Nachruf:Auf die Kunst

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Mainhardt Graf von Nayhauß 2013 in seinem Haus in Bonn.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Wichtiger als all die Großpreisträger: Zum Tode des Kolumnisten Mainhardt Graf von Nayhauß.

Von Willi Winkler

Die Klatschbase ist nur zufällig weiblich. Ohne den Senator Titus Petronius wäre nichts über das Lotterleben in der römischen Kaiserzeit überliefert worden. Dankenswerterweise verzichtet wenigstens Karl August Böttiger in seinen Aufzeichnungen über "Literarische Zustände und Zeitgenossen" auf den Weihrauch, mit dem sonst über den Musenhain Weimar und alles Goethe-und-Schillermäßige dort berichtet wird. Und wer schließlich wollte auf das Literatengeschwätz in den bösartigen Tagebüchern von Fritz J. Raddatz verzichten?

Mainhardt Graf von Nayhauß arbeitete fast siebzig Jahre als Journalist, er reportierte für Spiegel und Stern, kolumnierte für die Bunte und für Bild und hat mit seinen Hintertreppengeschichten mutmaßlich mehr zur Demokratisierung der Macht beigetragen als ganze Jahrgänge von Kisch- und Nannen-Preisträgern.

"Es steht in meiner Macht, Politiker zu ärgern"

Als er 1949 in der vorläufigen Hauptstadt Bonn als Korrespondent begann, konnte es noch vorkommen, dass mittags ein Schäfer seine Herde über die Straße trieb, die heute nach dem ersten Bundeskanzler heißt. Sonst sagten sich dort nur Journalisten und Politiker Gute Nacht, aber auch erst, nachdem sie ausgiebig miteinander Tennis gespielt und noch ausgiebiger getrunken hatten. Mit einer Sauferei wurde der Graf 1958 schlagartig berühmt. Er wusste von einer Weihnachtsfeier, die Abteilungsleiter des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) in einem Kölner Absturzlokal so engagiert begangen hatten, dass Dienstgeheimnisse über die Tische gebrüllt wurden und der Amtschef eine Schlägerei telefonisch beenden musste. Beim BfV erging nach dem Vorfall die Anordnung, dass sich die Bediensteten "grundsätzlich nicht öffentlich betrinken dürfen". Der Innenminister bedrohte den Übeltäter, der das alles im Spiegel ausgeplaudert hatte, mit einem Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats.

Aus berechtigter Sorge um ihre Freiheit solidarisierte sich die gesamte westdeutsche Presse mit der Plaudertasche, und Spiegel-Gründer Rudolf Augstein klärte die Leser darüber auf, dass Nayhauß "Spross einer alten schlesischen Adelsfamilie" und ein Vorfahr 1698 in den Reichsgrafenstand erhoben worden sei. Nayhauß' Vater erwähnte er nicht, den deutschnationalen Nazi-Gegner Stanislaus Graf von Nayhauß, der nach der Machtübergabe 1933 von der Gestapo an den Händen und Füßen gefesselt ersäuft wurde.

Seine Memoiren beweisen, dass auch Klatsch zu den schönen Künsten gehört

Sein Sohn besuchte die Napola, wurde im Krieg verwundet und fühlte sich sein Leben lang dem Militär verbunden. Nach eigener Zählung brachte er es auf 5500 Artikel, die meisten davon Insider-Geschichten, harmlose, manchmal auch unfreundliche Plaudereien. "Es steht in meiner Macht, Politiker zu ärgern", sagte er, und von dieser Macht machte er gern Gebrauch, sei es, dass er über die Bedeutung von Angela Merkels Visagistin oder über Jürgen Trittins Haarfülle berichtete. Trotzdem war ihm niemand länger böse, da sich Politiker wie alle anderen auch gern in der Zeitung wiederfinden.

Der ererbte Adel verschaffte ihm einen Zugang, den andere nicht hatten, wobei er als Schreiber eher die Dienstbotenperspektive wählte. So konnte Nayhauß mitteilen, dass der Hochadel sich nach dem Krieg "trotz Verlustes von Amt und Landbesitz mit der neuen Situation arrangiert" habe. Den Kaiserenkel Louis Ferdinand ließ er über die Frage dampfplaudern, ob die Deutschen nach der Wiedervereinigung "nicht im Rahmen eines Volksentscheids einen Kaiser wünschen" würden. In Nayhauß' Schilderung nahm der Prinz dafür, wie der Chronist getreulich meldete, "sein Wurstbrot aus der Hand".

Wenn er 120 Mal in der Kanzlermaschine mitflog, mit Helmut Kohl wanderte, mit Franz Josef Strauß trank, mit Walter Scheel eine Riesenportion Spanferkel verzehrte, entmachtete er regelmäßig die Macht, die sich von ihm porträtiert wähnte. Er hat, wie Augstein über ihn schrieb, "in liebenswürdiger Form die nackte Wahrheit" berichtet.

Es war die Glanzzeit des Illustriertenjournalismus mit reichlich Zeit und Spesen

Seine Memoiren "Chronist der Macht" (2014) sind der beste Beweis dafür, dass auch Klatsch zu den schönen Künsten zählen und manchmal sogar einen unerhörten Erkenntniszugewinn liefern kann. Sie bieten nicht nur den nostalgischen Blick in die Glanzzeit des Illustriertenjournalismus mit reichlich Zeit und Spesen, sondern zeigen auch, wie kreuzdumm diese gute alte Zeit sein konnte. Sechs Wochen durfte Nayhauß 1966 auf Haiti recherchieren, wurde dann von Diktator Papa Doc zu einem exklusiven Interview empfangen, hackte die Geschichte in die Maschine, telexte sie an Ostern an die Quick-Redaktion und hörte nichts mehr davon. Als er im Dezember nachfragte, bekam er vom Chefredakteur knapp und rassistisch Bescheid: "Neger im Winter wollen wir nicht."

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der große Reporter Mainhardt Graf von Nayhauß am 29. Januar mit 94 Jahren in Köln gestorben.

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