Nachruf:Der vorbildlich Unzuverlässige

Nachruf: Nat Hentoff, geboren 1925 in Boston, machte in New York Karriere als Freidenker, Jazzkritiker und Kolumnist: 50 Jahre schrieb er allein für Village Voice.

Nat Hentoff, geboren 1925 in Boston, machte in New York Karriere als Freidenker, Jazzkritiker und Kolumnist: 50 Jahre schrieb er allein für Village Voice.

(Foto: Cato Institute)

Nat Hantoff war Kolumnist, Jazzkritiker und Freigeist. Das Recht auf Meinungsfreiheit ging ihm über alles. Nun ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Willi Winkler

Boston ist die Stadt der Pilgerväter, der Alkoholschmuggler und der Kennedys, irisch bis in die Knochen und unendlich reich. Nat Hentoff merkte bereits als Teenager, dass er nicht dazugehörte: In Boston tobte der Antisemitismus, er fühlte sich als Außenseiter. Ein Außenseiter ist er zeitlebens geblieben: als Kolumnist der Village Voice, als Bürgerrechtler, als Gegner von Vietnamkrieg und Todesstrafe, als geschworener Feind jeder Macht, jeder Vorschrift.

So konnte er seine besten Freunde verstören, wenn er sich gegen die politische Korrektheit in Lehrplänen wandte, ein allgemeines Recht auf Abtreibung bestritt und sogar George W. Bushs Irakkrieg verteidigte. Dennoch klagte er die gleiche Regierung wegen der im Irak begangenen Kriegsverbrechen an, empörte sich über die black sites, die die CIA in befreundeten Ländern einrichtete, um ungestört foltern zu können, und geißelte Barack Obama, weil er die präsidentielle Macht noch mehr ausweitete und nicht bereit war, Guantánamo zu schließen.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ging Hentoff über alles. Immer war er Fundamentalist, nur nicht in der Musik. Als führender Jazzkritiker brachte er den Lesern des New Yorker nicht nur die Grundbegriffe der politischen Folkmusik bei, sondern entdeckte für sie einen in die Großstadt geschneiten Hipster, den er als Mischung aus Huckleberry Finn und Woody Guthrie beschrieb: Bob Dylan. Bis fast zuletzt schrieb er meinungsstark und nannte sich stolz einen "jüdischen Atheisten". Am Samstag ist der vorbildlich unzuverlässige Journalist Nat Hentoff mit 91 Jahren in New York gestorben. Wie sein Sohn auf Twitter mitteilte, hörte er dabei Billie Holiday.

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