Süddeutsche Zeitung

Nachrichtenagenturen:Eilends gemeldet

AFP, dpa, AP und Reuters verbreiten Nachrichten in hoher Geschwindigkeit um die Welt. Der Onlinedienst Twitter hat das Tempo nochmals erhöht. Zu sehr?

Von Max Hägler und Alexander Mühlauer

Der Abend des 30. Juni war hektisch für Journalisten. Die Handys blinkten beinahe im Minutentakt; auf den Computerbildschirmen in den Redaktionen poppten gelbe und rote Fenster auf: "Eilmeldung" stand da jeweils.

Wenn dieses Wort auftaucht, dann zucken Journalisten zusammen, dann ist etwas Entscheidendes in der Welt passiert, dann müssen Zeitungen, Webseiten und Radionachrichten aktualisiert werden. Der Germanwings-Absturz, ein Sieg der Fußball-Nationalmannschaft, der Rücktritt von Varoufakis, das sind solche Ereignisse. Dabei gilt, auch wenn es vielleicht makaber erscheint: jeder will so etwas als erster "auf dem Draht" haben. Ist es exklusiv, dann wird ein "Scoop" daraus, so wie sie bei der französischen Agence France-Presse, AFP, immer noch stolz sind, dass sie 1953 als erste im Westen den Tod Stalins vermeldeten, per Fernschreiber.

Heute verteilen AFP, die Deutsche Presseagentur (dpa) sowie die US-dominierten Dienste Reuters und AP ihre Texte über gesicherte Datenbanken an Redaktionen in aller Welt. Täglich versenden die im Hintergrund der bekannten Medienmarken arbeitenden Dienstleister Hunderte Meldungen an ihre Kunden, etwa die Süddeutsche Zeitung. Besonders wichtige Infos sind markiert als sogenannte Priorität 2 oder gar 1, sie werden zu den bunt blinkenden Eilmeldungen. Auch ausgehend davon bringen Zeitungen, Radios und TV-Sender Analysen, Reportagen und eigene Recherchen ans Publikum.

Zwölfmal blinkten Eilmeldungen zu Griechenland auf. Nicht alle waren relevant

An dem Dienstag vor knapp zwei Wochen blinkte es wegen Griechenland sogar zwölfmal bei den Redakteuren und Korrespondenten in Brüssel und ganz Europa. Um Mitternacht lief das zweite Hilfsprogramm für Griechenland aus. Und zudem wurde offenbar, dass Athen eine fällige Kreditrate beim Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht bezahlt.

Entscheidende Ereignisse, auf den ersten Blick - einerseits. Doch andererseits war das erwartbar, in den Tagen zuvor ausführlich beschrieben. Und so staunte man in Brüssel über den Takt der Meldungen und ihren Inhalt. Und kam zum Schluss: Die Nachrichtenmaschinerie überhitzt.

Gerade im Epizentrum Brüssel, gerade am Fall Griechenland zeigt sich das. Associated Press, kurz AP, verkündete etwa um 20.58 Uhr folgende eilige "Neuigkeit": "EU-Kreise: Rettungsprogramm läuft um Mitternacht ab". War das neu? Eher nicht. Bereits um 20.01 Uhr waren deren Kollegen von Reuters mit einer anderen Meldung auf dem Draht: "Griechenland ist nach den Worten des maltesischen Ministerpräsidenten Joseph Muscat grundsätzlich bereit, das geplante Schuldenreferendum auszusetzen. Voraussetzung sei eine Einigung mit den Gläubigern, sagte Muscat am Dienstagabend im Parlament seines Landes." Schon wahr, auch im kleinen Malta zahlt man mit dem Euro. Aber war das wirklich eine verlässliche Nachricht?

"Gerade bei großen Krisen sehen wir es als unsere Aufgabe an, den sicheren Ruhepol zu bilden", sagt Alexander Ratz, Chefredakteur des deutschen Reuters-Dienstes. "Aber manchmal kommt es vor, dass auch wir eine Information falsch einschätzen." Im Fall Maltas sei die Quelle entscheidend gewesen: Wäre die Information aus Griechenland selbst gekommen, wäre es eine berechtige Eilmeldung gewesen.

Wenn Ereignisse als zu wichtig eingestuft werden, hat das auch damit zu tun, dass ein Konkurrent die Nachrichtenagenturen unter Druck setzt: gerade in Brüssel werden Nachrichten häufig über den Kurzmitteilungsdienst Twitter verbreitet, in hoher Frequenz. Egal ob EU-Kommission, Europäischer Rat, Abgeordnete oder Journalisten - alle in der "Brussels Bubble", diesen auch örtlich eingrenzbaren EU-Arbeitern rund um das Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Kommission, nutzen Twitter für ihre eigenen Botschaften und schauen zugleich auf die Kollegen. Die klassischen Agenturen haben oft das Nachsehen. Sie sind langsamer - und versuchen gegenzuhalten, gegebenenfalls unter Verweis auf Twitter, so wie übrigens auch am Abend des 30. Juni: Der finnische Finanzminister Alexander Stubb hatte seine Einschätzung zu einem möglichen Schuldenschnitt Athens getwittert. Die dpa machte eine Eilmeldung daraus.

"Wir versuchen, uns von sozialen Medien nicht zu sehr treiben zu lassen, auch wenn sie für uns natürlich längst wichtige Quellen geworden sind", sagt dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger. Er ist seit mehr als 20 Jahren im Geschäft, diktierte seine Geschichten einst aus Telefonzellen in die Zentrale. Die Anzahl relevanter Informationen sei in etwa gleich geblieben, sagt er. "Aber früher standen Journalisten die meisten Informationen erst einmal exklusiv zur Verfügung, heute sind viele davon sofort für die ganze Welt lesbar."

Diese Woche war Twitter auch wieder schneller als die Nachrichtenagenturen. Am Donnerstag warteten die Medienleute darauf, dass der Eingang der griechischen Sparvorschläge bestätigt wurde. Also schrieb der Sprecher von Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem auf Twitter, was Sache ist. AFP und dpa machten daraus natürlich - Eilmeldungen.

Für Politiker und ihre Teams ist dieser Nachrichtendienst das Beste, was ihnen passieren konnte, und nicht nur in Brüssel: Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung, lädt per Twitter zu Pressekonferenzen, nicht mehr per Email-Pressemitteilung. Ungefiltert und allerschnellstens geht das. Aber ein Korrektiv gibt es hier keines. Twitter ist nun einmal nicht mehr als ein Medium, das Botschaften transportiert, aber auch Sinnfreies, das kein Mensch braucht.

Darin liegt auch ein Teil der Antwort auf die Frage, ob Agenturen noch nötig sind, trotz der weltweit zugänglichen Nachrichtenverbreitungsmaschine Twitter - und trotz Facebook, wo Stars nicht nur ihre Befindlichkeit ausdrücken, sondern auch Nachrichten für den Unterhaltungsbetrieb produzieren: Social Media liefert Brocken, ohne Einordnung, dafür sehr schnell. Wer sich etwa über den Germanwings-Absturz informieren wollte, sei bei Twitter an einer schlechten Adresse gewesen, sagt Homburger. Es habe zu viele Ereignisorte gegeben, Frankreich, die Staatsanwaltschaft, die Lufthansa-Zentrale, zu viele Informationsstränge. Erst durch Journalisten, die Infos auch vor Ort bewerteten, sortierten und erklärten, sei ein Überblick möglich geworden. Twitter wiederum wäre um einiges ärmer an News, wenn die Tweets fehlten, die auf Agenturinfos beruhen. Nach dem Atomunfall in Fukushima sandte etwa der dpa-Partner Kyodo eine Eilmeldung heraus, die wenige Minuten später zu einem Tweet wurde, der um die Welt ging. Für die Agenturen wird inzwischen auch das Heraussieben von relevanten News aus dem digitalen Strom immer wichtiger; 250 Twitter-Listen zu allen möglichen Themen pflegt die dpa. "Wir werden immer stärker zu Verifizierern und Erklärern", sagt Homburger. Eine paradoxe Folge daraus ist - trotz des hohen Tempos, das Internet bringt - die Reduktion: 2000 Eilmeldungen versandte die dpa noch im Jahr 2009; fünf Jahre später waren es nur noch halb so viele. Ob das im Griechenland-Jahr durchgehalten werden kann, ist noch unklar. Man wolle kühlen Kopf bewahren, das wünschten sich auch viele Kunden, sagt Homburger. Elementar bleibe dabei das Verifizieren von Infos. Wie schnell es geht, einem Fake aufzusitzen, war im vorigen November zu erleben. Damals meldete die dpa den Wechsel von Sebastian Vettel zu Ferrari, zu einem Zeitpunkt, als das noch nicht feststand. Quelle: ein gefakter Twitter-Account.

"Im Zweifel ist das Telefon unsere Lebensversicherung: wie oft rufen wir einen vertrauenswürdigen, persönlichen Kontakt aus unseren Telefonbüchern an und fragen: stimmt das", erklärt Reuters-Mann Ratz seine Arbeit. Dieses journalistische Tun ist - bei allen Fehlern und Fehleinschätzungen, die auch dort passieren - ein Job, den keine Maschine kann, heißt es bei den Agenturen. "Deshalb bedroht uns Twitter nicht", sagt Ratz.

Allerdings bedeutet Checken und Filtern immer Zeitverlust, was nicht alle Kunden hinnehmen wollen: Als Marcel Reich-Ranicki gestorben war, hatte es FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher als erster getwittert. Die dpa prüfte das auf Richtigkeit. 20 Minuten lang. Dann war die Meldung abgesichert und ging raus. "Aber wir mussten uns für diese 20 Minuten bei einigen Kunden rechtfertigen", sagt Homburger. Seine Kunden kommen aus der Branche und müssten eigentlich wissen, dass Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen muss. Aber Twitter verändert inzwischen nicht nur das Tempo, sondern auch das Denken.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2015
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