Musikdoku:Die Gefühle der Welt

Musikdoku: Der "rote Priester", so hieß Vivaldi wegen seiner Haare. Er schuf die "Vier Jahreszeiten" - den Hit überhaupt in der klassischen Musik.

Der "rote Priester", so hieß Vivaldi wegen seiner Haare. Er schuf die "Vier Jahreszeiten" - den Hit überhaupt in der klassischen Musik.

(Foto: Daniel Faller, Fabian Stolz/ZDF)

"Epochen der Musikgeschichte" ist ein rasanter und gescheiter Arte-Vierteiler nach dem Prinzip Wundertüte. Die vermeintlich elitäre, museale, komplexe Klassikmusik will im Fernsehen populär werden.

Von Wolfgang Schreiber

Wie großartig! Fein säuberlich in vier Epochen unterteilt, erscheint uns die Welt der klassischen Musik dann, wenn sie als TV-Vierteiler "für junge Zuschauer, Einsteiger und Experten erlebbar, spürbar und verständlich" serviert wird. Barock ist der Beginn, es folgen im Wochenabstand Klassik, Romantik und Moderne. Je ein Künstlerconférencier im Musikstudio lotst uns vom Klavier aus durch die Folgen der von ZDF/Arte produzierten Epochen der Musikgeschichte. Wie großzügig! Viermal neunzig Minuten für Konzertausschnitte und Interviews, Graphic Novels und Opernszenen, rasante Bildsequenzen und Kamerafahrten, fundierte Lektionen aus dem Off.

Im Barockzeitalter herrscht zunächst einmal Italiens Sinnenfreude, dralle Buntheit, Kostümshow, der "roter Priester" genannte Vivaldi zumal, natürlich seine "Vier Jahreszeiten", der Hit überhaupt - und "jeder kennt sie, jeder liebt sie". In der Oper regieren Monteverdi in Venedig, Lully in Paris und Händel in London. Präsentiert wird Europas Großpolitik: Der Dreißigjährige Krieg und Sonnenkönig Ludwig XIV. bestimmen auch die Musik. Dagegen die protestantische Innerlichkeit, Johann Sebastian Bach, "er war Gottes musikalisches Gehirn" - der ultimative Titan der Barockmusik. "Jauchzet, frohlocket" mit Thielemann in der Dresdner Frauenkirche. Und Francesco Tristano zeigt auf dem Klavier, wie die Goldberg-Variationen über der schlichten Bass-Linie des Stücks gebaut sind. Die kluge Emmanuele Haïm, historisch informierte Dirigentin, erklärt den Thomaskantor, die Thomaner-Jungs selbst kommen zu Wort.

Die Dreifaltigkeit Haydn/Mozart/Beethoven bedeutet Freiheit/Gleichheit/Brüderlichkeit - so geht Wiener Klassik. Also Aufklärung und Revolution statt Feudal- und Religionskunst. Die Virtuosin Gabriela Montero erteilt Lektionen am Flügel. Haydns Erfinderwitz, Mozarts tiefe Menschlichkeit, Beethovens Freiheitspathos. Alles irre verkürzt, häppchenartig und sogar ernsthaft hinterfragt.

Das Prinzip heißt Wundertüte: Was ist alles drin? Jedenfalls kein Firlefanz und keine Klischees

Dann Romantik gleich Gefühlskunst. Quälend langatmig der Einstieg: Wie romantisch - Achtung Hochzeitsmarsch! - heutzutage geheiratet wird. Im Zentrum Lied & Oper, von der Blauen Blume zur Natursehnsucht, dem romantischen Lebensgefühl. Entertainer Chilly Gonzales ist Profikommunikator, spielt jazzig oder redet von Freud. Ein Streichquartett sentimentalisiert Brahms' Dritte, Thomas Quasthoff huldigt Schuberts "Erlkönig" und Schumann springt in den Rhein. Thomas Hampson und Elke Heidenreich erschließen das menschliche Genie Verdi. Und Stefan Mikisch, der Wagnerianer am Flügel, erklärt alles Leid im Tristan-Akkord. Diskutiert wird Antisemitismus. Gefühlskarussell in einer Epoche der Extreme. Paganini und das Prinzip Virtuosität: Die Geigerin Julia Fischer spielt seine Capricen. Prinzip Wundertüte: Was ist alles drin? Bizarrerien, Überrumpelungen, neue Komponisten in Paris, dem romantischen Zentrum: Chopin, Liszt. Ende der Romantik: Mahlers wehes Adagietto, süffig mit Gonzales und dem Quartett.

Die "Moderne" der Musikklassik? Die Extreme münden in die technische und sexuelle Revolution, explodieren in zwei Weltkriegen. Der rasante Orgelvirtuose Cameron Carpenter erklärt die Zwölftonmusik, Komponist Moritz Eggert musiziert umher, die Sopran-Fee Anna Prohaska schwärmt vom Neuen, Paavo Järvi vom Fanal der Moderne, also Strawinskys "Sacre du printemps". Die Welt wird schneller und kleiner: Debussy, Ravel und Schönberg, die Nazis, Tanzmusik, Kabarett und der Tonfilm, der Jazz, der Blues, Hollywood, Exil, Eisler, Adorno - bis hin zu Boulez, Stockhausen, Cage und Donaueschingen, zu Minimalismus und: Star Wars! Experiment und Unterhaltung triumphieren in TV-homöopathischer Dosierung.

Grobes Fazit von vier Jahrhunderten: Die klassische Musik wird zum Event; was bleibt, sind die großen Komponisten, die Formen, die Gefühle der Welt. Es ist die Quadratur des Kreises. Die vermeintlich elitäre, museale und wirklich verzweigte, in tausend Facetten glitzernde Klassikmusik will im Fernsehen populär werden. Einem Medium, in dem sie ja eigentlich, von Talkshow über Tagesthemen bis Tatort, kaum existiert. Verdienstvoll: An ihren Bilderoberflächen wird sie (be)greifbarer als erwartet. Hauptsache, die Musik selbst wird nicht verhökert an Firlefanz und Klischees.

Epochen der Musikgeschichte, vier Folgen, Arte, sonntags, 17.40 Uhr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: