Ist das "gestörte Redaktionsklima", das sich der NDR im vergangenen Jahr selbst attestiert hatte, zu retten? Obwohl den Zuständen im Sender nun bereits in mehreren Untersuchungen nachgegangen wurde, folgte am Dienstag der rund hundertseitige "NDR Klimabericht" des Theologen und Managers Stephan Reimers. Der 78-Jährige, ehemals Mitglied im NDR-Rundfunkrat, war im September vom NDR-Intendanten Joachim Knuth beauftragt worden, eine umfassende Studie zur Unternehmenskultur durchzuführen.
Zwischen November und Januar sprachen Reimers und sein Team dann in 620 Einzel- und Gruppengesprächen mit über tausend Mitarbeitern und Vertretern der Aufsichtsgremien. Dabei hätten viele Mitarbeiter zunächst an der Unabhängigkeit des Untersuchungsteams gezweifelt, gesteht Reimers ein.

NDR:Theologe soll NDR untersuchen
Intendant beauftrag den ehemaligen EKD-Bevollmächtigten Stephan Reimers mit "Klima-Analyse" im krisengeschüttelten Sender.
Während laut Bericht viele Mitarbeiter mit Überzeugung und Leidenschaft hinter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dem NDR stünden, äußern sie dort auch harsche Kritik. Herausgekommen sind zwölf Erkenntnisse, die, laut Reimers, die Unternehmenskultur und das betriebliche Klima im NDR beeinflussen. Diese seien "häufig der Ausgangspunkt, warum es an bestimmten Stellen im NDR zu Spannungen und Konflikten kommt".
Führungskräfte im NDR scheuten sich, eigenständige Entscheidungen zu treffen
Problematisch sei insbesondere die Führungsstruktur im Sender: Viele Mitarbeiter fordern eine neue Führungskultur und beklagen das hierarchische System des NDR. Zwischen Führungskräften und Mitarbeitern stellt der Bericht eine "Abkopplung" und einen "immensen Vertrau ensverlust" fest. Das habe vielfältige Ursachen: Viele Führungskräfte scheuten sich etwa Risiken einzugehen und eigenständige Entscheidungen zu treffen. Die Mitarbeiter wünschten sich Vorgesetzte, die wissen, wo es strategisch langgeht.
Bereits in einer Befragung im Jahr 2018 hätten Mitarbeiter des Landesfunkhauses Hamburg den "robusten Führungsstil von oben herab" bemängelt und von einem "radikal machtstrategischen Kommandoverhalten, fehlender Kritikfähigkeit, Selbstgerechtigkeit und Irrationalität" berichtet. Ein unangemessener Ton habe "viele Mitarbeiter verunsichert, eingeschüchtert, verletzt und das innerbetriebliche Klima vergiftet". Dennoch, heißt es im aktuellen Bericht, gebe es im NDR "kein generelles Klima der Angst".
Die interne Kommunikation? Empathielos und glatt
Schon allerdings: "Tendenzen der Folgsamkeit, der gefühlten Unmündigkeit bis hin zu Grundformen der Angst". Mitarbeitern fehle es an Klarheit in der Sprache und im Handeln der Geschäftsführung. Während echte Wertschätzung fehle, empfänden sie die interne Kommunikation eher als empathielos und glatt. Viele meinen, es liege daran, dass es im NDR keine Fehlerkultur gebe: "Der NDR verzeiht keine Fehler. Wenn man mal was ausgefressen hat, ist es ganz schwer, wieder anerkannt zu werden", zitiert der Bericht einen anonymisierten Mitarbeiter.
Bei vielen im Sender, insbesondere bei den freien Journalistinnen und Journalisten, sei die Arbeitsbelastung sehr hoch. Die duale Struktur der Beschäftigungsverhältnisse von festangestellten und freien Mitar beitenden im NDR sieht Reimers als "Sackgasse". Sie führe zu Unmut und zu einer "Zwei-Klassen-Gesellschaft". Das beeinträchtige auch die kollegialen Beziehungen, die stellenweise deutlich von gegenseitigem Misstrauen und Konflikten geprägt seien.
Hat der NDR bei diesem verheerenden Urteil überhaupt eine Chance? Wenn es nach dem Theologen Reimers geht, ja. Der NDR sei "quicklebendig, der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch lange nicht erledigt". Der vorliegende Bericht gehe tief in die bestehenden Strukturen, so Intendant Joachim Knuth: "Da wird einem der Spiegel vorgehalten und es gibt Ansichten, die nicht schön sind." Darum gehe es: "Zu erkennen, welche blockierenden Muster es gibt, diese zu verstehen und dann zu verändern." Abzusehen bleibt, ob man es mit den Veränderungen im NDR ebenso ernst meint, wie mit den Analysen.