Nach dem Rücktritt von Rainer Speer:Wer hat Material wie beschafft?

Ein Anonymus sorgte mit E-Mails für den Rücktritt von Brandenburgs Innenminster Speer. Das journalistische Procedere wirft Fragen auf.

Hans Leyendecker

Die Briefe an das Jugendamt und die Staatsanwaltschaft zu Potsdam steckten in gebräuchlichen Versandtaschen, und die gewählte Schriftart "Arial" war auch nichts Besonderes: Sie ist auf jedem Windows-System verfügbar. Nichts sollte auf die Identität des Absenders schließen lassen - ein Profi, ein Anonymus.

Das war 2010 - Jahresrueckblick Brandenburg

So war es am 9. November 2009. Rainer Speer (Foto) bekam von seinem Amtsvorgänger Jörg Schönbohm einen Bilanzberichtsband über die Jahre 2004 bis 2009. Im September 2010 musste Speer zurücktreten. E-Mails von seinem gestohlenen Laptop belasteten ihn. Es ging dabei um eine nicht angezeigte Vaterschaft und Unterhaltszahlungen. Nun stellt sich heraus, dass Schönbohm beim Sturz des Sozialdemokraten eine Rolle spielte. Schönbohm sagte: "Ich war ein bisschen naiv und ein bisschen doof."

(Foto: dapd)

Auf einer beiliegenden CD und in Ausdrucken war in der am 21. September 2010 verschickten Post ein Teil des E-Mail-Verkehrs zwischen dem damaligen Brandenburger Innenminister Rainer Speer (SPD) und seiner früheren Geliebten dokumentiert.

Die Frau hatte jahrelang vom Staat einen Unterhaltsvorschuss für ihre Tochter bekommen, obwohl Speer der Vater war. Die delikaten E-Mails stammten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit von einem Laptop, der im Oktober 2009 aus Speers Dienstauto gestohlen worden war. Macht, Liebe, intime Korrespondenz und die Frage, wer für ein Kind gezahlt hat - dieser Stoff beschäftigte fortan die Blätter.

Ganz heftig war Bild dabei. Zwei Tage nach dem vertraulich-öffentlichen Tipp an die Behörden trat der 51-jährige Speer als Minister zurück, später gab er sein Abgeordnetenmandat auf. War der erzwungene Rücktritt des Politikers ein Scoop? Oder war das doch alles nur Gossenjournalismus?

Vor den Veröffentlichungen waren Kriminelle mit den Daten hausieren gegangen. Zwielichtige Typen hatten in verräucherten Kneipen schwadroniert, der Speer werde "das politisch nicht überleben".

Verstrickt in die Affäre ist auch der frühere Brandenburger CDU-Innenminister Jörg Schönbohm. Der gelernte Soldat hatte im Gespräch mit einem Mittelsmann einen Bild-Reporter als Abnehmer für die E-Mails ins Spiel gebracht, obwohl er davon ausging, dass die Daten von dem gestohlenen Laptop des politischen Konkurrenten stammten.

Kann der Anonymus nicht richtig zählen?

Der Fall wirft eine Reihe von Fragen über den Konflikt zwischen dem Schutz des Privaten sowie der Geheimsphäre und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf. Dürfen Medien mit geklauten Unterlagen hantieren?

Sie dürfen, mit Einschränkungen, hat das Bundesverfassungsgericht einmal entschieden. Die bloße Kenntnis über einen Gesetzesverstoß habe nicht generell ein absolutes Verwertungsverbot zur Folge. Dafür seien die Kontrollaufgaben der Medien zu wichtig. Sie dürfen aber nicht, wenn Presseleute an der rechtswidrigen Beschaffung des Materials beteiligt waren. Ansonsten müssten Persönlichkeitsrechte beachtet werden.

An vielen juristischen Fronten lodern in diesen Tagen im Fall Speer die Feuer wieder auf. Zivilklagen, Strafanträge, Schmerzensgeldforderungen und Gegenklagen stehen an. Ein mit viel Getöse gegen Speer eingeleitetes Strafverfahren wegen des Verdachts der uneidlichen falschen Aussage ist vergleichsweise still wieder eingestellt worden.

Speer hat nach Durchführung eines Tests eingeräumt, der Vater einer inzwischen 13 Jahre alten Tochter zu sein. Den von der Mutter des gemeinsamen Kindes zeitweise bezogenen staatlichen Unterhaltsvorschuss in Höhe von rund 7000 Euro hat er zurückgezahlt.

Wer waren die Diebe, wer waren die Hehler, und, vor allem, wer war der Anonymus, der die E-Mails an das Jugendamt und die Staatsanwaltschaft lancierte? Vergeblich haben sich Sachverständige für Dokumentenuntersuchung des Landeskriminalamts (LKA) Brandenburg bisher bemüht, ihm auf die Spur zu kommen.

"Beiliegend finden Sie rund 240 E-Mails in elektronischer und schriftlicher Form, die den Verdacht des Sozialbetrugs und der fortgesetzten Verletzung der Unterhaltspflicht nähren", hatte der Unbekannte geschrieben.

Von dem vermuteten Sozialbetrug ist nichts geblieben, aber wieso 240 E-Mails? "Übersandt wurden 121 E-Mails", notierte ein Kriminalhauptkommissar des LKA in einem Vermerk. Kann der Anonymus, der mit staatlicher Hilfe Speer pfählen wollte, nicht richtig zählen?

Ratschlag des Ex-Innenministers?

Bekanntlich sind viele Journalisten keine Buchhaltertypen. In einem Presseverfahren vor dem Landgericht Berlin hatte kurz zuvor ein Mitarbeiter der Bild-Zeitung an Eides statt zu Protokoll gegeben, er verfüge in der Sache Speer über rund 240 E-Mails. Ist das die Zahl, die zum Unbekannten führt?

Viele Redakteure anderer Blätter saßen damals im Gerichtssaal. Der Springer-Verlag erklärt auf Anfrage, Bild-Redakteure würden "im Zusammenhang mit Recherchen keine anonymen Strafanzeigen" erstatten.

Eine merkwürdige Rolle spielt in dem Ganzen der ehemalige Verfassungsminister Schönbohm. Noch in seiner Amtszeit, die bis November 2009 dauerte, hatte er von dem Diebstahl des Laptops erfahren. Sein damaliger Staatssekretär war sogar in die Angelegenheit eingeschaltet worden.

Am 14. Oktober 2010 erschien Schönbohm, 73, zu einer Zeugenvernehmung beim LKA. Ein Geschäftsmann, der mit ihm im Tennisclub sei, habe ihn auf den Laptop und die Daten angesprochen, erklärte Schönbohm zwei Kriminalbeamten. Wann das Gespräch genau war, sagte er nicht.

Aber es fand mit Sicherheit zu einem Zeitpunkt statt, als die Öffentlichkeit noch keine Kenntnis von den E-Mails hatte und die Polizei den Dieb suchte. Ein Bekannter dieses Geschäftsmanns habe über den gestohlenen Laptop oder über die Daten verfügt und nicht gewusst, wie er mit damit umgehen solle, sagte Schönbohm.

Welchen Ratschlag gibt da ein Ex-Innenminister? Hilft er, dass das Diebesgut dem Bestohlenen wieder ausgehändigt wird? Informiert er die Polizei?

Schönbohm hatte, wie sich bei seiner Vernehmung zeigte, damals eine ganz andere Idee. Wenn aus den Daten Straftaten ersichtlich seien, solle sich der Bekannte des Bekannten an die Polizei oder an die Staatsanwaltschaft wenden, habe er geraten. Sein Bekannter sei skeptisch gewesen. Ein Kontakt zur Presse wäre besser.

Geheimnisvoller Freund

Für eine solche Berichterstattung kämen nur Spiegel und Bild in Frage, meinte Schönbohm und nannte die Namen von zwei Journalisten der beiden Medienhäuser, die regelmäßig über Brandenburger Verhältnisse berichten. Aus Sicht von Speers Anwalt Johannes Eisenberg hat sich Schönbohm damit der Strafvereitlung schuldig gemacht.

Dies hat der Anwalt jüngst Schönbohm und der Staatsanwaltschaft Potsdam schriftlich mitgeteilt. Ob ein Strafverfahren daraus erwächst, wird sich zeigen.

Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung sagt Schönbohm, der in Reden gerne die deutsche Leitkultur anmahnt: Er fühle sich in der Angelegenheit "unbehaglich". - "Ich war ein bisschen naiv und ein bisschen doof". Ein Soldat, kein Jurist. Die "Person Speer" habe bei seinen "Überlegungen schon eine Rolle gespielt".

Schönbohms Kameraden aus dem Tennisclub haben die Beamten auch vernommen. Der Mittelsmann gab zu Protokoll, etwa im Juni 2010 habe in seinem Beisein ein erstes Gespräch seines Bekannten mit jenem Bild-Mann stattgefunden, den Schönbohm empfohlen habe. Er selbst habe lediglich aus "Freundschaft Wege gemacht".

Sein geheimnisvoller Freund wiederum, der angeblich den Laptop und/oder die Daten besaß, ist jedenfalls kein Staatsfreund. Auf die Frage, ob er Angaben machen könne, antwortete er in einer Vernehmung im Oktober vorigen Jahres: "Ich scheiße niemanden an".

Als die Beamten ihn an seine Zeugenpflichten erinnerten und auch Beugehaft ins Gespräch brachten, sagte der Mann: "Ich habe keine Pflichten als Staatsbürger. Ich scheiß auf die Verfassung". Und: "Ich habe kein Vertrauen in diesen Staat". Als ihn vor wenigen Wochen die Beamten noch einmal vernehmen wollten, berief er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht nach Paragraf 55 der Strafprozessordnung.

Da Speer von einem Journalisten gehört hat, dass damals 20.000 Euro für die Ware gefordert worden sein sollen, hat Eisenberg den Staatsfeind Ende Januar schriftlich aufgefordert, ihm mitzuteilen, "welche Vereinbarungen" dieser "mit wem über den Verkauf welchen Datenmaterials geschlossen" und welche Daten er "an die Bild-Zeitung ausgehändigt" habe.

Genauer: "Welche Geldbeträge für das Weiterreichen der Daten sind an Sie oder Dritte geflossen?" Gleichzeitig kündigte er eine Zivilklage Speers an.

Ein Sprecher des Springer-Verlages bittet um "Verständnis, dass wir weder zu unseren Recherchen noch zu unseren Quellen Auskunft geben". Ein Anwalt des Verlages hatte Mitte Januar in einem Schriftsatz dem Landgericht Berlin mitgeteilt, der Verlag bestreite "weiterhin mit Nichtwissen", dass die ihm zugespielten E-Mails "überhaupt von jenem Laptop" stammen.

Die Behauptungen Speers, es seien fünfstellige Beträge Geld geflossen, seien "Spekulationen ins Blaue hinein", zu denen sich der Verlag weder äußern müsse noch äußern werde.

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