Süddeutsche Zeitung

Nannen-Preis für Ibiza-Recherche:45 Minuten am Schreibtisch statt Gala-Abend

Die Verleihung des Nannen-Preises fiel in diesem Jahr etwas anders aus als gewohnt. Ausgezeichnet wurden Journalisten von SZ und Spiegel für die Enthüllung der Ibiza-Affäre in der Kategorie Investigation. Auch Youtuber Rezo erhielt einen Preis.

Von Peter Burghardt

Es gab Zeiten, sie sind erst einen Sommer her, da sprach die Welt dank zupackender Journalisten zum Beispiel über Ibiza. In einem Ferienhaus auf der Baleareninsel hatte der nachmalige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ mit einer täuschend echt aussehenden vermeintlichen russischen Oligarchin erörtert, wie sich Teile Österreichs verscherbeln ließen.

Reporterinnen und Reporter von Süddeutscher Zeitung und Spiegel werteten ein Video des feuchtfröhlichen Abends aus, prüften, recherchierten, veröffentlichten Teile der Aufnahme und schufen mit ihren Texten ein großes Stück Journalismus. Die Ibiza-Affäre.

Strache und die Regierung Kurz stürzten, mittlerweile regiert Kurz mit den Grünen. Knapp ein Jahr danach wurde das Team von SZ (Leila Al-Serori, Oliver Das Gupta, Peter Münch, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer) und Spiegel (Maik Baumgärtner, Vera Deleja-Hotko, Martin Knobbe, Walter Mayr, Alexandra Rojkov, Wolf Wiedmann-Schmidt) nun mit einem Nannen-Preis prämiert, einer der höchsten Auszeichnungen für Journalisten.

Aber in der Corona-Ära 2020 verlief die Verleihung etwas anders als sonst.

Gewöhnlich ist dies ein Hochamt der Branche. Diesmal ereignete sich die Gala mit zwei anwesenden Menschen, online. Bei Gruner + Jahr saßen vor einer Kamera der Moderator Michel Abdollahi und Stern-Chefredakteur Florian Gless am Schreibtisch von Henri Nannen, dem früheren Patron des Stern, nach dem die Preise benannt sind. Ohne Maske, getrennt von einer knappen Nannen-Schreibtischlänge.

Statt einer langen Nacht dauerte die Zeremonie 45 Minuten. Kurzarbeit, in der sich wegen der Pandemie ja auch mehrere Verlage einfinden.

Von Henri Nannen stammte übrigens einst der Hinweis, dass man im Journalismus das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinauswerfen müsse, damit es unten schubkarrenweise durch die Tür wieder hineinkomme. Ganz andere Zeiten, wobei festzustellen wäre, dass guter Journalismus nach wie vor Geld kostet.

Auf dem Nannen-Schreibtisch also lagen jetzt Umschläge, heraus kamen die Namen der Auserwählten. Die Königsdisziplin Egon-Erwin-Kisch-Preis gewann Dominik Stawski vom Stern mit seiner brillanten Reportage "Wenn das Herz versagt und es nur eine Rettung gibt", er begleitete ein Jahr lang vier herzkranke Menschen beim Warten auf ein Spenderherz.

Nannen und Rezo, auch ganz lustig

Die übrigen Preise: Amrai Coen und Malte Henk (Dokumentation - "Wenn sie euch nicht in den Jemen lassen, berichtet trotzdem", Die Zeit), Christoph Heinemann (Lokale Investigative Leistung, "Soko 'Cold Cases' - Chronik eines Versagens", Hamburger Abendblatt), Dina Litovsky (Reportage-Fotografie "Ein wenig locker machen", Stern) und Marteline Nystad ("Die Körperrevolution", Brigitte). Den Sonderpreis erhält Rami Abdurrahman, der unermüdlich Syriens Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Die Fotos der Nannen-Sieger kamen in die Nannen-Vitrine, und da steht auch das Bild von Rezo. Dessen Verriss "Die Zerstörung der CDU" auf Youtube eroberte etwas überraschend die Kategorie Web-Projekt. Nannen und Rezo, auch ganz lustig.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4893815
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.05.2020/mxh/odg
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.