Nachrichtenmagazin "Spiegel":Plötzlich Samstag

Lange hieß es "Montag ist Spiegel-Tag" - das wird sich mit dem neuen Chefredakteur Wolfgang Büchner ändern. Mit dem künftigen Erscheinungstag am Wochenende reagieren die Verantwortlichen auch auf neue Entwicklungen bei den Lesern.

Von Hans Leyendecker, Claudia Fromme und Claudia Tieschky

Sollte das neue Blatt Das Echo heißen oder Der Spiegel? Der junge Rudolf Augstein, der von der britischen Militärverwaltung eine Verlegerlizenz bekommen hatte, fragte seinen Vater, und dem gefiel der Name Spiegel besser. Am 4. Januar 1947 erschien die erste Ausgabe des Blattes. Auf dem Titelbild zog ein österreichischer Gesandter namens Dr. Kleinwächter den Hut. Die Zeitschrift kostete eine Reichsmark und unter der Angabe "1. Jahrgang Nr. 1" stand: "Erscheint jeden Sonnabend".

Das sollte sich ändern. Bald war Donnerstag der Erscheinungstag und dann, lange Zeit, bis Ende 1965, der Mittwoch. Am 3. Januar 1966 erschien der Titel "Ist das Wirtschaftswunder zu Ende?". War es nicht. Aber es war der Anfang einer neuen Zeit. Das Heft erschien fortan am Montag. Das Hamburger Magazin warb nun mit dem Slogan: "Montag ist Spiegel-Tag" und "Spiegel-Leser wissen mehr".

Daran hat sich die Republik gewöhnt: "Bundestagswahlen sind immer sonntags. Das steht genauso fest, wie die Tatsache, dass der Spiegel montags erscheint", schrieb beispielsweise die Hannoversche Allgemeine in einer Betrachtung der Lage im Herbst 2009.

Alles auf Anfang

Nichts bleibt. Den Spiegel drängt es zu seinen Anfängen zurück. Von Januar 2015 an soll das Blatt wieder samstags erscheinen. Diese Nachricht teilte der neue Chefredakteur Wolfgang Büchner am Montag den Ressortleitern von Spiegel und Spiegel Online in einer Konferenz mit. Für den Wechsel auf den Samstag gab es Applaus. Marktforscher wollen herausgefunden haben, dass der Samstag als Lesetag so beliebt ist, dass manche Abonnenten das Magazin fast eine Woche lang liegen lassen.

Die Stimmung in der Runde war angeblich gelöst, vor allem bei den Ressortleitern aus dem gedruckten Spiegel, was auch damit zusammenhängen könnte, dass Büchner nicht nur den neuen Erscheinungstermin bekannt gab, sondern auch weitere strategische Entscheidungen. Ein neues Layout soll es im nächsten Jahr geben, ein Ressort "Netzwelt" im Magazin, die Nutzung von Spiegel Online soll auch in Zukunft nichts kosten. Vor allem aber sollen Heft und Homepage zwar stärker zusammenarbeiten - aber weiter als getrennte Redaktionen bestehen bleiben. Ursprünglich hatte Büchner beides zusammenlegen wollen. Jedenfalls war es so verstanden worden. Eine überraschende Wende.

Büchner trat seinen Job im September als der große Veränderer an, als der Mann, der die alte und die neue Welt zusammenbringen wollte. Geblieben ist davon fürs erste die Ankündigung einer engeren Zusammenarbeit und ein schriftliches Regelwerk, das diese organisieren soll. Dort ist zum Beispiel festgehalten, dass sich die Ressortleiter von Print und Online gemeinsam der "Exzellenz" beider Auftritte, wie dort steht, verantwortlich fühlen sollen. Auf einen Begriff wie "Exzellenz" wäre man früher nicht gekommen. Aber da steht auch, dass exklusive Nachrichten vor allem dem gedruckten Heft vorbehalten sein sollen. Das ist so, wie es immer war.

Neue Ära fordert Reaktionen

Die Rückkehr des Spiegel zum Samstag ist für die Redaktion und vielleicht auch für die Leser eine Mini-Kulturrevolution. Der frühere Erscheinungstermin hat mit veränderten Lesegewohnheiten zu tun. Wie die Auflagenentwicklungen zeigen, sind einige Sonntagszeitungen die Gewinner der Branche. Am Wochenende finden Zeitungen und Zeitschriften besondere Aufmerksamkeit, Leser haben mehr Zeit.

Andererseits: Für jeden Erscheinungstag gibt es eine eigene Philosophie. Warum der Spiegel am Montag herauskam, wurde früher intern so begründet: Montags beginne die neue Arbeitswoche, und wer mitreden wolle, müsse den Spiegel lesen. Der diktiere dann die Themen der Woche. Bang würden Politiker und Wirtschaftskapitäne den Montag erwarten. Würden sie gut abschneiden? Im Raumschiff Bonn war der Spiegel unheimlich wichtig. Regierungssprecher erstatteten nach Kabinettssitzungen im Spiegel-Büro Rapport. Das Blatt war für viele andere Blätter das Leitmedium und gab den Takt vor.

Streit um das Leitmedium

Heute, in der Berliner Republik, streiten sich Kommunikationswissenschaftler, ob es überhaupt noch ein Leitmedium gibt. Botschaften aus Kabinettssitzungen werden inzwischen per SMS übermittelt, und Regierungsmitglieder geben Unwichtiges oder halbwegs Wichtiges über andere Minister selber weiter.

Der Nachrichtenmarkt mit den vielen echten und auch den recycelten News ist hart umkämpft. Viele Tageszeitungen sind magazinartiger geworden. Nur die Zeit, die donnerstags erscheint, als wäre alles beim Alten, hält sich aus allen Unruhen heraus und meldet sogar noch hervorragende Auflagenzahlen.

Für die Spiegel-Redaktion war der Erscheinungstermin am Montag immer ein bisschen problematisch. Die Texte waren spätestens Freitagnacht geschrieben und redigiert, das Heft wurde gedruckt. Es dauerte aber zwei Tage, bis die Leser all die Geschichten lesen konnten. Und Exklusivität ist ein scheues Reh. Wie lange die Redakteure in Zukunft das Blatt offen halten können, darüber soll am Mittwoch viel diskutiert worden sein. Denn es dreht sich um die Kernkompetenz: Exklusivität und aktuelle Analyse. Im Moment geht man offenbar davon aus, dass die Redaktion das Heft in der Nacht von Donnerstag auf Freitag abschließen muss. Was danach passiert, schafft es nicht mehr ins aktuelle Blatt.

Spiegel-Leser wissen mehr

Es gibt seit Jahren Testläufe für ein früheres Erscheinen. In einigen Städten wie Berlin, Lübeck, Frankfurt und München ist der Spiegel schon sonntags zu haben. Und die Verkaufszahlen sind gut. Das hat nicht nur mit der Lust auf Sonntagslektüre zu tun, sondern könnte auch an dem Umstand liegen, dass sich manche Spiegel-Leser anderen Käufern des Blattes überlegen fühlen, wenn sie das Magazin schon sonntags kaufen können. Zudem nimmt die Zahl derer zu, die das Blatt schon am Sonntag von acht Uhr an digital lesen können.

Der Markt für Magazine insgesamt ist schwierig geworden. Es gab eine Zeit, da verkaufte beispielsweise der Stern, der einst wichtigste Konkurrent des Spiegel, 1,72 Millionen Exemplare. Nach dem Fiasko der Hitler-Tagebücher ist die Auflage auf etwa 813 000 Exemplare gesunken. Auch der Spiegel hat Probleme und verkauft derzeit in der Regel etwa 900 000 Exemplare. 2003 waren es noch 1,12 Millionen. In diesen Zahlen fehlen aber die neuen digitalen Abonnements, die in der Statistik nicht aufgeführt werden. Angeblich sind es 50 000 zahlende Digitalleser.

Der Focus, der mit dem Spruch warb "Montag ist Focus-Tag", hat Auflagenzahlen, von denen die Konkurrenz nicht albträumen möchte: 531 000 Exemplare. Chefredakteur Jörg Quoos sagt, dass man alle Bewegungen auf den Märkten sehr genau beobachte und man auch in München jederzeit bereit sei, flexibel auf die Bedürfnisse der Leser zu reagieren. Dafür gebe es mehrere Szenarien. "Einen Grund, aufgeregt auf die pure Ankündigung eines Mitbewerbers zu reagieren, sehe ich nicht."

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