Nachruf:Der Pankraz

Günter Zehm war der wichtigste erzkonservative Kolumnist im Nachkriegsdeutschland. Er kam als enttäuschter Kommunist aus der DDR, wo er verfolgt worden war und wandelte sich zum Autor, der für die "Welt" auf alles allergisch reagierte, was ihm irgendwie links erschien.

Von Willi Winkler

Im Herbst 1956, als die Panzer der Roten Armee den Aufstand in Budapest niederwalzten, kam es in der DDR zu einer kleinen Rebellion der Intellektuellen, doch schnell war sie niedergeschlagen: Walter Ulbricht ließ einsperren, wer sich einen anderen Sozialismus vorstellen wollte. Ernst Bloch in Leipzig wurde zwangsemeritiert, seine Schüler vertrieben und drangsaliert. Blochs Assistent Günter Zehm, Mitglied der SED, wurde nach Jena abgeordnet und erhielt vier Jahre Haft wegen "Boykotthetze". Die Bundesrepublik kaufte ihn frei, der gelernte und weidlich enttäuschte Marxist ging nach Frankfurt, studierte bei Adorno, promovierte über "Historische Vernunft und direkte Aktion" bei Jean-Paul Sartre und ging dann, "um etwas Geld zu verdienen", zur konservativen Welt, bei der er es bis zum stellvertretenden Chefredakteur und unbestrittenen Rechtsaußen brachte.

"Mit Unbehagen" (so ändert sich die Welt) verfolgte die damals noch schamlos liberale Neue Zürcher Zeitung "die Auffrischung nationalistischer Parolen" in den Springer-Zeitungen. Zehm ließ sich da nicht lumpen. Das, was er den "gesunden Menschenverstand" nannte, war ein sicheres Gespür für das Volksempfinden. Als ehemaliger Kommunist wandte er sich gegen alles, was ihm linksverdächtig schien. So tobte er gegen "amerikanische Demonstrationsformen", also gleich gegen die ganzen Studentenproteste, gegen das Regietheater, gegen die moderne Literatur, gegen die "schmachvolle Anbetung des Fetischs Jugend". Peter Weiss' Auschwitz-Drama Die Ermittlung geißelte er im Leitartikel als Ostpropaganda und "Gehirnwäsche auf der Bühne". So wurde Zehm zur auffallendsten Stimme der verunsicherten Rechtskonservativen in der Bundesrepublik.

Seit 1975 schrieb er eine wöchentliche Kolumne als Pankraz (nach der Erzählung Pankraz, der Schmoller von Gottfried Keller), in der er erst recht austeilen konnte: Die Fernsehserie Holocaust verströmte für ihn ein "Odeur unheimlicher Gemütlichkeit", er fürchtete ein "lustvolles Vergnügen an der eigenen Gänsehaut"; die "Verantwortlichen" beim WDR wollte er entlassen haben. Der Welt wurde Zehm damit irgendwann doch zu viel, dann auch dem Rheinischen Merkur, bis er schließlich einen letzten Hafen beim Nachwuchsorgan Junge Freiheit fand.

Seine direkte Aktion, die Pankraz-Kolumne, führte er unverdrossen weiter, diese 44 Jahre sind ein eigener Rekord. Nach der Wende stattete ihn die Universität Jena mit einem Honorarlehrstuhl aus. Jünger war tot, sein Sekretär Mohler auch, so konnte der Mann von gestern in Ermangelung weiterer Leitfiguren zum Patriarchen der neuen Rechten um Götz Kubitschek werden, in dessen Antaios-Verlag die Jenaer Vorlesungen des Heimgekehrten tapfer nachgedruckt wurden. Günter Zehm erfreute seine zählbaren und weit weniger gebildeten Anhänger mit Sprüchen von der "linken Volksfront", welche die etablierten Parteien gegen ihn und Seinesgleichen bildeten, und konnte professoral verkünden, dass es hierzulande noch etwas "Spielraum" gebe, "leider nicht mehr so viel wie in China, aber immerhin noch so viel wie in der Türkei".

An Allerheiligen ist der lebenslange Schmoller Günter Zehm 86-jährig in Bonn gestorben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: