Nachruf:Vierzig Jahre Krieg

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Der eigensinnige Reporter Robert Fisk hat auf den schlimmsten Schlachtfeldern von der Seite der Opfer berichtet - und er hat die USA ausgiebig kritisiert. Jetzt ist Fisk im Alter von 74 Jahren gestorben.

Von Willi Winkler

Für einen richtigen Kriegsreporter war er viel zu gebildet, sein Stilbewusstsein ließ zu wünschen übrig, denn nie wäre es ihm eingefallen, in der Peter-Scholl-Latour-Frontberichterstatteruniform aufzutreten oder gar dem Ortsgeist mit der beduinischen Kefije zu huldigen. Dennoch hat der Brite Robert Fisk aus mehr Kriegen berichtet als selbst der Reporter Ernest Hemingway, hat vierzig Jahre lang für die Times und den Independent über Luftangriffe, Attentate, Autobomben und Erschießungen geschrieben. Er selber ist fast immer mit heiler Haut davongekommen.

Als er Ende 2001 in Pakistan von afghanischen Flüchtlingen überfallen und geprügelt wurde, berichtete er darüber wie immer in der ersten Person Singular und nahm stellvertretend die Schuld auf sich: Der Angriff sei eine begreifliche Reaktion auf die dauernden Interventionen des Westens gewesen. So macht man sich Freunde und Feinde.

Jamal Khashoggi, der vor zwei Jahren im Benehmen mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in Istanbul ermordete Journalist, der sich damals noch bester Verbindungen zum saudischen Geheimdienst erfreute, machte Fisk bereits 1993 mit einem aufstrebenden Unternehmer bekannt. Es war Osama bin Laden, der so schüchtern war, dass er den Blick nicht halten konnte, wenn ihn jemand ansprach. Bin Laden, inzwischen weltberüchtigt, revanchierte sich später mit dem zweifelhaften Kompliment, dass die Regierung Bush Nachhilfe bei den Reportagen Fisks nehmen solle.

In seinem Buch, sarkastisch betitelt "Der Große Krieg für die Zivilisation" (2005), dankte Fisk allen, die auf je verschiedene Art zu dem Werk beigetragen hatten - Bombenleger, Waffenhändler und Diplomaten und dazwischen seinen Eltern. Sein Vater hatte an der Schlacht an der Somme teilgenommen und es versäumt, den Gefreiten Adolf Hitler auf der Gegenseite zu erwischen. Dieser Erste Weltkrieg blieb für den Sohn maßgeblich, denn er berichtete, von seiner Anfangszeit in Nordirland abgesehen, fast sein ganzes Berufsleben lang aus den 1919 kreierten Staaten zwischen Belgrad und Mekka.

Fisk war in jeder Hinsicht ein Wundertier, ein Reporter, der sich offen dazu bekannte, einseitig, nämlich von der Seite der Opfer zu berichten, ein Engländer, der im Nordirlandkonflikt mit der Gegenseite sympathisierte, ein Pazifist, der den Krieg hasste, den es aber immer wieder an die Schauplätze der schlimmsten Angriffe und Massaker zog. In den Flüchtlingslagern Schatila und Sabra zählte er 1982 die von christlichen Milizen ermordeten Palästinenser. Er war 1991 in Bagdad, als im ersten amerikanischen Irakkrieg die Marschflugkörper einschlugen. Er recherchierte, wenn die amerikanische Luftwaffe einen Flüchtlingstreck in Afghanistan angegriffen hatte, und er suchte nach einem Bombardement gegen Serbien so lange nach Munitionsresten, bis er die eingestanzte Nummer gefunden hatte, mit der er die Lieferkette zum Hersteller zurückverfolgen konnte. Verständlich, dass er die Kollegen als "Hotel-Journalisten" schmähte, weil sie nicht darauf aus waren, dass ihnen die Kugeln um die Ohren pfiffen.

Beirut war jahrzehntelang seine Basis, dort saß er auf einem winzigen Balkon "und überlegte, wo die nächste Explosion zu hören sein würde". Von dort aus war es nicht weit nach Damaskus, wo er den Eichmann-Mitarbeiter Alois Brunner aufstöberte. Er scheute nie die Reise in die USA, wo er an den Universitäten bald über eine ähnlich anhängliche Gefolgschaft wie Noam Chomsky verfügte.

So wenig sich Fisk den Landessitten anpasste, sah er doch wie der ganze Vordere Orient alle Schuld beim Westen und insbesondere bei den USA, die dem britischen Empire als Kolonialmacht nachgefolgt seien.

Als die Times von Rupert Murdoch übernommen wurde, kündigte er. Nach seinen Angaben war ihm 1988 aus seiner Reportage der Nachweis herausredigiert worden, dass es ein amerikanischer Flugzeugträger gewesen war, der einen iranischen Airbus mit 290 Passagieren abgeschossen hatte. Später musste sich sogar US-Präsident Ronald Reagan bei der iranischen Regierung entschuldigen, und die USA zahlten an die 70 Millionen Dollar Entschädigung. Fisk wechselte zum Independent, wo er regierungsnahe Propaganda weiter mit der Realität der zerfetzten Leichen auf den Schlachtfeldern verglich.

Berufliche Deformation wäre bei Fisk am allerwenigsten zu erwarten gewesen, doch ließ er sich zuletzt von der Propaganda des Assad-Regimes in Syrien lähmen und erklärte nach einer Einladungsreise nach Douma, es habe dort keinen Giftgasangriff gegeben. Am 30. Oktober ist der vielfach ausgezeichnete Reporter Robert Fisk im Alter von 74 Jahren in Dublin gestorben.

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