Nachtkritik: Betancourt bei Beckmann:Die dem Dschungel entkam

Von der Sucht nach Freiheit und dem Ekel vor Politik - Ingrid Betancourt redet bei "Beckmann" in der ARD über sechs Jahre Gefangenschaft im Dschungel Kolumbiens.

Sebastian Schoepp

Wie übersteht man sechs Jahre Geiselhaft im Urwald, was richtet es in einem an, angekettet zu sein, gedemütigt zu werden, krank zu sein und Medikamente vorenthalten zu bekommen, keine Entscheidung mehr über das eigene Leben zu haben?

Betancourt

Die ehemalige Präsidentschaftskandidation Kolumbiens Ingrid Betancourt zu Gast bei ARD-Talker Reinhold Beckmann.

(Foto: Morris Mac Matzen/mmacm.com)

Auf 730 Seiten hat Ingrid Betancourt versucht, das zu erklären, ihre Zeit in Gefangenschaft der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) von 2002 bis zu ihrer spektakulären Rettung durch die Armee 2008 zu beschreiben. Doch am Ende der Lektüre ihres Buches Kein Schweigen, das nicht endet, weiß man nur: Man kann sich einfach nicht vorstellen, wie das ist, und man will es sich eigentlich auch nicht vorstellen müssen.

Die Fragen, die auf 730 Seiten offen bleiben, können nicht in einer Fernseh-Talkshow geklärt werden. Am Montagabend fragte Moderator Reinhold Beckmann seinen Gast Betancourt vor allem nach all den Dingen, die schon in ihrem Buch stehen. Er tat es taktvoll und zurückhaltend, fiel ihr nicht ins Wort und ließ die Dinge aus, von denen man wusste, dass sie sie eh nicht beantworten würde, etwa die, warum sie ihren Ehemann verließ.

Über alles andere spricht Ingrid Betancourt in großer Offenheit. Sie habe mit Gott gehadert, als sie vom Tod ihres Vaters aus einer Zeitung erfahren habe, in die die Entführer Kohlköpfe eingewickelt hatten. Man verliere den Sinn für die eigene Identität, wenn man behandelt werde wie ein Tier. In die Politik möchte sie vorerst nicht zurück, "denn der Kampf um die Macht bringt das Schlimmste im Menschen zum Vorschein". Und sie zeigt Verständnis für Mitgefangene, die sie im Nachhinein als egoistische "Dschungelprinzessin" bezeichnet hatten. "Man tut Dinge, von denen man nicht will, dass man sie tut."

Ingrid Betancourt wirkte so gefestigt, wie sie zu sein behauptete. Und wer will schon urteilen, ob das Fassade ist oder nicht. Nur, als die Szenen von der ersten Umarmung mit der Mutter nach der Befreiung eingespielt wurden, flossen ein paar Tränen der Rührung. Dass sie durch die Entführung zu einem Weltstar geworden ist, der sie ohne die sechs Jahre im Urwald nie geworden wäre - diese Form der Kompensation will man ihr gerne gönnen.

Nur in ihrer Heimat Kolumbien hat man ihr ein paar missglückte Auftritte übel genommen, etwa, als sie kurzzeitig Schadenersatz in Millionenhöhe von der Regierung wollte. Sie zog die Forderung zwar zurück, Kolumbien jedoch scheint inzwischen weit weg für die frühere Präsidentschaftskandidatin zu sein. Die 50-Jährige schrieb ihr Buch auf Französisch, in Frankreich lebt sie auch, bei Beckmann sprach sie sogar Englisch.

Geiseln scheinen sich zuhause schnell unbeliebt zu machen. Werner Wallert warf man in Deutschland Geldgier vor, als er und seine Familie ihr Schicksal vor zehn Jahren vermarkteten. Die Wallerts waren vier Monate im philippinischen Urwald von Islamisten festgehalten worden, jedoch gingen in diesem Camp die Journalisten aus und ein und machten aus dem Fall eine "Entführungs-Soap", wie Beckmann sagte. Wallert wollte nicht widersprechen. Das Fernsehen habe die Bilder so lange "abgenudelt", bis sie keiner mehr sehen wollte. Dafür, dass sie nachher Geld genommen hätten, verteidigte er sich. Die Medien hätten an den Bildern ja auch verdient.

Außerdem sei immer noch viel Falschinformation im Spiel: So werde er heute noch gefragt, wie er in einem Krisengebiet wie den Philippinen habe Urlaub machen können - dabei seien er und seine Familie in Malaysia entführt und erst auf die Philippinen gebracht worden. So ganz schlecht kann die Medienpräsenz andererseits aber nicht gewesen sein, denn ein Journalist trug maßgeblich zur Rettung bei - ein Detail, das der frühere Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer in der Runde beisteuerte.

Trotzdem nutzten die Beteiligten am Ende das Medium Fernsehen, um Medienschelte zu üben. Auch in der Zeit ihrer Gefangenschaft sei mal ein Journalist im Lager aufgetaucht und habe Videos gedreht, berichtete Ingrid Betancourt. Diese Präsenz von außen führe dazu, dass man sich noch benutzter fühle als ohnehin schon.

Doch genau so fühle sich eben Freiheit an, antwortete sie auf die Abschlussfrage Beckmanns: Dass sie nun selbst entscheiden könne, wo sie auftrete und wo nicht.

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