Süddeutsche Zeitung

Basketball in USA:Wettkampf der Sportreporter

Wenn die nordamerikanische Basketballliga ihr Saisonfinale in Disney World austrägt, dürfen auch Journalisten anwesend sein. Zehn von ihnen haben exklusive Rechte - zu einem immensen Preis.

Von Jürgen Schmieder

Es klingt ein wenig wie diese Reklame für eine Kreditkarte. Flug nach Orlando im US-Bundesstaat Florida: 900 Dollar. Zimmer mit Vollpension, Transport zu allen Spielen und täglicher Coronavirus-Test: 550 Dollar pro Nacht. Teilnahme an einem ehrgeizigen Projekt der Unterhaltungsbranche: unbezahlbar.

Die nordamerikanische Basketballliga NBA wird ihre Saison von 30. Juli an im Freizeitpark Disney World fortsetzen, die Spieler der 22 teilnehmenden Mannschaften sind längst da und beschweren sich über Kost und Zimmer. Philadelphia-76ers-Star Joel Embiid kündigte an, dass er 20 Kilo abnehmen werde, und Rajon Rondo von den Los Angeles Lakers verglich seine Unterkunft mit schäbigen Motels. DeMarre Carroll von den Houston Rockets dagegen zeigte sich begeistert: "Ich weiß nicht, was die alle haben. Es gibt Hühnchen, Salat, Bohnen - wo ich herkomme, da ist das solides Futter."

Es dürfte also unterhaltsam werden, und auch wenn Profisportler mittlerweile ihre persönlichen Vertriebskanäle haben - das Gesamtkunstwerk J. R. Smith von den Lakers war auf Dauerbeschwerde-Sendung, ehe ihm die Kollegen rieten, den Instagram-Livestream auch mal abzuschalten -, so braucht es dennoch Leute, die Trainingseinheiten, Spiele und auch die Kommentare der Protagonisten aus der NBA-Blase nach draußen tragen, damit das Volk auch wirklich rundum entertaint ist. Es braucht: Sportreporter.

Journalisten der Group 1 müssen im Freizeitpark bleiben - bis zu 76 Tage lang

Die NBA hat einen 23 Seiten dicken Media Guide veröffentlicht, der "Whole New Game" (Völlig neues Spiel) heißt und in dem alles aufgeführt ist, was man wissen muss: die kürzesten Wege zu den drei Arenen, in denen die Spiele ausgetragen werden. Regeln für die Begegnungen mit Spielern. Der Alkoholgehalt von 60 Prozent für Desinfektionsmittel. Auch aufgeführt: die Kosten für die Unterbringung der sogenannten Group 1 - also Journalisten, die sich wie die Sportler in die Blase in Orlando begeben und von dort aus berichten werden.

Ein Zimmer kostet 550 Dollar pro Nacht, darin sind tägliche Coronavirus-Tests, Transport auf dem Campus und drei Mahlzeiten am Tag enthalten, die man dann schrecklich oder grandios finden kann. "Medienhäuser, die zur Gruppe eins gehören, verpflichten sich, den NBA-Neustart komplett zu begleiten", heißt es. Das möglicherweise siebte Spiel der Finalserie ist für den 13. Oktober angesetzt. Was das bedeutet? Ein Reporter wird bis zu 76 Tage in der Blase bleiben - das kostet sein Unternehmen mindestens 41 800 Dollar. Es ist möglich, den Platz innerhalb der NBA-Blase Anfang September mit einem Kollegen zu tauschen: "Für die Kosten (circa 4500 Dollar) ist das jeweilige Medienhaus verantwortlich." Die NBA hat zehn dieser Akkreditierungen ausgestellt, die Empfänger werden dafür mittendrin sein statt nur dabei.

Die Nur-dabei-Kategorie ist die sogenannte Group 2. Die NBA wird pro Partie 15 Journalisten zulassen, und wer zu dieser zweiten Gruppe gehört, der darf weder zu den Akteuren (auch nicht auf Distanz) noch zu den Trainingsplätzen. Es gibt nur einen Platz auf der Tribüne und die Möglichkeit, als Fragesteller bei den virtuellen Pressekonferenzen nach den Partien bevorzugt behandelt zu werden. Voraussetzung sind zwei Covid-Tests pro Woche; die Kosten von 140 Dollar pro Test trägt der Journalist oder sein Auftraggeber. Auch nicht unbedingt billig, dieses Auch-dabei-Sein, schließlich braucht es noch ein Hotel in der Nähe und Verpflegung.

Sportreporter sind ohnehin eine ganz eigene Kategorie, wenn es um interne Vergleiche geht. Bei jeder sportlichen Großveranstaltung findet ein Wettbewerb darum statt, wer die tollsten und wer die schäbigsten Bedingungen vorgefunden hat. Es gibt Fernsehlegenden wie Uli Köhler (heute Sky, früher ARD), der einem verrät, dass er bei Auslandsreisen des FC Bayern ausgebuffterweise stets das Hotel gegenüber mit Blick auf die FC-Bayern-Unterkunft buchen würde, um noch ein bisschen mehr zu sehen als die Konkurrenten. Und es gibt den französischen Football-Experten Nicolas Martin, dessen Reisestrapazen, die er seit Jahren detailliert auf Twitter protokolliert, mittlerweile eine Tragödie von Samuel Beckett sein könnten. Zuletzt saß er monatelang auf Malta fest.

Dabei war Sportjournalismus lange Zeit eine recht einfache und harmlose Angelegenheit. Jemand ging zu einer Veranstaltung, und dann berichtete er seinen Mitmenschen, wie es gewesen ist. Das reicht heutzutage freilich nicht mehr; begehrt sind nun vor allem Leute, die ein bisschen mehr wissen als die anderen. Derjenige, der in der NBA ein bisschen mehr weiß als alle anderen, das ist Adrian Wojnarowski vom US-Sportsender ESPN. Manchmal hat man den Eindruck, dass er über Transfers schon Bescheid weiß, bevor es die Verantwortlichen der Vereine tun. Wojnarowski dürfte als einer der Gruppe-eins-Journalisten gesetzt gewesen sein.

Erst suspendiert, dann rehabilitiert

Der TV-Sender, der einen Großteil der Partien übertragen wird, hat allerdings seinen besten Reporter kurz vor dem Wiederbeginn der Saison suspendiert. Hintergrund der Geschichte ist, dass der republikanische Senator Josh Hawley aus dem Bundesstaat Missouri einen populistischen Brief an NBA-Chef Adam Silver geschickt hatte, in dem er die Beziehung der Liga zum wichtigen Markt China kritisierte. Die Liga hält sich dort wiederholt auffällig mit Kritik zurück, während sie in den USA bei gesellschaftlichen und politischen Thema als überaus aktiv gilt - auf dem Parkett wird zum Beispiel der Schriftzug "Black Lives Matter" zu sehen sein. Hawley monierte auch die Erlaubnis für die Spieler, politische Botschaften wie "Geht wählen" anstatt Namen auf die Trikots drucken lassen zu können. Die Reaktion von Wojnarowski war eine E-Mail an Hawley, die aus nur zwei Worten bestand: "Fuck you."

Pikant daran: ESPN gehört zum Disney-Konzern, in deren Freizeitpark die NBA nun die Saison fortsetzen will. Die Beteiligten wollen, das zeigen Suspendierung und auch die arg unterwürfige Entschuldigung des Senders an Hawley, möglichst keine Störgeräusche vor dem Neustart, den viele aufgrund steigender Infektionszahlen gerade in Florida durchaus kritisch sehen. Allerdings wird bei der Fortsetzung der Saison, bei der auf Disney-Sendern Spiele aus der Disney-Blase gezeigt werden, ein integrer Journalist wie Wojnarowski so dringend benötigt wie die Kreditkarte beim Bezahlen der Hotelrechnung.

Seit dieser Woche ist Wojnarowski wieder dabei. "Es war ein Fehler, und ich verstehe, warum ich suspendiert worden bin", sagt er: "Ich berichte lieber über Neuigkeiten, anstatt selbst News zu sein." Er ist natürlich in der Blase, und er setzte bereits ein paar seiner berühmten "Woj-Bombs" ab - exklusive Nachrichten über Verletzungen (Domantas Sabonis) und Verhandlungen (die New York Knicks verpflichten Trainer Tom Thibodeau), oder auch darüber, dass beim Start nicht nur Spieler während der Nationalhymne knien werden, sondern auch einige Trainer.

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