockery, die viele Zuschauer noch als hochnäsige Tochter aus Downton Abbey kennen, ist die Chefin auf ihrer Farm.

Statt an Gott glaubt dieser Prediger an das Schicksal, und das spielt er dann auch gern selber

Kurzum: Frauen sind wichtig in dieser Serie, ein feministischer Western wird dabei noch nicht daraus. Denn viele Frauen sieht man auch in Erotikfilmen, ohne dass sie dort besonders viel zu sagen hätten.

Die Figuren, um die Godless im Endeffekt kreist, sind dann doch Männer. Roy Goode (Jack O'Connell), der gleich zu Beginn vom Pferd geschossen wird, ist auf der Flucht vor einem wirklich miesen Bösewicht namens Frank Griffin (Jeff Daniels). Dieser Griffin wird als "Preacher" bezeichnet, aber was er predigt, ist die Unwahrscheinlichkeit, dass Gott existiert, angesichts der Grausamkeiten, die er, Griffin, anderen zufügen kann, ohne dafür bestraft zu werden. Statt an Gott glaubt dieser Prediger an das Schicksal, und das spielt er dann auch gern selber. Das macht Griffin umso bedrohlicher, weil man nie weiß, wann er Gnade walten lässt, und wann er nicht einmal davor zurückschreckt, kleine Kinder zu erhängen.

Roy Goode ist sein Ziehsohn, der ihn betrogen und verlassen hat, also droht der Prediger, alle umzubringen, die Goode Unterschlupf bieten. So führt die Spur den Prediger und seine 30-köpfige Bande, mordend und misshandelnd, gen La Belle, wo die Frauen allerdings nicht so hilflos sind, wie die bösen Männer sich das vorstellen.

Über sieben Episoden wird dieser Weg erzählt, mit Nebenerzählungen wie der des fehlsichtigen Sheriffs, eines der wenigen überlebenden Männer von La Belle, der wiederum seine Frau verloren hat und damit auch seinen Schatten, wie ein Indianer ihm erklärt. Und ein Mann ohne Schatten habe "nichts mehr zu verlieren".

Godless hätte auch ein dreistündiger Edelwestern fürs Kino werden können, aber dort werden ja nur noch Rekordbudgets für Superheldenfilme ausgegeben, während die Erzählungen aus dem 40- bis 80-Millionen-Dollar-Mittelbau, die aufwendig inszeniert werden müssen, aber nicht unbedingt auch Teenager mit ADHS bei der Stange halten, eben zu den Streamingportalen abwandern. Ähnlich wie True Detective, eine weitere jener Miniserien, ist Godless ein erzählerisch wie ästhetisch geschlossenes Produkt. Ein Autorenfilm im Grunde, denn Scott Frank hat nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern auch alle Teile inszeniert. Immer mit dem gleichen Kameramann und der gleichen Cutterin. Produziert hat das konsequenterweise der Regisseur Steven Soderbergh, der seit Jahren das Problem beklagt, in Hollywood kaum Budgets für interessante Projekte mittlerer Größe einsammeln zu können. Wie sehr Netflix und Amazon von diesem kreativen Wechsel profitieren, sieht man derzeit in vielen Serien, doch Godless ist es wert, besonders hervorgehoben zu werden.

Die Handlungsstränge bekommt Scott Frank am Ende zwar nicht alle in den Griff, allerdings verlässt er sich zu Recht auf die Konventionen des Genres, also auf Schießereien und Duelle, die wirklich spektakulär umgesetzt wurden. Und das ist vermutlich die zweitwichtigste Information für Western-Fans.

Godless , bei Netflix.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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