Natascha Kampusch bei Günther Jauch:Wenn die Talkshow zur Tortur wird

Verschleppung und Mißhandlung - Thema bei Jauch

Natascha Kampusch bei Günther Jauch: Dem TV-Talker gelang es in der Sendung nur bedingt, Klischees über Gewaltopfer abzubauen.

(Foto: dpa)

"Wie gelingt ein Leben danach?", fragt ARD-Talker Günther Jauch Natascha Kampusch und andere Entführungsopfer am späten Sonntagabend. Es ist eine der harmlosen Fragen des Moderators. Ansonsten macht Jauch die Sendung zur Qual für seinen prominentesten Gast.

Eine TV-Kritik von Johanna Bruckner

Als Günther Jauch Natascha Kampusch mit dem konfrontiert, was im vorherigen Einspieler zu sehen war, blickt er an seinem Gegenüber vorbei, dann hinunter auf seine Moderationskarten. Es scheint, als wolle er seinem Gast möglichst nicht in die Augen schauen bei diesen Fragen. Ob die gezeigten Filmausschnitte mit ihr abgesprochen gewesen seien, fragt der ARD-Talker seinen Gast. "Ist das ein Signal an die Öffentlichkeit: Sie können sehen, wie es war - aber jetzt lassen Sie mich in Ruhe?" Kampusch hält kurz inne, wie sie das vor fast jeder Antwort tut, und antwortet: "Genau so."

In dem zuvor gezeigten Filmausschnitt war zu sehen, wie die Österreicherin von ihrem Peiniger brutal vergewaltigt wird. Es ist das erste, aber nicht das letzte Mal an diesem Sonntagabend, dass man sich als Zuschauer wünscht, der Moderator möge sich dafür schämen, was er tut, und deshalb jeden Augenkontakt meiden.

3096 Tage, von ihrem zehnten bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr, war Natascha Kampusch in der Gewalt ihres Entführers. "3096 Tage" so heißt auch der demnächst anlaufende Kinofilm, der Kampuschs Geschichte auf Vorlage eines von ihr verfassten Buches nacherzählt. Zu diesem Anlass hat Jauch sie in seine Sonntagabend-Talkshow eingeladen. "Verschleppt und misshandelt - wie gelingt ein Leben danach?" - diese Frage will er sich von seinen Gästen beantworten lassen. Neben Kampusch sind das Johannes Erlemann, der als Elfjähriger gekidnappt wurde; der Journalist Marcus Hellwig, der mehrere Monate in einem iranischen Foltergefängnis eingesperrt war; und der auf Trauma-Patienten spezialisierte Psychotherapeut Georg Pieper.

Eigentlich aber geht es an diesem Abend vor allem um Natascha Kampusch, das wird gleich zu Beginn deutlich. Den ersten Teil der Sendung nimmt ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Jauch und seinem prominenten Gast ein. Die Kamera konzentriert sich allein auf die beiden, schwenkt in der ersten halben Stunde kein einziges Mal über das Studiopublikum. So soll wohl eine intime Gesprächsatmosphäre suggeriert werden. Über die fehlende Empathie des Moderators kann die Kameraführung jedoch nicht hinwegtäuschen.

Dabei fängt Jauch naiv, vergleichsweise harmlos an. Er wolle Natascha Kampusch fragen, ob sie heute wieder das führen könne, "was wir ein normales Leben nennen", sagt er einleitend in Richtung der Zuschauer und wendet sich dann seinem Gast im Sessel schräg gegenüber zu. Natascha Kampusch präsentiert sich heute, an ihrem 25. Geburtstag, einem zu erwartenden Millionenpublikum.

Wie sie die Geburtstage in Gefangenschaft erlebt habe, will der Moderator wissen. "In gewisser Weise brachten mich diese Geburtstage meinem 18. Geburtstag entgegen", antwortet Kampusch. Die Jahre hätten ihr geholfen, kräftiger und stärker zu werden. "Es hat mich zur Verzweiflung gebracht, dass ich dieser körperlichen Gewalt, dem Eingesperrtsein nichts entgegenzusetzen hatte", sagt sie an anderer Stelle. Manchmal, so erzählt sie, habe sie ihre Kleidungsstücke auf einem Stuhl zu einem angedeuteten Gegenüber drapiert und mit diesem die "Psychodramen durchgespielt und Methoden zur Widersetzung geprobt". Ihr 18. Geburtstag sei für sie "symbolträchtig" gewesen, er habe sie dazu gebracht, ihr bisheriges Leben neu zu überdenken und schließlich die Flucht zu wagen.

Unbehagen im Publikum

Auch zu jenem 23. August 2006, dem Tag der Befreiung, gibt es einen Einspieler aus dem Film. Zu sehen ist Natascha, wie sie im Garten das Auto ihres Kidnappers putzt und dann in einem Augenblick seiner Abwesenheit durchs Tor entwischt. Es habe doch schon vorher Gelegenheiten gegeben - bei einem Besuch mit ihrem Entführer im Baumarkt oder als sie mit ihm in eine Polizeikontrolle geraten sein - warum sie nicht schon früher geflohen sei, hakt Jauch ein. "Da war ein inneres Gefängnis, das es mir unmöglich gemacht hat, mich zu befreien", sagt Kampusch.

Die Frage nach dem Warum - Warum flieht ein Opfer nicht, wenn es kann? - sie treibt wohl viele beim Fall Kampusch um, weil ein solches Verhalten dem typischen Opfer-Bild widerspricht. Deshalb ist es wichtig, dass Jauch sie stellt. Doch hätte man sich an dieser Stelle zur Abwechslung dringend einen Einspieler gewünscht zu den Hintergründen emotionaler Gebundenheit zwischen Opfer und Täter, oder eine Erklärung des geladenen Trauma-Experten. Denn Natascha Kampusch beantwortet zwar jede Frage mit einer bisweilen quälenden Ehrlichkeit. Doch sie tut es eben auf ihre ganz eigene Art: sorgfältig durchdacht, mit gewählten, manchmal gestelzt wirkenden Worten. "Der Kampusch zuzuhören, macht mich nervös", kommentiert eine Zuschauerin bei Twitter.

Doch nicht nur im Publikum scheint es Unbehagen und Unverständnis darüber zu geben, wie sich Natascha Kampusch mit ihrer Gefangenschaft arrangiert hat - und wie sie ihr Leben wieder in Freiheit gestaltet. Auch dem Moderator mangelt es an Verständnis für seinen Gast.

Das kann man erahnen, wenn der ARD-Talker Kampusch zu ihrem Leben in Wien befragt und dabei durchscheint, wie unvernünftig er diese Wohnortwahl findet: "In Österreich kennt jeder ihr Gesicht - ist das nicht Teil des Problems?" Sie habe nicht in Anonymität leben, ihre Identität aufgeben wollen, sagt die 25-Jährige. Acht Jahre lang hat sie dafür gekämpft, sich selbst nicht zu verlieren. Unverständnis klingt auch bei einer von Jauchs nächsten Fragen durch: "Wollten oder mussten Sie an die Öffentlichkeit gehen?", will er wissen. "Beides", sagt Kampusch und fügt fast entschuldigend hinzu, sie habe sich nicht den Paparazzi aussetzen und Artikeln zuvorkommen wollen, "die jeglicher Authentizität entbehren".

Wenig später, mittlerweile sind die anderen Gesprächspartner dazugestoßen, spricht der Moderator die 25-Jährige auf ihr Negativ-Image in Teilen der Öffentlichkeit an. Er konfrontiert sie mit Anfeindungen in einem Online-Forum, gleich mehrere, mehr oder minder menschenverachtende Kommentare verliest Jauch, um Kampusch dann - in gnadenloser Boulevard-Manier - zu fragen, wie sie sich dabei fühle. "Ich denke", sagt sie, "das macht einen sehr sprachlos und traurig." Wie immer, wenn sie sich unwohl fühlt, wandert ihr Blick dabei weg vom Gegenüber zur Studiodecke.

Wenn sich Jauch in diesem Moment nicht für sich selbst schämt, der Zuschauer tut es. Dass Kampusch den Weg in die Medien gesucht hat und noch immer sucht, mag man nachvollziehen können oder unverständlich finden. Doch so wenig wie die junge Frau die im Netz verbreitete hasserfüllte Häme verdient hat, so wenig hat sie einen Gesprächspartner verdient, der ihr nachzutragen scheint, dass sie sich der Öffentlichkeit aussetzt - um im gleichen Moment ihr Schicksal medial auszuschlachten.

Wenig Sendezeit für den Trauma-Experten

Kampusch erklärt sich die Aggressionen gegen sie auf Nachfrage damit, "dass ich mich anders verhalte, als sie sich das von einem Opfer vorgestellt hätten". Mit "sie" sind die Menschen vor den Bildschirmen gemeint, die Aussage trifft aber wohl auch auf den Moderator zu. Der ARD-Talk hätte dazu beitragen können, Opfer-Klischees abzubauen - am Ende ist es vor allem Jauch anzulasten, dass das nur am Rande gelingt.

Seine Gäste, neben Kampusch vor allem Psychotherapeut Pieper und Entführungsopfer Erlemann, bemühen sich jedenfalls in der wenigen Sendezeit, die ihnen zugestanden wird. "Die Öffentlichkeit möchte ein geschlagenes, gebrochenes Opfer sehen. Nur dann spendet sie Beifall", kritisiert Pieper. Dabei sei es für Geschädigte von Gewaltverbrechen wichtig, aus der Opferrolle rauszukommen. Sie müssten in "radikaler Akzeptanz" ihr Schicksal annehmen und lernen, mit dem Erlittenen und den Folgen klarzukommen. Für Pieper ist Kampusch eine "Botschafterin des Überlebens".

Johannes Erlemann versteht die 25-Jährige vielleicht am besten von allen an diesem Abend - auch wenn er Parallelen zum Martyrium der Österreicherin abwehrt. 1981, im Alter von elf Jahren, wurde der Sohn einer wohlhabenden Kölner Familie gekidnappt, zwei Wochen in einem Waldloch gefangen gehalten und erst nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen. "Das lässt sich ganz schwer vergleichen", sagt Erlemann, "aber die Zeit danach lässt sich vergleichen." Er sei "wie ein Vieh durchs Dorf getrieben" worden, und nicht immer reagierten Umfeld und Öffentlichkeit verständnis- und mitleidsvoll: "Man muss sich entschuldigen, dass man so ein Schicksal hat."

Das mag ein Grund dafür sein, dass Natascha Kampusch immer wieder die Öffentlichkeit sucht - und auch deren Ablehnung erträgt. Dadurch, dass der Täter nicht mehr am Leben sei, sagt die junge Frau, "mussten sie ein Objekt finden, auf das sie ihre Gefühle übertragen konnten. Das war dann wohl ich."

Sie hat mittlerweile den Hauptschulabschluss nachgeholt und eine Lehre als Goldschmiedin begonnen. Konkrete Pläne habe sie aber nicht, erklärt Kampusch Jauch, sie habe in der Vergangenheit zu verkrampft auf gewisse Ziele hingearbeitet - "das hat mir nicht gutgetan". Das Haus in einem Wiener Vorort, in dem sie acht Jahre lang eingekerkert war, wurde mittlerweile abgerissen. "Es fühlt sich sehr gut an, dass das Verlies zugeschüttet wurde", sagt sie.

Dennoch, bislang hat Kampusch ihre Vergangenheit nur symbolisch begraben, die Traumata holten sie immer wieder ein, sagt sie. Auch Johannes Erlemann träumt noch von seiner Gefangenschaft, "manchmal jeden Tag". "Wir sind die, die lebenslänglich bekommen", sagt er.

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