NDR-Doku "Goldschmidts Kinder":Film ohne Heldin

Goldschmidts Kinder; ARD-Film "Goldschmidts Kinder"

Die NDR-Dokumentation "Goldschmidts Kinder" erzählt eine bemerkenswerte jüdische Geschichte.

(Foto: NDR/Story House Productions)

Der Film "Goldschmidts Kinder" erzählt eine verblüffende jüdische Geschichte. Die Autoren treffen beeindruckende Zeugen für einen sensationellen Stoff, verhandeln ihn aber langweilig. Ausgerechnet die wichtigste Figur des Films bleibt ein Rätsel.

Von Claudia Tieschky

Vor etwas mehr als einem Jahr lief bei Arte ein bemerkenswertes zeithistorisches Dokument. Der Filmemacher Michael Kloft, ein Spezialist der Archive, hatte die Aufnahmen des amerikanischen Journalisten Julien Bryan wiederentdeckt. Sieben Wochen war Bryan 1937 in Deutschland unterwegs gewesen und hatte mal mit, mal ohne Erlaubnis ein Gesellschaftsporträt gedreht, das er unter dem Titel Inside Nazi Germany 1938 dem amerikanischen Kinopublikum vorführte. Bryan traute den Nazis nicht über den Weg, der scheinbaren Normalität im Land traute er schon gar nicht.

Jemand muss Bryan damals auf die Schule von Leonore Goldschmidt aufmerksam gemacht haben. Er fuhr jedenfalls nach Berlin-Grunewald und filmte das Unwahrscheinliche: einen Ort, an dem jüdische Kinder wenige Monate vor der Pogromnacht ganz teenagerhaft übermütig und behütet wirken, oder - wie die Schüler von damals heute sagen: der eine Oase war. Die Aufnahmen sind in dem NDR-Dokudrama Goldschmidts Kinder zu sehen, der nun die Geschichte erzählt, die bei Bryan nur Episode sein konnte.

Es ist wirklich verblüffend: Leonore Goldschmidt - 1933 aus dem staatlichen Schuldienst entlassen - gelang 1935 die Gründung einer Privatschule für jüdische Kinder, die in ihren bisherigen Klassen ungehindertem Sadismus ausgesetzt waren. Goldschmidt muss liebevoll, clever und vollkommen illusionsfrei gewesen sein. Sie bereitete ihre Schüler klar auf die Emigration vor, mit zweisprachigem Unterricht in allen Fächern. Sie erwirkt für die Schule den Status als Examenszentrums der Universität Cambridge, der das Studium in England und den USA erlaubt. Spät erst, 1939, ging sie selbst nach England.

Rüstzeug gegen die Hilflosigkeit

Die Autoren Torsten Berg, Robert Krause, Jaron Pazi, Emanuel Rotstein haben betagte Goldschmidt-Zöglinge ausfindig gemacht. Wenn sie erzählen, wird klar, wie groß der Schock durch die antisemitische Ausgrenzung für das jüdisch-deutsche Bürgertum war. Die Goldschmidt-Ausbildung wirkte wie Rüstzeug gegen die Hilflosigkeit. Man spürt viel nachgetragene Liebe für die Lehrerin und das Bedürfnis, Leonore Goldschmidt Hommage zu erweisen.

Goldschmidts Kinder hat beeindruckende Zeugen für einen sensationellen Stoff - und verhandelt ihn sensationell langweilig mit fernsehüblichen Spielszenen, in denen Kinder und Frauen immer niedlicher sind als die echten Vorbilder.

Außerdem fragt man sich: War die Schule nur für bessere Kreise oder allgemein erschwinglich? Trieben Leonore Goldschmidt über das Pädagogische hinaus politische Ideen um? Was wurde aus ihrer Familie? Wie ging es mit ihr - sie starb 1983 in London - überhaupt weiter? Ausgerechnet die Heldin, die Frau auf den alten Fotos, bleibt das größte Rätsel des Films.

Goldschmidts Kinder, ARD, 23.30 Uhr

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