Süddeutsche Zeitung

Nachlese zum Berliner "Tatort":Bitte gemeinsam durchbrennen!

Als Bonnie und Clyde wären die Berliner Kommissare perfekt. Aber ein Team sind sie nicht. Die Nachlese - mit den besten Zuschauerkommentaren.

Von Carolin Gasteiger

Darum geht es:

In "Ätzend" liefern zwei Leichen zwei Handlungsstränge. Auf einer Baustelle finden Arbeiter ein Säurefass mit menschlichen Überresten - die Leichenteile gehören einem Zahntechniker, der ziemlich lebendig in Kreuzberg ein Labor betreibt. Warum wurde der Mann weder als vermisst gemeldet noch für tot erklärt? Auf dem Gelände, wo früher Lauben standen und nun Bagger den Boden für Luxuswohnungen ausheben, finden die Berliner Ermittler einen zweiten Toten. Die stark verweste Leiche des Mannes weist Spuren eines tödlichen Kopfschusses auf - und zwar durch dasselbe Projektil, mit dem der Partner von Kommissar Robert Karow getötet wurde. Und so wechselt der Plot zwischen dem Säure-Mord und Karows dunkler Vergangenheit hin und her und bringt seine Kollegin Nina Rubin in einen Gewissenskonflikt.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz.

Bester Dialog:

Die Berliner Ermittler Nina Rubin und Robert Karow inspizieren das Baugelände, wo früher Lauben standen. Bald geht es um mehr als den aktuellen Fall.

Karow: Einfach plattgewalzt, das schöne Kleinbürgerglück - so viele Erinnerungen.

Rubin: Sie haben mal eine menschilche Regung, Herr Kollege. Wenn's um Vergangenheit geht, wa, dann fahrt ihr Ossis alle denselben Film. Aber die Welt dreht sich weiter.

Karow: Stimmt, von Ost nach West. Sie scheinen die Vergangenheit ja auch nicht gerade ruhen zu lassen.

Rubin: Ich mag Ihre Anspielungen nicht, was meinen Sie?

Karow: Meine Dienstfähigkeitsprüfung.

Rubin: SIe haben vorsätzlich das Leben Unschuldiger gefährdet. Entschuldigung, wenn ich da kein Auge zudrücken kann.

Karow: Die Ermittlungen wurden eingestellt.

Rubin: Na und? Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie Erdem den Tipp gegeben haben. Und der Junge, der tote Wachmann am Flughafen, der geht auf Ihr Konto. Können Sie nachts eigentlich noch schlafen?

Karow: Kann ich nicht.

Rubin: Gut.

Karow: Gregor Maihack war mein Partner. Ich will wissen, wer ihn umgebracht hat. Das hat nicht das Geringste mit Ihnen zu tun.

Rubin: Wenn ich meinem Partner nicht mehr vertrauen kann, dann hat das sehr wohl was mit mir zu tun.

Karow: Damit werden Sie wohl leben müssen. Lassen Sie uns einfach unsere Arbeit machen.

Die besten Zuschauerkommentare:

Beste Szenen:

Karow versucht, abends in einer Bar abzuschalten. Zeitgleich sucht der junge Arash, der von der Polizei gesucht wird, mit seiner Freundin Ira Unterschlupf im Boxclub. Während das Pärchen durch ein Fenster in das verlassene Gebäude einsteigt, begegnet Karow ein junger Mann in der Toilette der Bar - ein Blick sagt alles. Arrash und Ira küssen sich zärtlich auf einer Matratze; Karow und sein Aufriss betreten die Wohnung des Kommissars. Weitere Bilder sind nicht nötig. Es genügt, dass der Kommissar im Morgengrauen mit nacktem Oberkörper auf dem Balkon steht. Muskelbepackt und mit Kippe im Mund. Abwechselnd zeigen die Szenen zwei Schicksale in einer Nacht, untermalt von Desires "Under Your Spell".

Top:

Nina Rubins freche Berliner Schnauze und Robert Karows unkollegiales und suspektes Verhalten ("ätzend" ist nicht nur die Säure im Fass) - mit den neuen Kommissaren in der Hauptstadt prallen zwei spannende Charaktere mit Ecken und Kanten aufeinander. "Ich arbeite nicht gern mit Ihnen zusammen, aber Ihre Alleingänge mag ich noch weniger", sagt Rubin ihrem Kollegen an einer Stelle. Trotzdem würde man sich wünschen, dass die beiden bald als Bonnie und Clyde durchbrennen. Das Potenzial dazu hätten sie.

Flop:

Ihr Auftakt war schon verwirrend, in ihrem zweiten Tatort geht das das Tohuwabohu der neuen Berliner Ermittler weiter. Der Mordfall ist das eine und hätte mit dem Thema Asylsuchende in Deutschland genug filmfüllende Brisanz. Dazu kommen die Hinweise auf den Mord an Gregor Maihack, Karows früheren Partner. Und obendrein versucht Nina Rubin, ihre Ehe zu kitten. Die Macher des neuen Berliner Teams haben sich in "Ätzend" viel vorgenommen und zu viel Stoff hineingepackt.

Bester Auftritt:

Mark Waschke spielt Kommissar Karow überzeugend als Kollegenschwein, das seine eigene Linie fährt, rücksichtslos und geheimnisvoll. In einer der letzten Szenen von "Ätzend" muss er dann doch merken, dass es ohne seine Kollegin Rubin nicht geht. "Es gibt Leute im LKA, die mich fertigmachen wollen. Und deshalb brauche ich Sie, verdammte Scheiße. Ich brauche Ihre Hilfe", fleht er sie an. Und ist umso enttäuschter, als sie ihn am Ende festnehmen lässt.

Die Erkenntnis:

Kommissarin Rubin trifft es auf den Punkt: "Ist doch absurd - der eine Mensch ist legal und der andere nicht." Später gesteht Saed Merizadi, er habe nach dem Verschwinden seines Bruders (die Leiche im Säurefass) angefangen, sich als ebendieser auszugeben. Der Grund: "Er war legal. Ich nicht."

Die Schlusspointe:

Man dachte schon, alles wird gut, auch durch Rubins persönlichen Einsatz für Saed Merizadi. Aber mal wieder holt die Flüchtlingskrise den Tatort ein - die Familie wird nach Iran abgeschoben, wie der Text im Abspann lautet. Ätzende deutsche Bürokratie.

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