Süddeutsche Zeitung

Nachlese zum "Tatort" aus Wien:Die Gier is a Hund

Eine junge Fabrikarbeiterin stirbt qualvoll - doch die Wiener Kommissare ermitteln nur widerwillig. Am Ende sind nicht sie es, die für Gerechtigkeit sorgen. Die Tatort-Nachlese mit ausgewählten Zuschauerkommentaren.

Von Johanna Bruckner

Darum geht's:

Wie der Name des Wiener Tatort schon sagt: um "Gier". Und zwar solche, die den Tod bringt. Die schwangere Fabrikarbeiterin Roswita wird mit Säure verätzt und stirbt im Krankenhaus. Die ersten Untersuchungen ergeben, dass ihr Schutzanzug von minderer Qualität war. Eigentlich sind die Kommissare Moritz Eisner und Bibi Fellner in Sachen Arbeitsschutz nicht zuständig. Doch weil die Tote das Mündel ihres Chefs "Ernstl" war, machen sie sich an die Ermittlungen. Es geht um dubiose Wirtschaftsdeals und private Intrigen. In den Fokus geraten Sabrina Wendler, Geschäftsführerin des Schutzanzug-Herstellers Patronatex, und ihr Geliebter Viktor Perschawa, seines Zeichens Geschäftsführer der Wendler-Werke, zu denen wiederum die Firma Patronatex gehört. Unklar ist außerdem die Rolle von Sabrinas Gatten Peter Wendler: Der Erbe der Wendler-Werke sitzt nach einem angeblichen Mordversuch an seiner Ehefrau im psychiatrischen Strafvollzug. Man kann schon verstehen, warum die Kommissare so gar keine Lust haben auf diesen undurchsichtigen Fall - und dann geschieht auch noch ein astreiner Mord.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichender Dialog:

Die Kommissare besuchen Peter Wendler in der "Anstalt", wie es in Wien heißt. Eisner trifft den Häftling im Gefängnishof.

Moritz Eisner: Guten Tag. Mein Name ist Moritz Eisner, ich komm' vom Bundeskriminalamt.

Peter Wendler (guckt mit geschlossenen Augen in den Himmel): Nicht wirklich toll die Aussicht hier, gell?

Moritz Eisner (blickt sich um): Na ja, immerhin, man sieht den Himmel.

Peter Wendler: Als ob von dort was zu erwarten wäre.

Die besten Zuschauerkommentare:

Die eindrücklichste Szene:

Es muss nicht immer ein Mord sein, um beim Zuschauer Beklommenheit zu erzeugen - hier tut es ein Arbeitsunfall: Etwas tropft auf die Schulter der Fabrikarbeiterin Roswita, sie beginnt zu schreien. "Holt's die Rettung! Alle raus!", ruft ihr Kollege, löst Alarm aus und zieht Roswita in Richtung Dusche. Panisch zerren beide am Schutzanzug der jungen Frau, Unterhemd, BH, bloß runter damit. Dann rennt auch der Kollege in Richtung Sicherheit - und Roswita steht allein in der großen Fabrikhalle, halbnackt, das Wasser prasselt auf sie hinunter. Man ahnt: Für die junge Frau kommt jede Rettung zu spät.

Top:

Dieser Tatort greift nicht nur ein brisantes Thema auf, er spiegelt auch den zynischen Umgang damit wider. Hunderte Tote in einer Textilfabrik in Asien? Kurze Empörung, und zurück zum Tagesgeschäft. Eine tote Fabrikarbeiterin in Deutschland oder Österreich? Tagelange Berichterstattung, Versprechen aus Wirtschaft und Politik, Empörung allerorten: Wie kann so was passieren, hierzulande? Die Antwort gibt Bibi Fellner: "Die Gier is a Hund."

Flop:

In Ludwigshafen sprach kürzlich ein arabisches Zimmermädchen mit amerikanischem Akzent. In Wien gibt es einen indischen Hausangestellten (Thomas Nash als Gupta Kumar) mit Ami-Zungenschlag. Andererseits treten in der Stuttgarter Krimi-Ausgabe regelmäßig Schwaben auf, die bei "Spätzlespress" vermutlich an Kamasutra denken - furchtbare Akzente gehören beim Tatort dazu.

Bester Auftritt:

Man würde Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner (Adele Neuhauser) selbst noch beim Scotland-Yard-Spielen im Altersheim gerne zusehen. So weit ist es aber noch nicht: In "Gier" erinnern die beiden weniger an ein altes Ehepaar als an Al und Peggy Bundy aus der 90er-Jahre-Trash-Comedyserie Eine schrecklich nette Familie. Der Szenenbeweis:

Ein Pizzabote liefert die Bestellung der Ermittler ins Kommissariat.

Bibi Fellner: Die Diavolo für mich.

Pizzabote: Wer zahlt?

Bibi Fellner: Die Funghi.

Die Erkenntnis:

Wer gegen den eigenen Ehemann intrigiert, sollte sich nicht darauf verlassen, dass Gefängnismauern als Schutz vor Rache reichen. Und schon gar nicht, wenn man sich einen psychotisch lächelnden Gegner ausgesucht hat.

Die Schlusspointe:

Roswita wird zu Grabe getragen, ohne dass die Schuldige an ihrem Tod - die Unternehmerin Sabrina Wendler - belangt werden konnte. Denken zumindest Eisner und Fellner. Doch da kommt der eben aus der Haft entlassene Peter Wendler auf die Ermittler zu und sagt: "Ich wär' dann so weit. Ach ja, meine Frau, die ist zu Hause. Aber keine Sorge, die läuft nicht weg."

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