Nachruf:TV-Kritik mit Buntstiften

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Moderator Thomas Gottschalk (l) reicht seinem Wettkandidaten, dem damaligen Chefredakteur des Satiremagazins ´Titanic", Bernd Fritz, während der ZDF-Show ´Wetten dass..?" am 03.09.1988 in Stuttgart einen Buntstift. (Foto: dpa)

Bernd Fritz, einst Chefredakteur des Satire-Magazins "Titanic", sprengte 1988 die Sendung "Wetten, dass ..?", als er an Buntstiften lutschte. Nun ist er mit 71 Jahren gestorben.

Von Willi Winkler

Völlig zu Unrecht steht der Verräter in einem ganz schlechten Ruf. Schließlich bleibt er nicht auf seinem Wissen hocken, sondern teilt es großzügig aus. Gern gibt er den Armen, oder doch den Armen im Geiste. Der Kabarettist Wolfgang Neuss verriet 1962 vor der Sendung, wer der Mörder in der Serie Das Halstuch war. Der Volkszorn, von volkstümlicher Seite angestachelt, kochte über. "Skandal!" brüllte es und "Vaterlandsverräter!" Bernd Fritz ging noch einen Schritt weiter: Er blamierte Thomas Gottschalk und ganz Fernsehdeutschland dazu. 1988 meldete sich der Titanic-Chefredakteur unter falschem Namen bei der Redaktion von Wetten, dass..? und versprach, die Farbe von Buntstiften am Geschmack zu erraten. Das war so bescheuert beziehungsweise sublime Synästhesie, dass er eingeladen werden musste und die Sendung bilderbuchmäßig sprengen konnte. Wie bestellt leckte er an dem, was ihm vor die Nase gehalten wurde, seine Augenbinde war aber so leicht zu verschieben, dass er das erwünschte Ergebnis produzieren und Millionen Gläubige düpieren konnte. Und dann petzte er auch noch live. Während Gottschalk den Kulturauftrag des Fernsehens erfüllte und das Volk verdummte, hielt der Aufklärer Fritz den Moderator und sein Volk zum Narren. Das war allerbeste Fernsehkritik, und dabei war die Disruption noch gar nicht erfunden. Später arbeitete er leider Gottes - von irgendwas muss man ja leben - in der Gefälligkeitskritik und wählte dafür, bei seiner Vorgeschichte de rigueur, am liebsten den Feinschmecker. Unvergessen aber, neben seinem Auftritt am heiligen Samstagabend, sein Engagement für den vulgärsten und schon deshalb besten französischen Zeichner, für Jean-Marc Reiser, den Fritz hingebungsvoll übersetzte. Damit hat er sich nicht nur um das hochkulturelle Fernsehen, sondern um das ganze deutsche Vaterland verdient gemacht. Am Sonntag ist er gestorben. Drei Stifte auf sein Grab.

© SZ vom 19.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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