Nach Anschlag auf "Charlie Hebdo":Zierfische der Pressefreiheit

Die Kritik an den Tätern ist einhellig: Nach dem Anschlag auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" zeigt sich ganz Frankreich solidarisch mit dem Blatt. Die Interessen der Unterstützer könnten indes kaum unterschiedlicher sein.

Joseph Hanimann

Das Bild in der kleinen Seitenstraße zur Place de la République hat sich deutlich verändert. War noch am Donnerstagabend ein ungehindert reges Kommen und Gehen im Haus der Zeitung Libération, so sind seit Freitag die geparkten Autos davor verschwunden und durch Absperrungen ersetzt worden. Ein Wachmann in Zivil kontrolliert das Personal wie die Besucher, Polizisten inspizieren die letzten noch nicht entfernten Autos, Limousinen mit getönten Scheiben fahren gelegentlich in Polizeibegleitung ein oder aus.

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Der Verleger von "Charlie Hebdo" vor den zerstörten Verlagsräumen in Paris. In der Hand hält er die Sonderveröffentlichung mit der Scharia-Satire, die unmittelbar vor dem Brandanschlag publiziert wurde.

(Foto: AFP)

Vor allem aber ist die sonst offene Glasfront im Erdgeschoß zur Straße hin durch Jalousien abgeschirmt. In diesem Raum gleich neben dem Eingang sollen die nach dem Brandanschlag auf ihre Redaktion obdachlosen Redakteure der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, die seit Mittwoch in einer Außenstelle von Libération Unterkunft fanden, nun ihr Gastquartier beziehen.

Ob sie dort hinter der wieder offenen Glasscheibe wie Zierfische der Pressefreiheit präsentiert werden oder ob ihr provisorisches Büro nach außen hin abgeschirmt bleibt, weiß noch keiner zu sagen. Hauptsache sei, so ist allenthalben zu hören, dass Charlie Hebdo am kommenden Mittwoch wie üblich erscheine.

Der Anschlag traf das Magazin unmittelbar nachdem es eine Scharia-Satire herausgebracht hatte. Mehrere andere Medien wie Le Nouvel Observateur, Marianne und das Internet-Newsportal Rue89 hatten - neben Libération - der Redaktion spontan Unterkunft angeboten. Wo nun für die Hauptsache gesorgt ist, legt sich, was zwei Tage lang Frankreichs Öffentlichkeit bewegte, fast so schnell, wie es gekommen war.

Plötzlich will keiner mehr Islam-Bashing betrieben haben. Auch wenn es im Netz Drohungen und Hackerangriffe gegen Charlie Hebdo mit religösem Hintergrund gab - über die möglichen Täter des Brandanschlags selbst weiß man immer noch so gut wie nichts. So gibt selbst der unter dem Namen Charb firmierende Direktor von Charlie Hebdo, der wie zwei weitere Redaktionsmitglieder nun unter Polizeischutz steht, sich plötzlich zurückhaltend. Es werde sich vielleicht ja herausstellen, erklärte er, dass die Brandstifter bloß zwei Verrückte aus dem Quartier gewesen seien.

Jeder spielt sein eigenes Spiel

Sehr viel ist diesmal anders als beim so genannten Karikaturenstreit vor fünf Jahren, bei dem Charlie Hebdo durch Nachdruck einiger Zeichnungen auch schon eine aktive Rolle gespielt hatte. Der Französische Muslimrat CFCM und der Rektor der Pariser Moschee verurteilten sofort unmissverständlich den Anschlag, wenn auch mit dem Hinweis, das Karikieren des Propheten bleibe für die Muslime eine Beleidigung.

Arson at Charlie Hebdo.

Vollkommen ausgebrannt: die Redaktionsräume von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag. Zuvor hatte "Hebdo" eine Sonderveröffentlichung zum Arabischen Frühling publiziert. Der Name: "Charia Hebdo".

(Foto: dpa)

Der Vorwurf, die Karikatur sei eine Provokation zum falschen Zeitpunkt, der 2006 noch die ganze Gesellschaft spaltete, ist diesmal so gut wie nicht zu hören. Allenfalls melden manche diskrete Zweifel an, ob eine satirische Scharia-Sondernummer den unsicheren demokratischen Gehversuchen in den arabischen Ländern gerade hilfreich sei, und mutmaßen andere, Charlie Hebdo habe mit der garantierten Lachnummer über den Islam seine schlappe Auflage stimulieren wollen.

Das ist kurzfristig auch gelungen. Die hunderttausend Exemplare waren dank der Wirkung des Redaktionsbrands sofort vergriffen und die Nummer kam am Freitag mit einer Neuauflage heraus. Jeder für sich und Journalistensolidarität für alle - so lautet offenbar die Losung in dieser Affäre seit dem Anschlag vom Mittwoch. Alle Beteiligten spielen ihr eigenes Spiel, das verhindert das Aufkommen einer Debatte.

Der Innenminister Claude Guéant, den die Überwachungsversuche der Presse durch manche Staatsdienste bisher nicht weiter zu irritieren schienen, gönnte sich einen Solidaritätsbesuch im zerstörten Lokal seines Lieblingsfeinds Charlie Hebdo. Die gegeneinander im harten Konkurrenzkampf stehenden Medien nutzten die Gelegenheit zu einem kurzen allgemeinen Fraternisieren. Die Islamverbände können einen Gewaltakt laut verurteilen und doch zugleich Gemeinschaftsgefühle schüren. Die Journalisten von Charlie Hebdo wiederum, die auf die Solidarität des Ministers und ihrer sonstigen Spottobjekte hämisch bis beleidigend reagierten, stehen plötzlich im Mittelpunkt der Aktualität.

Manche von ihnen erleben die neue tägliche Nähe mit der Polizei - diesmal ausdrücklich zu ihrem Schutz, nicht zu ihrer Beschattung - als wahres Abenteuer und haben damit schon reichlich Themenmaterial für die nächste Ausgabe. Einigkeit herrscht in ihrer Redaktion jedoch darüber, dass die Welt draußen sich deshalb nicht um sie allein dreht und dass sie, bevor sie die Räume von Libération in ein paar Wochen oder Monaten wieder verlassen, auch die weniger gängigen Themen als den Islam mit ihrem Spott neu erschließen müssen.

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