Musikantenstadl mit Andy Borg:Verstaubt und verwundert

Andy Borg muss den "Musikantenstadl" nach neun Jahren verlassen, weil er nicht mehr in das Verjüngungskonzept der Sender passt. Verbittert ist er über sein Aus nicht. Eher ratlos. Ein Treffen.

Von Claudia Fromme

Der Regen klatscht gegen die Scheiben. Im SB-Restaurant der Raststätte Lechwiesen Nord an der A 96 pusten Menschen gedankenverloren in ihre Heißgetränke. Davor föhnen provisorische Abluftrohre warmen Frittiergeruch in den Eingangsbereich, es wird umgebaut. Plakate werben für das Burgermenü zu 8,99. "Ganz neu, ganz frisch" steht da.

Andy Borg ist auf der Durchreise. Tags zuvor ist er in der Kundenhalle der Sparkasse Leverkusen aufgetreten, nachts zurück in sein Dorf bei Passau gefahren, am Abend singt er in Bad Ragaz auf dem Fest des Schweizer Volksmusikers Stefan Roos. Er fährt immer selbst mit dem Auto, die Bühnen-Outfits sind im Heck seines Geländewagens auf einem Besenstiel aufgereiht. "Wo ich auftrete, da gibt es keine Flughäfen", sagt er und zuckt lachend mit den Schultern. Er trägt Jeans, Fleecejacke, Turnschuhe. Eine Tasse mit "Früchtezauber" steht vor ihm, neben ihm sitzt seine Frau Birgit, die ihn immer begleitet.

"Stadl 2.0 ist, als würde man ein brandneues Betriebssystem in einen Commodore 64 einbauen."

Borg kommt immer von irgendwoher und ist auf dem Weg nach irgendwohin. Er ist einer der am besten gebuchten Sänger des Schlagers und der Volksmusik, was auch mit dem Musikantenstadl in der ARD zu tun hat, den er seit 2006 moderiert. Nun aber hat ihm jemand eine Ausfahrt eingezeichnet, die er so nicht vorgesehen hatte.

Der Stadl soll jünger werden, Andy Borg, 54, ist nicht jung genug, muss gehen. So haben das die Sender ORF, BR und SRF entschieden, die Österreicher als Hauptverantwortliche der Eurovisionssendung, flankiert von den Deutschen und den Schweizern. Das neue Konzept heißt "Stadl 2.0". Zwei Shows soll Borg noch moderieren. Die letzte Ende Juni aus Pula in Kroatien - und die vorletzte, symbolträchtigste am Samstag aus Oberwart in Österreich. Sie steht im Zeichen des Todes von Karl Moik. Der Gründer des Musikantenstadls ist am Donnerstag mit 76 Jahren gestorben.

Andy Borg ist ein höflicher Mensch, was nicht zwingend damit zu tun hat, dass er in seiner Jugend, als er noch Adolf Andreas Meyer hieß, einen Benimmkurs absolviert hat. Da war er Mechaniker in Wien, hat Schneepflüge für die Stadt repariert, bevor er Anfang der Achtzigerjahre in einem Talentwettbewerb des ORF als Schlagersänger entdeckt wurde. Er hat also bislang Fragen zu seinem Rauswurf brutalstmöglich weggelächelt, seinen drahtigen Frisurhybrid aus Helmut Markwort und Camilla Parker-Bowles geschüttelt. Heile Welt, darum geht es doch in der Volksmusik.

Irgendein Senderverantwortlicher hat an diesem verregneten Tag etwas von "entstauben" im Zusammenhang mit dem Stadl gesagt. "Jetzt bin ich also nicht nur alt, sondern auch noch verstaubt", sagt Andy Borg. Er klingt nicht bitter, sondern verwundert, als versuche er zu verstehen, was da gerade passiert. Es sei nicht so, dass er auf die vier Mal Stadl im Jahr angewiesen sei, wischt er Fragen nach dem Danach fort. Er habe sein altes Leben immer behalten, Schlagerfeste, Sparkassen, so etwas. "Ein Segen", sagt seine Frau Birgit. Früher war er 200 Tage im Jahr unterwegs, für den Stadl hat er die Auftritte ein wenig heruntergefahren. "Aber natürlich ist es der Gipfel für jeden, eine Samstagabendshow zu moderieren. Wer anderes behauptet, redet Unsinn."

Stadl 2.0 klingt nach Senderpanik

Aber Stadl 2.0? "Das ist, als würde man ein brandneues Betriebssystem in einen Commodore 64 einbauen." Das Publikum sei nun einmal älter, das könne man mit Hauruck nicht ändern.

Stadl 2.0 klingt weniger nach Jugend als nach Senderpanik. Der Rauswurf des Moderators ist eine Notoperation, der ganze Musikantenstadl steht auf der Streichliste, 34 Jahre nach der Premiere, die nur einen Monat nach der von Wetten, dass..? war. Es gibt noch keinen neuen Moderator, offenbar auch noch kein rechtes Konzept, außer der Idee, dass mehr englischsprachige Lieder eine Rolle spielen sollen - und auch keine Garantie, dass die Sendung länger als 2015 läuft. Die Quoten sinken, wie überall im Unterhaltungsfernsehen. Begann Borg 2006 in der ARD mit mehr als sechs Millionen Zuschauern, sind es heute gut vier. Bei Deutschland sucht den Superstar bei RTL sind es knapp mehr als vier Millionen, bei Willkommen bei Carmen Nebel ebenso.

Nebels Vertrag wurde gerade vom ZDF bis 2017 verlängert. Sie ist 58 Jahre alt.

Andy Borg redet mit Wärme über sein Publikum, das im Schnitt 68 Jahre alt und manchmal selbst zum Schunkeln zu hüftsteif ist. Im Hintergrund schiebt sich gerade eine Rentnergruppe hinter den Borgs vorbei, sie tragen Jogginghosen, blicken schüchtern herüber - und gehen weiter. Hinter vorgehaltener Hand höre er von den Sendern immer wieder, dass das Alter im Musikantenstadl sinken müsse. "Verwirkt man denn mit zunehmendem Alter das Recht darauf, angemessen unterhalten zu werden - nachdem man jahrzehntelang brav die monatlichen Rundfunkgebühren zahlen durfte?" Auch wenn es Junge gebe, die zusehen: "Eine Jugendveranstaltung kann man daraus nicht so leicht machen."

Die Intendanten reden womöglich lieber über Streaming und Trimedialität, statt sich beim Thema Volksmusik Gebührenverschwendung vorhalten zu lassen, mit einem Programm, das keine Fernsehpreise einfährt und die Jugend sowieso nicht erreicht, die samstagabends aber vielleicht auch anderes zu tun hat, als sich Dreiländerschunkeln in der Glotze anzusehen. Andy Borg sagt: "Ich verstehe nicht, warum manche in den Sendern fast schon Ekel befällt, wenn es um Volksmusik geht."

Man muss Volksmusik nicht mögen, genauso wenig wie man Death Metal mögen muss. Man muss auch Andy Borg nicht mögen. Aber wer einmal im Musikantenstadl gesessen hat, muss zugeben, dass Borg ein guter Entertainer ist, der enorm beliebt ist beim Publikum. "Das war wie ein Schlag in die Magengrube", beschreibt er seine Reaktion auf den Rauswurf. Borg wollte den Stadl vor der Rente bewahren, hat flammende Appelle gegen dessen Absetzung formuliert - und ist selbst aufs Altenteil geschickt worden. Am Tag, als er es erfuhr, ist er in sein Studio gegangen und hat zu Tina Turner auf sein Schlagzeug eingedroschen.

Wer im Fernsehen fliegt, gibt seinen Sendern oft Saftiges mit auf den Weg. Margarethe Schreinemakers oder Waldemar Hartmann haben das getan. Andy Borg bleibt seltsam höflich. Wer Kritik aber sucht, findet sie. Auf seiner Facebookseite läuft ein Medley mit Schlagern wie "Nun schlägt die Uhr" vor Urlaubsfotos von Andy und Birgit. Ein Mitschnitt einer Show steht da, in der sich Borg zur Konservierung in einen Gefrierschrank stellt. Als der Stadl im Winter tourte, was er jedes Jahr einige Wochen macht, spickte Borg ihn mit Alterswitzen. "Applaus für die Jugend!", rief er in München, als Melissa Naschenweng, 23, aus Kärnten mit Spitzentop und enger Büx die Bühne betrat. Er gestand, dass er eine Lesebrille brauche, vermutete als Grund, warum sein Nachfolger noch nicht feststand: "Vielleicht ist der noch gar nicht geboren."

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was passiert, wenn ein Moderator aus dem laufenden Betrieb heraus gleich drei Intendanten anpinkelt, dass sie keine Ahnung hätten von ihrem Publikum.

Beim SRF sagt einer, dass Andy Borg doch sehr ausgeteilt habe. Beim BR sagt einer, dass er sich Reformen versperrt habe. Beim ORF sagt einer, dass schon viel zu viel über das Thema geredet worden sei.

Offiziell gibt es kein Wort zu Andy Borg. Man wolle die "bisherigen Zuschauer weiterhin abholen", bescheiden die Sender, aber müsse auch zur Kenntnis nehmen, "dass der Musikantenstadl im Laufe der Zeit an Akzeptanz verloren hat". Ziel des neuen Konzepts sei, den Trend zu stoppen.

Borg nennt sich selbst "Schlagerfuzzi"

Wenn von "Auffrischung" und "inhaltlicher wie personeller Erneuerung" die Rede ist, fällt es schwer, nicht die Verbindung zum Alter des Moderators zu ziehen. Das ist wohl auch für Andy Borg einfacher. Soll er sich anhören, dass sein Typ nicht mehr gefragt ist? Der Wiener Schmäh, die Darbietung des "Königlich Bayerischen Amtsgerichts" auf der Bühne, die Frisur und der Anzug, die bieder wirken gegen die Tolle und engen Lederhosen des selbsternannten Volksrock'n'rollers Andreas Gabalier? Die Frage ist nur, ob das bislang fein dosierte Sexgewürz als Hauptzutat funktioniert oder ob mehr englische Lieder mehr junge Leute bringen. Ob ein Moderator, der immer noch deutlich jünger ist als der Durchschnittsseher, wirklich ein Klotz am Bein der Erneuerung der TV-Volksmusik ist.

"Ich verstehe nicht, warum manche in den Sendern fast schon Ekel befällt, wenn es um Volksmusik geht."

Es muss seltsam für Andy Borg anmuten, dass gerade er als Bremse der Erneuerung gesehen wird, stand er doch mal genau dafür. 2006 löste er Karl Moik nach bald 25 Jahren ab. Andy Borg sagt über ihn: "Er war für mich ein großes Vorbild, in dessen Fußstapfen mir vergönnt war, zu treten." Moik verkörperte die traditionelle Volksmusik, das Alpenglühen, die Dirndlparaden.

Den Sendern wurde sein Musikantenstadl am Ende zu bieder, Borg stand für eine neue Klangfarbe. Er kommt aus dem Schlager, wie so viele seiner gehandelten Nachfolger wie Helene Fischer, 30, oder Francine Jordi, 37. Damit hat er eine neue Note in den Stadl hereingebracht. Er nennt sich: "Schlagerfuzzi". Seine Single "Adios Amor" von 1982 hat sich bislang 2,5 Millionen Mal verkauft und ist derart bekannt, dass nach ihr sogar im Kreuzworträtsel der FAZ gefragt wird. Er hat Humor in die Show gebracht, mehr Nachwuchs und Live-Gesang, eine E-Mail-Adresse für Zuschauerpost an eine Hütte der TV-Bühne nageln lassen. "Es verletzt mich, wenn man mich als reformunwillig dastehen lässt", sagt er.

Die Sender erreichen weiter Protestnoten gegen Borgs Absetzung, die Volksmusikszene ist gut organisiert. Die Gründerin des Andy-Borg-Fanklubs in Dresden, Karin Witt, sagt erwartungsgemäß: "Es ist eine Sauerei, den Musikantenstadl sehe ich mir ohne Andy nicht mehr an!" Patrick Lindner sagt: "Ich bin auch 54 Jahre alt - darf ich jetzt nicht mehr vor die Tür?" Stefanie Hertel, 35, sagt: "Es hat schon eine gewisse Ironie, dass Andy den ganzen Musikantenstadl reformiert hat - und nun als alt dasteht." Es sind Solidaritätsadressen von Musikern, bei denen vielleicht auch eigene Ängste mitschwingen: Braucht man mich noch, wenn bald alles anders wird?

In der heilen Welt geht es knallhart ums Geschäft. Volksmusik ist ein Millionenmarkt, den Fernsehpräsenz unglaublich ankurbelt. Wer dort auftritt, hat ausgesorgt - wenn er denn auf die Gästeliste kommt.

In der Autobahnraste eilt jemand auf die Borgs zu, ein Mann, der seinen Vornamen auf seine Fleecejacke eingestickt trägt. "Franz" ist der Manager der Oberkrainer Polka Mädels aus Slowenien, er rastet hier zufällig. Er legt Andy Borg die neue CD der Combo hin. Der Franz weiß, dass der Andy es nicht mehr lange macht beim Stadl, aber es sind noch zwei Shows, und wer weiß, vielleicht macht er bald etwas Eigenes und braucht die Mädels? Borg nickt freundlich. Franz klopft ihm auf die Schulter.

Die Borgs stehen auf, knapp zwei Stunden dauert die Fahrt bis Bad Ragaz, Andy Borg tritt um 22.30 Uhr auf, als Hauptakt. Sie verlassen die Raste, gehen an einem Postkartenständer vorbei. Darin die übliche Klamaukprosa. "Wir sind hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht", so etwas. Und eine Karte, auf der eine alte Frau mit Strickzeug milde lächelt. In Schreibschrift steht darauf: "Einen Scheiß muss ich!"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: