Jeder Zuschauer der Netflix-Gruselserie Stranger Things weiß, dass das Lieblingsessen der mysteriösen Hauptfigur Eleven Fertigwaffeln der Marke Eggo sind. Nicht nur, weil das Mädchen die Dinger ständig futtert, die Waffeln spielen auch in mehreren Szenen eine tragende Rolle und geben dem Zuschauer schon am Ende der ersten Staffel einen Hinweis auf Elevens Serienschicksal. Sogar in dem Handyspiel zur Serie muss man die Waffeln sammeln, und auch über die kulinarischen Vorlieben anderer Figuren wird der Zuschauer ungewöhnlich gut informiert: Der Highschool-Schönling Steve Harrington liebt Fast Food von Kentucky Fried Chicken, wie er in der ersten Folge der zweiten Staffel verrät. Eine ganze Szene ist um einen Tisch voller gut sichtbarer Becher und Pappeimer der Restaurantkette herum aufgebaut. "Ich liebe KFC", meint Steve Harrington und sagt dann in der englischen Sprachfassung sogar noch den offiziellen Werbeslogan: "It's finger lickin' good."
Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime Video zeigen keine Werbeblöcke wie das lineare Fernsehen, werbefrei sind sie aber trotzdem nicht. Ein großer Teil der Eigenproduktionen der Streamingdienste ebenso wie der eingekauften Inhalte enthält Produktplatzierungen. Bei Netflix sollen es etwa drei Viertel sein, bei Amazon fast alle.
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Sogar in der Science-Fiction-Serie "The Expanse", deren erzählte Welt wenig mit der Gegenwart zu tun hat, wurden ein paar Fedex-Container untergebracht. Oft sehen die Klamotten der Figuren auffällig nach der Kollektion eines Modediscounters aus. Aktuell diskutieren Fans der Fantasy-Serie "Game of Thrones", ob es sich bei einem wohl aus Versehen am Set stehen gebliebenen Starbuck's-Kaffeebecher um Schleichwerbung handeln könnte. Und Frank Underwood aus der Netflix-Serie "House of Cards" spielte regelmäßig real existierende Computerspiele und unterhielt sich auch darüber mit anderen Serienfiguren, wenn er nicht gerade mit seinem Waterrower trainierte, einem Rudergerät mit echtem Wassertank. Angeblich gingen beim Start jeder neuen Staffel der Serie die Verkaufszahlen des Trainingsgeräts steil nach oben.
Derzeit diskutieren Fans von "Game of Thrones" über einen Starbucks-Kaffeebecher
Produktplatzierung ist ein Milliardenmarkt. Auch weil über das lineare Fernsehen die wichtige Zielgruppe der unter 50-Jährigen mit überdurchschnittlichem Einkommen nur noch schwer zu erreichen ist. Diese besitzen oft Abos bei Streamingdiensten und gar keinen Fernseher mehr. Deshalb gibt es inzwischen Agenturen wie Saint Elmo's, die sich darauf spezialisiert haben, Produkte in digitalen Unterhaltungsformaten unterzubringen. Auf der Homepage des Unternehmens heißt es: "Ihre Werbebotschaften kommen nicht bei der Zielgruppe an? Hören Sie auf mit Werbung - fangen Sie an mit Content Marketing! Wirkungsvoller ist Ihre Werbung nämlich, wenn sie nicht als solche wahrgenommen wird. Sondern als spannende, nützliche, zeitgemäße Inhalte. Dann klappt's auch mit der Zielgruppe." Das funktioniert oft sehr gut - die Serienproduzenten haben wenig Hemmungen, real existierende Waffeln als Plotelemente oder einen Werbeslogan als Punchline zu verwenden.
Probleme könnte es nur mit dem deutschen Gesetz geben. Denn für die Streamingdienste wird hier der Rundfunkstaatsvertrag angewandt, nach dem Produktplatzierungen zulässig sind, aber am Anfang der Sendung markiert werden müssen. Um unzulässige Schleichwerbung handelt es sich, wenn die Produktplatzierung nicht gekennzeichnet ist oder "wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt". Sind Elevens Eggos und Steve Harringtons Hühnerbeinchen also Schleichwerbung? Netflix hat vor vielen seiner Formate wie im Rundfunkvertrag verlangt einen Hinweis auf Produktplatzierung eingeblendet.
In den 2018 durch das Europäische Parlament beschlossenen, aber noch nicht umgesetzten neuen Richtlinien für audiovisuelle Medien wurden die bestehenden Bestimmungen für den Umgang mit Werbung auf Streamingdienste ausgeweitet. Vor allem Kinder sollen dann besser vor Werbung geschützt werden. Produktplatzierungen sind den neuen Richtlinien zufolge weiter zulässig, wenn sie entsprechend gekennzeichnet werden und das Produkt nicht hervorgehoben wird.
Bis die Richtlinien in nationales Gesetz umgewandelt wurden, gilt der Rundfunkstaatsvertrag, der auch schon in einem Fall zur Anwendung kam: Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) hatte Amazon Prime Video Anfang des Jahres die Bereitstellung einer Episode der achten Staffel von "Pastewka" wegen des Verdachts auf Schleichwerbung untersagt. Die Folge spielte zu großen Teilen in einem Media-Markt. Die Produktionsfirma Brainpool bestritt eine Produktplatzierung, der Elektronikmarkt sei angemietet gewesen. Auch Media-Markt stritt es ab, eine Produktplatzierung gebucht zu haben. Der Fall wurde inzwischen außergerichtlich gelöst: Amazon zeigt eine neue Schnittfassung der Folge, mit der auch die BLM einverstanden ist.
Und dann gibt es natürlich noch das kostenlose Handyspiel, bis die nächste Staffel läuft
Produktplatzierung und Schleichwerbung ist indessen nicht nur juristisch ein Thema. Das Einbetten von Produkten und die Verknüpfung verschiedener Inhalte und Medien entspricht ganz einfach der Logik solcher Plattformen für digitale Inhalte. Das kostenlose Handyspiel zu "Stranger Things" ist nicht nur ein netter Zeitvertreib bis zur nächsten Staffel, sondern erweitert das Umfeld für mögliche Werbeinhalte und bindet die Zuschauer an die digitale Infrastruktur der Unternehmen. Schon allein deshalb, weil das Spiel mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auf einem Gerät gespielt wird, auf dem auch die Netflix-App installiert ist. Von dem Spiel ist es nicht mehr weit zum nächsten Serienmarathon. Für ein Unternehmen wie Amazon bieten Produktplatzierungen in seinen Inhalten auf Prime Video noch ganz andere Möglichkeiten als nur Kundenbindung: Das Internetkaufhaus, das Amazon noch immer in erster Linie ist, liegt nur wenige Klicks entfernt.
Wenn Produkte so platziert werden können, wären dann nicht auch politische Einflussnahmen auf die Inhalte von Streamingdiensten denkbar? Können nicht Ideologien genauso, oder noch subtiler, in fiktionale Inhalte integriert werden? Das ist bei den großen Streamingdiensten derzeit noch kein Problem, da sie sich, um möglichst viele Zuschauer anzusprechen, gegen allzu klare politische Positionierungen wehren. Aber in sozialen Netzwerken sind politische Botschaften - oft in harmlos scheinende Parodien oder Mems verpackt - in Kombination mit tendenziell skandalisierenden Algorithmen zu einem großen Problem geworden.
Es gibt Websites wie Infowars, die diese Möglichkeiten im digitalen Raum früh erkannt haben und zu ihren reißerischen Katastrophennachrichten gleich die passende Überlebensausrüstung verkaufen. Die Produktplatzierungen zeigen, welche Manipulationskraft den digitalen Medien innewohnt. Alleine mit den Paragrafen des Rundfunkstaatsvertrags lässt sich das nicht in den Griff bekommen.