Nachrichtenmagazin:Weicher Fall

Spiegel-Redakteure

"Neue strategische Aufgaben": Führungskräfte Geyer (l.) und Fichtner.

(Foto: Spiegel)

"Matthias Geyer gibt auch die Leitung des Ressorts Gesellschaft ab": Der "Spiegel" zieht personelle Konsequenzen aus dem Betrugsfall Relotius.

Von David Denk

In der Kunst der diplomatischen Formulierung von Pressemitteilungen ist diese ziemlich weit vorne. "Die Chefredaktion des Spiegel wird Ullrich Fichtner und Matthias Geyer mit neuen strategischen Aufgaben in der gemeinsamen Redaktion betrauen", heißt es im ersten Satz. Nicht irgendwelche Aufgaben also, sondern strategische und dann auch noch neue. Erst im zweiten Satz folgt, was das eigentlich bedeutet: "Die ihnen ursprünglich zugedachten Leitungsfunktionen, Chefredakteur und Blattmacher, treten sie in Einvernehmen mit der Chefredaktion nicht an. Matthias Geyer gibt auch die Leitung des Ressorts Gesellschaft ab - auf eigenen Wunsch." Der Betrugsfall Relotius hat damit ein Vierteljahr nach der Offenlegung nun personelle Konsequenzen über die Kündigung des preisgekrönten Reporters Claas Relotius hinaus, der Protagonisten und Zitate vielfach frei erfunden hatte.

Fichtner, der Relotius für den Spiegel entdeckt und Geyer, der ihn angestellt und bis zuletzt redaktionell betreut hat, waren für ihre designierten Positionen offenbar nicht mehr tragbar, fallen aber weich. Beide bekommen "besondere Aufgaben": Fichtner soll als Reporter "Titelgeschichten konzipieren und verfassen und im Auftrag der Chefredaktion große Projekte vorantreiben", Geyer künftig als Redakteur über die Textqualität im Heft wachen.

Zwei Wochen ist es mittlerweile her, dass die mit der Aufarbeitung des Versagens der redaktionellen Sicherungssysteme betraute Untersuchungskommission, bestehend aus der Externen Brigitte Fehrle, dem neuen Nachrichtenchef Stefan Weigel und Spiegel-Veteran Clemens Hoeges, ihren vertraulichen Zwischenbericht vorgelegt hat. Nun ist immerhin offiziell, "dass Ullrich Fichtner und Matthias Geyer keine persönliche Schuld an den Betrugsfällen trifft", wie Chefredakteur Steffen Klusmann in der Pressemitteilung zitiert wird. "Gleichwohl übernehmen sie Verantwortung, um den hohen Maßstäben gerecht zu werden, die wir auch an andere anlegen, und um jegliche Zweifel an der Integrität des Spiegel auszuräumen."

Äußerst bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass für personelle Konsequenzen nicht, wie von Chefredakteur Klusmann ursprünglich angekündigt, der Abschlussbericht abgewartet wurde. Der Spiegel begründet dies auf Nachfrage damit, dass man "zeitnah Klarheit" in der Schuldfrage schaffen wollte. Das Vertrauensverhältnis zu Fichtner und Geyer mag nicht zerstört sein, nachhaltig erschüttert ist es allem Anschein nach schon. Beide mit neuen strategischen Aufgaben zu betrauen, ist für alle Seiten gesichtswahrend - und hat einen weiteren Vorteil: Der Verlag spart sich die Abfindung für zwei teure langjährige Führungskräfte.

Das intern beklagte Vakuum an der redaktionellen Spitze des Nachrichtenmagazins besteht indes weiterhin. Zwar wurden mit Armin Mahler und Clemens Höges im Januar zwei Interims-Blattmacher eingesetzt, doch wer künftig dauerhaft in Abstimmung mit dem übergeordneten, für Spiegel und Spiegel Online gleichermaßen verantwortlichen Super-Chef Klusmann das Heft gestalten soll, darüber rätseln sogar Ressortleiter. "Über die Neubesetzung der vakanten Positionen wird in den kommenden Wochen entschieden", heißt es dazu knapp vom Spiegel.

Auch mit der Kommunikation weiterer Erkenntnisse sowie Empfehlungen der Relotius-Kommission gedenkt man sich Zeit zu lassen. Auf Nachfrage heißt es, die in Aussicht gestellte öffentliche Dokumentation soll an den Abschlussbericht gekoppelt bleiben. Und die Untersuchung werde "wie angekündigt mehrere Monate in Anspruch nehmen".

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