Nach einer Europa-Rede:Donald Tusk soll wegbleiben

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Nicht nur, wenn es um den amtierenden Vorsitzenden des Europäischen Rates geht: Das polnische Fernsehen macht eilfertig Stimmung gegen die Opposition.

Von Florian Hassel

Die neue Chefredakteurin begann den neuen Job auf altem Posten. Am 3. Mai moderierte Danuta Holecka, seit Anfang Mai Chefredakteurin des polnischen Fernsehsenders TVP 1, die Abendnachrichten Wiadomości, wie meist in den vergangenen drei Jahren. Am 3. Mai fanden in Polen staatliche Feiern zum "Tag der Verfassung" statt. Und in der Warschauer Universität hielt Donald Tusk, Ex-Ministerpräsident Polens, heute Vorsitzender des Europäischen Rates und ein möglicher Führer der Opposition gegen Polens nationalpopulistische Regierung, eine Rede zum Thema Verfassung und Europa.

TVP-Moderatorin Holecka und Reporter Krzysztof Nowina Konopka nannten den Beitrag über Tusk: "Die Polen wollen Tusks Rückkehr nicht." Tusk sei ein Schützling von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihn zum Chef des Europäischen Rates gemacht habe, weil Tusk leicht zu steuern sei. Tusks "echter Souverän, seine echten Wurzeln, sowohl ideologisch wie politisch, sind in Deutschland", fuhr der Beitrag fort. 2012 habe Tusk von Merkel den Walter-Rathenau-Preis bekommen, benannt nach dem Außenminister der Weimarer Republik.

Rathenau habe Polen als Übergangserscheinung angesehen und sei 1922 Architekt des deutsch-sowjetischen Vertrages von Rapallo gewesen, der wiederum zu dem Pakt geführt habe, bei dem Hitler und Stalin 1939 Polen unter sich aufteilten. "Historische Anklänge an diese Epoche sind regelmäßig in Interviews Tusks zu hören", hieß es in Wiadomości. Garniert wurde dieser angebliche Zusammenhang mit einem Bild erst Stalins, dann Hitlers.

Derlei diffamierende Beiträge über Oppositionspolitiker sind nicht ungewöhnlich bei TVP, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen Polens. Einst angesehen, hat der Ruf von TVP massiv gelitten, seit die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Ende 2015 die Regierung übernahm - und die Kontrolle über das Fernsehen. Der bis dahin unabhängige Fernseh-und Rundfunkrat (KRRiT) wurde verfassungswidrig vorzeitig neu besetzt, zudem ein gleichfalls verfassungswidrig gebildeter Rat staatlicher Medien geschaffen. TVP-Intendant wurde der PiS-Parteimann Jacek Kurski, enger Gefolgsmann von Polens faktischem Regierungschef Jarosław Kaczyński.

Danzigs Bürgermeister war Gegenstand Hunderter oft diffamierender Berichte

Bis heute verloren Polens Bürgerrechtsbeauftragtem zufolge über 200 Journalisten ihren Job. Neue Stars wurden Parteigänger wie Danuta Holecka. TVP, vor allem auf dem Land für viele Polen immer noch einzige Informationsquelle, wird an der kurzen Leine von Kurski und aus der PiS-Parteizentrale gelenkt, sagte der langjährige TVP-Journalist Piotr Owczarski kürzlich im Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments. Regierungspolitiker werden gelobt, Oppositionspolitiker nach allen Regeln der Propaganda angegriffen. Danzigs Bürgermeister Paweł Adamowicz, ein bekennender Gegner der Regierung, war auf TVP Gegenstand Hunderter oft diffamierender Berichte. Als er Anfang 2019 ermordet wurde, sah Polens Opposition eine Mitschuld von TVP - und forderte erfolglos den Rauswurf von Intendant Kurski.

Nach dem neuerlichen Skandal um den Tusk-Rufmord fordert der frühere KRRiT-Pressefreiheitsbeauftragte Andrzej Krajewski die EU-Kommission nun auf, gegen Polen vorzugehen. Tatsächlich stellte deren Vizepräsident Frans Timmermans schon Ende 2015 fest, die Kontrolle der polnischen Regierung über das öffentlich-rechtliche Fernsehen verletze gleich drei EU-Verträge und -Direktiven. Formell aber hat die EU bis heute nichts gegen ihr Mitglied unternommen, etwa per Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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