Nachlese:Schweiger-"Tatort": Das wäre Bruce Willis nie passiert

Nick Tschiller mutiert zur Menschmaschine - die am Ende einfach nur mal gedrückt werden will. Die "Tatort"-Nachlese mit ausgewählten Zuschauerkommentaren.

Kolumne von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um echte Kerle. Polizisten, die auf das Gesetz pfeifen, nachdem die eigene Frau erschossen wurde. Die den Mörder kurzerhand kidnappen, ein bisschen mit ihm durch Hamburg fahren, um mal in Ruhe von Mann zu Mann zu reden (Firat Astan: "Den Job beim LKA kannst du stecken nach alldem. Wovon willst du leben, hm?" - Nick Tschiller: "Ich verkauf' Glückskekse an deinem Grab."). Die den Bösewicht am Ende aber doch handschellenfertig der Polizei übergeben. Weil man damit keine 90 Minuten voll kriegt, haben sich die Macher von "Fegefeuer" noch allerlei Rummsbumms drumherum einfallen lassen.

Da wird gleich zu Beginn des zweiten Teils des Schweiger-Doppel-Tatorts die arme Judith Rakers überfallen. Live. Im Tagesschau-Studio. Die Szene sollte offenbar ursprünglich direkt aus den Nachrichten in den Sonntagabendkrimi überleiten, wurde unter dem Eindruck der Geschehnisse von Paris dann aber in den Tatort integriert. Ob das Ganze in der geplanten Version glaubhafter gewesen wäre, darf bezweifelt werden. Die russischen Geiselgangster - mit Sturmmaske und schlechtem Akzent - fordern jedenfalls die Herausgabe von Firat Astan, also jenes Mannes, der nicht nur sämtliche kriminellen Geschäfte in der Hansestadt kontrolliert, sondern eben auch Tschillers Exfrau auf dem Gewissen hat. Weswegen der Kommissar nun mit ihm auf Männertour unterwegs ist. Dieser Krimi hat mitnichten nur Action zu bieten, er hat auch ein echtes Dilemma. Deep shit, das alles.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritikerin Katharina Riehl:

Bezeichnender Dialog:

Nick Tschiller hat soeben eine Polizeisperre durchbrochen, Firat Astan im Kofferraum. Ein paarmal scharf abgebogen, eine Böschung genommen - und schon sind die Streifenwagen abgehängt. Ja, Tschiller bleibt sogar noch Zeit, kurz anzuhalten und einen verächtlichen Blick in Richtung der Langweilerkollegen zu werfen. Und was macht er nach erfolgreicher Verfolgungsjagd? Klar, erst mal Kaffeepause an der Tankstelle.

Tschiller: Warum ziehen die deinetwegen so 'ne Riesennummer ab? Tschetschenen, he? Das sind keine Tschetschenen, das sind Russen. Das sind dieselben Wichser, die mir an die Eier sind wegen dir. Das sind nicht deine Freunde.

Astan: Du wolltest mich doch erschießen. Mach'!

Tschiller: Was wollen die von dir? Und was hat Revenbrook damit zu tun?

Astan: Du musst dich mal entscheiden, ob du Bulle oder Rächer bist, Nick.Vergiss die Geiseln! Das sind irgendwelche Fremde. Das MEK stürmt und dann ist das vorbei. Du und ich - das ist nie vorbei. Nicht, bevor einer von uns beiden tot ist, verstehst du?

Tschiller: Okay, Kaffeepause ist zu Ende. Ich liefer' dich jetzt aus. Oder du nennst mir 'nen Grund, es nicht zu tun?

Die besten Zuschauerkommentare:

Szene, bei der Bruce Willis weinen würde:

Es kommt zum Showdown in einem Hamburger Regionalzug. Astan ist angeschlagen, Tschiller noch mehr. Tschiller sinkt darnieder auf einem dieser hässlichen gemusterten Polyestersitze, und bleibt sitzen. Sekunden, in denen man bange grübelt: Wird er seinen Erzfeind wirklich entkommen lassen? Und wie soll der Hamburger Verkehrsverbund jemals das Blut aus den Polstern bekommen? Doch dann - Tschiller hat eine Vision, seine Tochter Lenny erscheint vor seinem inneren Auge und spricht: "Papa, tu's für mich." Den Rest erledigt eine Adrenalin-Spritze, die Tschiller praktischerweise noch in der Tasche hat.

Im wahren Leben wäre Tschiller ein Mensch ohne Freunde

Top:

Wäre Nick Tschiller ein echter Mensch, dann wäre er ein MoF. Also ein Mensch ohne Freunde. Weil aber Realitätsnähe im Hamburger Tatort nicht mehr als ein störendes Konstrukt ist, haben die Drehbuchschreiber Nick Tschiller einen ganz wunderbaren Freund erdacht, seinen Partner Yalcin Gümer. Wir erinnern uns: Den schlug Tschillerin der vorangegangenen Folge nieder, weil er ja alleine alles besser kann. Als Tschiller jetzt doch Hilfe braucht, gibt es keine Vorwürfe, nur eine Frage: "Wo bist du, Schatz?" Und als sich die beiden wiedersehen, irgendwo auf einem Schnellstraßenparkplatz in Hamburg, da macht Yalcin das Einzige, was bei einer Menschmaschine wie Tschiller noch hilft: Er nimmt ihn in den Arm.

Flop:

Die Telefonie ist tot? Nicht im Hamburger Tatort. Hier telefonieren nicht nur russische Gangster wie wild in der Gegend rum. Der Hamburger Innensenator hinterlässt sogar belastende Nachrichten auf der Mailbox seiner zwielichtigen Geschäftspartner. Als hätte es die Affäre Wulff nie gegeben.

Bester Auftritt:

Fahri Yardim als Yalcin Gümer schafft das Unmögliche: Er verleiht der Figur des Nick Tschiller so etwas wie Ironie. "Kommunikation war noch nie so sein Ding", erklärt Yalcin, "das ist eher meins. Ich mein', der Bursche kommt aus der hessischen Provinz. Aus Heuchelheim. Da kommen die ganz harten Macker her. Die pissen im harten Strahl. Und wenn man sie mal in 'n Arm nehmen will, weil sie's dringend nötig haben, dann hauen sie einem ins Gesicht."

Schweiger ist im Übrigen auch in Heuchelheim aufgewachsen.

Die Erkenntnis:

So lange es Nick Tschiller gibt, ist Hamburg sicher. Der Mann ist auf dem besten Wege, der Chuck Norris von der Elbe zu werden: Er muss Gegner noch nicht mal mehr besiegen, sie geben freiwillig auf. Die Russen? Auf wundersame Weise verschwunden. Der korrupte Innensenator? Aus dem Fenster gesprungen. Firat Astan? Bitte weiterlesen ...

Die Schlusspointe:

"Ich wollte deine Frau nicht töten, wirklich nicht", sagt Astan am Ende zu Tschiller, "ich hab' auf deine Tochter gezielt." Und Tschiller? Lässt sich nicht reizen: "Du hast nur Angst vor'm türkischen Knast."

Das wäre Bruce Willis nie passiert.

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