Süddeutsche Zeitung

"Der Blaue Planet" im Ersten:Die Ozeane, wie sie noch nie zu sehen waren

Lippfische, die Muscheln knacken und Mantarochen, die selbst Wasserstrudel produzieren - die neuen Folgen der BBC-Doku "Der Blaue Planet" zeigen intelligentes Leben unter Wasser. Und das in beeindruckenden Bildern.

Von Tina Baier

Starke Bilder sind etwas, das man von Naturdokumentationen der BBC mittlerweile schon erwartet. Die Kamerateams der Serie Der Blaue Planet haben ihren Anspruch für die zweite Staffel, die von diesem Montag an in Deutschland zu sehen ist, aber noch ein Stückchen höher geschraubt: Gezeigt werden sollte nur, was noch nie zu sehen war. Neu entdeckte Arten etwa oder Verhaltensweisen von Tieren, die Wissenschaftler lediglich in Fachzeitschriften beschrieben haben, deren Namen den meisten Menschen unbekannt sind. Die Zuschauer sollten staunend vor dem Fernseher sitzen. Kein einfaches Unterfangen in Zeiten, in denen sich jeder mit wenigen Klicks die schönsten Bilder aus den entferntesten Ecken der Welt auf den Computer laden kann.

In Großbritannien war die Serie die erfolgreichste TV-Sendung des vergangenen Jahres

In vielen, wenn auch nicht in allen Szenen ist das gelungen. Die erste Folge "Unbekannte Ozeane" zeigt beispielsweise aus nächster Nähe, wie sich anderthalb Meter lange und 80 Kilogramm schwere Dickkopf-Stachelmakrelen aus dem Wasser katapultieren, Seeschwalben im Flug schnappen und mit sich in die Tiefe ziehen. Fische, die Jagd auf Vögel machen? Kaum zu glauben, selbst wenn man die Bilder sieht. Auch das vierköpfige Kamerateam, dem diese Aufnahmen auf einem abgelegenen Atoll der Seychellen gelungen sind, war sich zu Beginn der Expedition nicht sicher, ob diese Geschichte wahr ist oder nicht doch eher in die Kategorie Seemannsgarn fällt, heißt es im Pressematerial zur Serie.

Die ungewöhnlichen Bilder und Perspektiven machen aber nur einen Teil der Faszination aus. Die Doku funktioniert auch deshalb so gut, weil wie schon bei der sehr erfolgreichen Schwesterserie Planet Erde Geschichten erzählt werden. Die einer jungen Seeschwalbe zum Beispiel, die ihre ersten Flugübungen ausgerechnet über der Bucht macht, in der die Vogelfresser-Fische kreisen. Als sich der Vogel erschöpft auf den Wellen niederlässt, um auszuruhen, würde man als Zuschauer am liebsten aufspringen und ihn vor der Gefahr warnen. Im Film flattern die Vogeleltern aufgeregt um ihr Küken herum, locken und schimpfen, bis es endlich abhebt. Die kleine Seeschwalbe ist schon wieder in der Luft, als einer der Raubfische wie ein Torpedo aus dem Wasser schießt. Einen Moment sieht es so aus, als würde der Fisch den Vogel noch erwischen. Doch er entkommt um Haaresbreite - Happy End.

In Großbritannien, wo die Serie unter dem Titel Blue Planet II bereits 2017 im Fernsehen lief, war die Doku die erfolgreichste TV-Sendung des Jahres: 14,1 Millionen Menschen sahen die besonders beeindruckende erste Folge. Die BBC hat die aufwendige Serie, für die in 125 Expeditionen auf jedem Kontinent und in jedem Ozean gedreht wurde, mittlerweile an 30 Länder verkauft; der WDR ist an der Serie als Koproduzent beteiligt.

Für viele Szenen mussten die Kameraleute spezielle Techniken entwickeln. Um beispielsweise Gelbflossen-Thunfische und Delfine aus nächster Nähe filmen zu können, während sie mit Höchstgeschwindigkeit durch den Ozean schwimmen, zogen sie eine Schleppkamera hinter einem Boot her. In anderen Szenen vermitteln Saugkameras dem Zuschauer den Eindruck, auf dem Rücken eines Orkas oder Walhais mitzuschwimmen.

Eine besondere Herausforderung dürften die Aufnahmen für die zweite Folge "Leuchtende Tiefsee" gewesen sein, für die die Kameraleute mehr als 1000 Stunden in Unterseebooten verbracht haben. Langsam sinkt das Publikum mit in die Tiefe, und begegnet dabei dem merkwürdigen Glaskopffisch und seltsamen Humboldt-Kalmaren, die so aggressiv sind, dass sie sich manchmal gegenseitig auffressen. Auf dem Grund angekommen, sind die Zuschauer dann dabei, wie ausgehungerte Sechskiemerhaie den Kadaver eines Pottwals in Stücke reißen.

Zusätzlich zur Dunkelheit und dem hohen Druck, der in der Tiefsee auf allem lastet, musste das Team der zweiten Folge aber noch ein ganz anderes Problem meistern. Die Tatsache nämlich, dass auf dem Grund der Meere zwar faszinierende, aber dem Menschen nicht unbedingt sympathische Lebewesen hausen. Es ist deutlich einfacher, eine gute Geschichte über Delfine im Roten Meer zu erzählen, die aus purer Lebensfreude auf den Wellen surfen (Folge 1), als über Würmer, die die letzten Reste aus den Knochen eines Walkadavers saugen (Folge 2). Sprecher Axel Milberg tut sein Bestes, um auch für solche Lebewesen Sympathie oder zumindest Verständnis zu wecken, was oft, aber nicht immer gelingt.

Einige der Aufnahmen, die den Kamerateams für Der Blaue Planet gelungen sind, sind aber nicht nur beeindruckend und unterhaltsam, sondern auch wissenschaftlich interessant. Dazu gehören die Aufnahmen eines Großzahn-Lippfischs im Great Barrier Reef, der geduldig Steine umdreht, Pflanzenreste wegräumt und offensichtlich etwas sucht. Die Sequenz zeigt, wie der Fisch eine Muschel findet, zielstrebig zu einer bestimmten Koralle schwimmt, die er dann wie einen Amboss benutzt, um die harte Schale zu knacken. Die erstaunlichen Bilder sind ein eindeutiger Beleg, dass offensichtlich nicht nur Menschenaffen und Rabenvögel intelligent genug sind, um Werkzeuge zu benutzen, sondern offensichtlich auch Fische. Die Wissenschaftler, die die kognitiven Fähigkeiten des Lippfischs 2011 in einer Fachzeitschrift beschrieben haben, dürften begeistert sein von den detaillierten Aufnahmen. Ähnliches gilt für die Szenen mit den riesigen Mantarochen, die in einer Bucht der kleinen Malediven-Insel Hanifaru beim Krill-Fressen im Kreis schwimmen, sodass sich schließlich ein riesiger Wasserstrudel bildet. Das Phänomen wurde erst 2017 wissenschaftlich beschrieben und von den Kameraleuten der BBC für die dritte Folge mithilfe von Drohnen erstmals gefilmt.

Noch stärker als die Schwesterserie Planet Erde thematisiert Der Blaue Planet immer wieder die verheerenden Folgen von Klimawandel und Umweltverschmutzung. Zu den schwächeren Sequenzen gehören dabei die schon oft gesehenen, aber immer wieder bedrückenden Bilder ausgebleichter Korallenriffe und von Schneisen der Zerstörung, die Fischernetze auf dem Grund der Ozeane hinterlassen. Doch auch einige der stärksten Momente haben mit dem zerstörerischen Einfluss des Menschen zu tun: Es ist eine Sache, theoretisch zu wissen, dass weite Teile der Ozeane mit Plastik zugemüllt sind. Eine andere ist es, mitansehen zu müssen, wie eine Albatrosmutter ihr Junges mit Plastik füttert.

Der Blaue Planet, sechs Folgen, ARD, montags um 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2018/kmh
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