Süddeutsche Zeitung

Nahostexperte Peter Scholl-Latour:Der Hecht im Teich

Im Islam, so wird gesagt, gebe es drei Glaubensrichtungen, Sunna, Schia und Scholl-Latour: Der Journalist Peter Scholl-Latour wurde 90 Jahre alt - nun ist er gestorben. Über einen Mann, dem es stets gelang, sich das Vertrauen der großen Machthaber in Nahost zu sichern.

Von Rudolph Chimelli

Dieser Text erschien am 9. März anlässlich des 90. Geburtstages von Peter Scholl-Latour. SZ-Autor Rudolph Chimelli würdigt darin das Schaffen des Journalisten und Buchautoren, der am 16. August 2014 nach schwerer Krankheit gestorben ist.

Der 1. Februar 1978 war ein großer Tag im Leben des Ayatollah Chomeini und von Peter Scholl-Latour. Beide flogen in der derselben Maschine von Paris nach Teheran. Während der Ayatollah im exklusiven Obergeschoss des Jumbos reiste, saß der Journalist unten in der Massenkabine, wie Dutzende von Journalisten, die den Geistlichen bei seiner triumphalen Heimkehr aus 14-jährigem Exil begleiteten. Als der östliche Horizont hell wurde und Chomeini sein Morgengebet verrichtete, durfte Scholl-Latour nach oben, um die Szene zu filmen. Später reichte ihm ein Begleiter des Ayatollah einen Umschlag mit der Bitte, ihn durch die Kontrollen nach der Landung zu bringen. Doch es gab weder Durchsuchung noch Beschlagnahme, und Scholl-Latour gab das Kuvert nach der Landung zurück. "Er enthielt die Verfassung der Islamischen Republik", will er später erfahren haben. "Chomeini hat mir vertraut."

Was sich wirklich in dem Umschlag befand, ist nicht mehr zu ermitteln. Die Verfassung war es nicht. Ihr Entwurf wurde erst Monate danach fertig. Völlig richtig ist dagegen, dass der deutsche Journalist, der Chomeini bereits mehrmals interviewt hatte, dessen Vertrauen genoss.

Im Gegensatz zu vielen in unserem Gewerbe besaß Scholl-Latour immer die Gabe, Vertreter anderer Kulturen, Religionen oder politischer Richtungen so zu begegnen, dass diese sich verstanden und geachtet fühlten. Er sah in ihnen keine Hinterwäldler der Geschichte, denen geholfen werden musste, sich den Höhen unserer Zivilisation zu nähern. Nicht nur Iraner, auch Informanten in anderen Ländern Asiens oder in Afrika rühmen Scholl-Latour dafür, dass er bei politischen Konflikten in seinem Urteil und in seiner Wortwahl nicht reflexartig westliche, vor allem amerikanische Propagandathesen wiedergebe. Er spricht zu seinen Partnern von gleich zu gleich, denn die Welt ist für ihn zurecht multikulturell - was er den westlichen Gesellschaften offenbar nicht wünscht.

Immer gegen den Meinungsmainstream

Zu Vietnam, zur Entkolonialisierung, zum Irak, Afghanistan, Libyen und zu den anderen großen Konflikten ist Scholl-Latour in seinen Reportagen, zahlreichen Büchern und Diskussionsbeiträgen über die Jahrzehnte hinweg fast immer gegen den westlichen Meinungsmainstream geschwommen. Zuletzt zu Syrien. Auch er findet, dass Assad ein blutrünstiger Diktator ist ("von solchen gibt es viele"), aber er ist überzeugt, dass die Alternativen noch schlechter wären. Hecht im Karpfenteich zu sein, hat seiner Karriere gut getan. Er hat eine feste Wohnung in Berlin, ein Domizil auf der noblen Pariser Ile Saint Louis und eine Villa im Hinterland von Nizza.

Noch ein anderes Talent Scholl-Latours, sich richtig in Szene zu setzen, offenbarte der eingangs erwähnte Flug nach Teheran. Die meisten mitgereisten Journalisten versuchten, Chomeini zu folgen, waren für Stunden in der jubelnden Menge in Teheran eingekeilt, ohne die Möglichkeit, zu telefonieren oder Berichte zu übermitteln (unter ihnen der Verfasser, der Tage zuvor eingetroffen war). Scholl-Latour sprach vor der Air-France-Maschine seinen Bericht, stieg wieder ein, flog nach Paris zurück und sendete von dort. Fast allein hatte das deutsche Fernsehen einen aktuellen Beitrag.

Französischer Fallschirmflieger in Indochina

Scholl-Latour, der an diesem Sonntag neunzig wird, ist durch seine vielfältigen Erfahrungen zu einer Urbanität gelangt, die manche anderen Journalisten nur simulieren. Sein Vater war Arzt aus dem Saarland, seine Mutter kam aus dem Elsass, einen prägenden Teil der Schulzeit verbrachte er im schweizerischen Freiburg. Gegen Kriegsende geriet er in Gestapo-Haft, kämpfte aber schon bald danach als französischer Fallschirmjäger freiwillig in Indochina. Er studierte an der Sorbonne, der Pariser Hochschule für Politik sowie an der Beiruter Jesuiten-Universität St. Joseph, wo er den Grundstock seiner Arabischkenntnisse erwarb. Als der General noch lebte, fühlte er sich als Gaullist.

Eine Zeitlang verfolgte ihn das Pech, von Leuten, die nichts verstanden, im gleichen Atem mit einer anderen deutschen TV-Größe genannt zu werden: dem Schwadroneur Gerhard Konzelmann, der schnelle Oberflächlichkeit lange vor dem Internet praktizierte. Seit der Orientalist Gernot Rotter mit dem Buch Allahs Plagiator dem Spuk ein Ende machte, ist Scholl-Latour fast Alleinherrscher im Reich der populären Islamkunde. Ein Historiker, der mit wissenschaftlicher Akribie arbeitet, will er nicht sein. Fehler passieren. Aber oft haben seine Abträger später erkannt, dass er in der Sache Recht hatte. Im Islam, so wird gesagt, gebe es drei Glaubensrichtungen, Sunna, Schia und Scholl-Latour.

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SZ vom 07.03.2014/pfn
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